Ukrainische Leihmütter zwischen den Fronten
28. März 2022Schlafsäcke in Tarnfarben, Regale gefüllt mit Konservendosen, Babybetten, daneben Gasmasken. Kurz vor Kriegsausbruch veröffentlicht BioTexCom, die größte Leihmutteragentur der Ukraine, ein Video auf der Firmen-Webseite. Ein Rundgang durch einen Luftschutzkeller, untermalt von Sirenengeheul. Hier sollen ukrainische Leihmütter im Kriegsfall Zuflucht finden. Die Botschaft: Den schwangeren Frauen und den von ihnen ausgetragenen Kindern soll es an nichts fehlen. Auch nicht im Krieg.
Marina (Name geändert) jedoch zeichnet ein anderes Bild. Anfang März bringt sie im Luftschutzkeller der Firma ein Baby zur Welt. Kalt und dunkel sei es gewesen. An Essen, Wasser und Medikamenten habe es gemangelt. "Wenigstens konnte man von dort die schießenden Panzer nicht sehen", schreibt sie der DW in einer Mail.
Drei Tage lang habe sie nichts von der Agentur gehört. Als endlich Mitarbeiter der Firma kamen, hätten diese lediglich die Babys abgeholt - ohne Essen und Wasser für die Leihmütter im Gepäck.
All-inclusive und Rabatte
Der Krieg hat das hässliche Gesicht eines Geschäfts entblößt, das bereits in Friedenszeiten brutale Züge besaß. Schätzungsweise 2000 Kinder werden in der Ukraine jährlich für ausländische Eltern zur Welt gebracht. Die kommerzielle Leihmutterschaft ist in der Ukraine legal. Und sie ist attraktiv: Die Übertragung der Elternschaft auf die ausländischen Paare ist vergleichsweise unkompliziert. Agenturen vermitteln zwischen Wunscheltern und Leihmüttern. All-inclusive-Pakete kosten zwischen 30.000 und 40.000 Euro. Manchmal geht's auch billiger: Am Black Friday im vergangenen Jahr warb BioTexCom mit drei Prozent Rabatt.
Wunscheltern und Leihmütter. Das Vokabular der Branche ist konkret und unerbittlich, weckt Hoffnungen und weist in Schranken. Gespielt wird mit Träumen auf beiden Seiten: Dort die sehnsuchtsvollen Eltern, die oft auf jahrelange Odysseen von Ärzten zu Fortpflanzungsspezialisten zu Adoptionsvermittlungsstellen zurückblicken. Hier die ukrainischen Frauen, die für ihre Arbeit mit dem Vielfachen eines durchschnittlichen ukrainischen Jahresgehalts entlohnt werden, in der Regel 15.000 bis 20.000 Euro. Dafür vermieten diese ihre Gebärmutter samt Hülle auf Zeit.
Alte Verträge und neue Realitäten
Nun jedoch ist Krieg. Der bringt alle beteiligten Parteien in Situationen, die vertraglich nicht vorgesehen sind. Und er wirft Fragen auf:
Für wessen Leben flüchtet man? Für das eigene? Oder für das fremde, das gerade im eigenen Bauch heranwächst? Was, wenn man gar nicht fliehen will, weil die eigene Familie noch im Land ist? Was, wenn man 2014 schon einmal geflohen ist und bereits damals alles verloren hat? Was, wenn man stattdessen sein angegriffenes Land verteidigen und in den Krieg ziehen will?
BioTexCom lässt sich von fliehenden Frauen versichern, dass diese zum Geburtstermin wieder in die Ukraine zurückkehren. Da die Leihmütter in Raten bezahlt werden, hat das Unternehmen dafür ein starkes Druckmittel in der Hand. Derweil baut es in der Zentralukraine einen Bunker.
Susan Kersch-Kibler, Gründerin der Agentur Delivering Dreams, hat ihre Leihmütter kurzerhand ins Ausland verfrachtet – nur um sie zum Geburtstermin wieder in die Ukraine zu befördern. Andere Agenturen drohen ihren Leihmüttern glaubhaften Berichten zufolge mit bis zu 15 Jahren Gefängnis, sollten diese das Land verlassen.
Ungewollt Mutter
Jenseits der Grenze nämlich betreten ukrainische Leihmütter ein für sie rechtliches Neuland. In der Ukraine kann eine Frau ein Kind zur Welt zu bringen, ohne als Mutter dieses Kindes zu gelten. Bislang hieß das: Nach der Geburt stimmte die Leihmutter der Vaterschaft des Wunschvaters zu. Das Kind erhielt einen Reisepass und konnte das Land verlassen – um dann von der Partnerin des Vaters adoptiert zu werden.
In vielen Zufluchtsländern der UkrainerInnen wird eine Frau durch den Akt der Geburt automatisch zur Mutter eines Kindes. Dabei spielt es keine Rolle, dass die Leihmütter genetisch nicht mit den von ihnen ausgetragenen Kindern verwandt sind. Durch die Geburt in einem EU-Land kämen sie in die bizarre Situation, Mutter eines Kindes zu sein, das sie nie haben wollten.
Eltern suchen "ihre" Mütter
Neben den rechtlichen Komplikationen vermutet Marko Oldenburger, der deutsche Wunscheltern seit zehn Jahren juristisch berät, weitere Gründe, warum manche Agenturen eine Flucht ihrer Leihmütter aus der Ukraine verhindern wollen: Die Angst, dass Interna ausgeplaudert werden, das Geschäftsmodell kritisch durchleuchtet wird oder wirtschaftliche Einbußen drohen.
In den sozialen Netzwerken suchen Wunscheltern nach ihren Leihmüttern, Leihmütter nach ihren Wunscheltern. Kontakte zwischen den beiden Vertragsparteien waren im Businessmodell der Agenturen bislang nicht vorgesehen. Nun scheint es vielen, als würden die Agenturen ihn regelrecht verhindern.
Auch Marina berichtet, dass ihr die Kontaktaufnahme mit den Wunscheltern verboten wurde. Als die Wunscheltern einer befreundeten Leihmutter diese ausfindig machten und im Luftschutzkeller mit Hilfe eines Freiwilligen mit Essen und Geld versorgten, habe die Firma den Leihmüttern gedroht.
Für manche Leihmütter stellt sich die Frage einer Flucht jedoch nicht. Selbst wenn sie wollten, sind manche hochschwangere Frauen gar nicht reisefähig. Eine Vermittlungsagentin berichtet von einer Leihmutter, deren Wunscheltern auf der Einpflanzung zweier Embryonen bestanden hätten. Es sei sehr schwer, solch eine Leihmutter zu finden, da Zwillingsschwangerschaften häufiger mit Komplikationen verbunden sind. Obwohl vier Ärzte abrieten, sei die Frau nun mit Zwillingen schwanger. Seit drei Monaten sei sie ans Bett gefesselt. An einen Transport sei nicht zu denken. Die ausländischen Eltern derweil seien erbost, dass "ihre" Mutter, "ihre" Kinder nicht aus dem Land gebracht werden.
Von Charkiw nach Paris
Die meisten Reproduktionskliniken der Ukraine befinden sich in den derzeit stark umkämpften Regionen um Charkiw und Kiew. Viele Mitarbeiter der Agenturen fliehen aus dem Kriegsgebiet, sind für ausländische Eltern nur schwer erreichbar. Diese fühlen sich im Stich gelassen, sind verzweifelt.
Manche Wunscheltern nehmen die Dinge selbst in die Hand, sorgen aus der Ferne für die Ausreise ihrer Leihmütter. Cyril und sein Partner hatten anfangs nur ein Foto von der Frau, die das Baby der beiden Franzosen austragen würde. Seit zehn Jahren wünschten sie sich ein Kind, erwägten Co-Parenting und Adoption. Vor anderthalb Jahren beauftragten sie schließlich eine ukrainische Leihmutterfirma. Im Dezember 2021 war ihre Leihmutter schwanger. Und zwei Monate später war Krieg.
Zwei lange Wochen ließ die Agentur nichts von sich hören. Dann endlich erhielt Cyril die Kontaktdaten seiner Leihmutter. Sie habe ihn um Hilfe gebeten, aus Charkiw zu fliehen, erzählt er der DW. Und so organisierte und finanzierte er ihre Ausreise. Eine Woche lang. In kleinen Etappen. Damit die Reise nicht zu anstrengend ist. Und dem Baby nichts passiert.
Tatiana sei nun in Paris. Erschöpft - und unruhig. Denn ihre Familie ist weiterhin in der Ukraine. Cyril hat eine Anwältin beauftragt. Damit das Kind, sollte es auf französischem Boden geboren werden, nicht Tatianas Kind wird, sondern seins. "Wir tasten uns gerade alle wie Blinde voran", sagt er.
Manche Wunscheltern fahren auf eigene Faust in die Ukraine, um ihren Nachwuchs aus der Schusslinie zu holen. Sie stehen vor verschlossenen Behörden, verlassenen Botschaften. Eine Eintragung ins Geburtsregister und die Ausstellung eines Reisepasses für die neugeborenen Kinder sind kaum möglich – jedoch notwendig, damit die Wunscheltern ihren Kindern zugeordnet und auch außerhalb der Ukraine als rechtliche Eltern anerkannt werden können. "So hat man gerade nichts", sagt Anwalt Oldenburger. Beziehungsweise: Man hat ein Kind ohne Papiere.
Nach der Geburt auf sich allein gestellt
Währenddessen warten in unterirdischen Säuglingsstationen tagtäglich mehr Babys auf die Abholung durch ihre leiblichen Eltern. Allein bei BioTexCom sind laut Aussage der Firma momentan rund 600 Leihmütter schwanger. Jeden Tag käme mindestens ein Kind zur Welt.
Marina musste den Kiewer Keller einen Tag nach ihrer Entbindung verlassen. An dem Tag habe es einen Bombenangriff gegeben, berichtet sie. Sie habe Angst gehabt, habe gebeten, länger bleiben zu dürfen. "Wie ich nach Hause komme, war mein Problem", erzählt sie. Die mehr als 300 Kilometer Heimweg gen Osten legte sie mit dem Vater einer freiwilligen Helferin zurück. Vom verdienten Geld wollte sie den Traum vom eigenen Haus verwirklichen. Dieser Traum aber ist gerade eh erst einmal geplatzt.