Graben für den nächsten Ernstfall
10. März 2015Mit Spitzhacken und Schaufeln graben die Separatisten langsam einen langen, engen Schützengraben in den weichen Schlamm auf der Hügelspitze. Die nächste Stellung der ukrainischen Regierungstruppen ist nur wenige Kilometer entfernt. Aus der Ferne dröhnt sporadisch der dumpfe Klang von Artillerieeinschlägen. Fürchterlich ungeschützt fühlt es sich auf dem offenen Gelände an.
"Wir legen Schützengräben und Unterstände an. Die Truppen müssen irgendwo Schutz vor Artillerieangriffen haben", sagt Michail, ein Kommandeur der Separatisten. Seinen Nachnamen will er nicht preisgeben. "Unsere Aufgabe ist Aufklärung. Wir versuchen herauszufinden, was der Feind gegen uns plant. Wir machen uns bereit." Die Soldaten berichten von ständigen Angriffen der Regierungstruppen - trotz des Waffenstillstandabkommens. Michail zeigt auf einen großen Explosionstrichter im Hinterhof eines kleinen Hauses, das er und seine Soldaten bewohnen. Eine Granate sei gerade gestern eingeschlagen. Die frisch aufgewühlte Erde scheint seiner Behauptung recht zu geben. "Der Beschuss ist chaotisch. Sie suchen nach Zielen. Wir versuchen, das Feuer nicht zu erwidern, nicht auf ihre Provokation zu antworten."
Die ukrainische Regierung beschuldigt hingegen die Separatisten, in den vergangenen Tagen auf ihre Truppen gefeuert zu haben. Wer wen attackiert, ist an der vordersten Front im offenen Feld nicht auszumachen. Aber aus der Umgebung sind Schüsse von Handfeuerwaffen zu vernehmen. In Erwartung weiterer Gefechte errichten die Separatisten hier eine kleine Basis.
Minsker Abkommen bröckelt
Michail gibt offen zu, dass er aus Russland stammt. Er sei allerdings freiwillig in der Ukraine. "Ich bin kampferprobt", sagt er der DW. "Ich bin hierher gekommen, weil sie nicht genug Experten haben." Die Soldaten haben in mehreren Unterkünften rund um einen Bauernhof einige Kilometer im Norden von Debalzewe Quartier bezogen. Gerade zwei Wochen ist es her, dass die Separatisten die Regierungstruppen aus diesem Gebiet vertrieben haben. Die Straße, die aus der Stadt führt, zeugt von den vergangenen Kämpfen. Sie ist übersät mit ausgebrannten Panzern und verkohlten Fahrzeugen. An ihren Seiten stehen zerstörte Häuser. Viele glauben, dass die Separatisten demnächst in Richtung Norden vorstoßen, um sich das Gebiet zurückzuholen, dass sie vergangenen Sommer an die Truppen aus Kiew verloren hatten.
Die Separatisten an der Front behaupten, keine schweren Waffen zu haben - abgesehen von einem gepanzerten Truppentransporter, der auf der Straße geparkt ist. Separatistenführer Alexander Sachartschenko hatte am Samstag erklärt, die letzten schweren Waffen seien gemäß des Minsker Abkommens abgezogen worden. Die OSZE, die den Abzug überwacht, bezweifelt dies. "Beide Seiten haben der Überwachungsmission nicht ausreichend Informationen über ihren Waffenbestand zur Verfügung gestellt", sagt OSZE-Sprecher Michael Buciurkiw im Gespräch mit der DW. "Wir warten immer noch auf weitere Auskünfte über die Korridore, durch die sie ihre schweren Waffen abziehen wollen. Wir müssen so viel wie möglich über ihre Erfassung und ihren Endverbleib wissen."
Man kooperiere, erklärt die Führung der Separatisten. Einer Gruppe von OSZE-Mitarbeitern zeigen sie einen mit Mörsern beladenen Lastwagen. "Die OSZE wird die Waffen bis zu dem Ort begleiten, der auf dem Ablaufplan angegeben ist", sagt der stellvertretende Verteidigungsminister der Separatisten, Eduard Basurin, der DW. "Dort können sie sich davon überzeugen, dass sich die zuvor abgezogenen Waffen immer noch dort befinden. Sie können sie zählen und fotografieren - dies sollte weiteren Statements entkräften, dass ihnen jemand den Zugang verweigert."
Poroschenko bestätigt Abzug
Beide Seiten haben einen Großteil der schweren Waffen abgezogen, sagt der ukrainische Präsident Petro Poroschenko. "Die Ukraine hat den Löwenanteil seiner Raketen- und Artilleriesysteme abgezogen. Die von Russland unterstützten Kämpfer haben auch eine wesentliche Zahl abgezogen", erklärte Poroschenko in einem TV-Interview am Dienstag.
Der OSZE zeigten Separatisten am Samstag, wie neun Granatwerfer in ein Warenhaus in der Nähe der Stadt Tores im Osten abgeladen wurden. Ihnen zufolge waren dies die letzten schweren Waffen, die abgezogen werden mussten. Doch neben den Mörsern befanden sich einzig vier Artilleriegeschütze in dem Warenhaus. Hinweise auf den Aufenthaltsort der anderen schweren Waffen gab es nicht.
Die Soldaten an der Frontlinie nahe Debalzewe werfen den Regierungstruppen vor, weiterhin Panzer und Granatwerfer zu nutzen. Yalta [Anm. d. Red.: Name geändert] ist der Anführer der 7. Kompanie der Armee der selbst proklamierten Volksrepublik Donezk. Was das Waffenstillstandsabkommen angeht, war er von Beginn an skeptisch. "Ob die Waffenruhe eingehalten werde? Allein gestern hatte ich vier Verwundete und einen Toten", berichtet er der DW. "Was sagt Ihnen das? Nein, sie wird nicht eingehalten. Die Regierungstruppen beschießen uns fast rund um die Uhr. Granaten, Artillerie, sie haben auch Panzer. Hin und wieder schießen wir zurück. Ich glaube, die Waffenruhe wird nicht lange anhalten. Sie nutzen die Zeit, sich zu sammeln und zu verstärken."
Für den Moment ist es um die Soldaten in der Nähe von Debalzewe verhältnismäßig ruhig. Mit den heftigen Kämpfen, die sich beide Seiten noch vor wenigen Wochen geliefert haben, sind die jüngsten Auseinandersetzungen nicht zu vergleichen. Komplett aufgehört haben die Gefechte aber auch nicht. Dass der Konflikt vorbei ist, glauben die Separatisten an der Front nicht. Sie bereiten sich auf weitere Kämpfe vor. Und graben weiter.