"Diskriminierung ist kein Nischenthema"
19. April 2016Vor zehn Jahren rief die Bundesregierung das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ins Leben. Der Zweck des Gesetzes ist es, "Benachteiligungen wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen".
Ein hehres Ziel - das in Deutschland noch nicht vollständig erreicht ist, wie eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes jetzt zeigt. Laut ihrer repräsentativen Umfrage hat fast ein Drittel der Deutschen hat schon einmal Diskriminierung erfahren.
"Das sind überraschend viele Menschen", sagte Christine Lüders, die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle, der DW. "Dagegen muss die Gesellschaft etwas unternehmen."
"Der Schutz vor Diskriminierung ist ein Menschenrecht", betonte auch Petra Follmar-Otto vom Institut für Menschenrechte gegenüber der DW.
18.000 Teilnehmer schilderten Diskriminierung
Eine Diskriminierung liegt vor, wenn jemand aufgrund von Merkmalen, die in der Sache keine Rolle spielen, schlechter behandelt wird als eine Vergleichsperson. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz nennt als Merkmale, die zu Benachteiligungen führen können: Alter, Behinderung, ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion und sexuelle Identität.
Für die Studie, die Lüders am Dienstag in Berlin vorstellte, wurden rund 1000 Personen ab 14 Jahren in ganz Deutschland telefonisch befragt. Zusätzlich konnten alle in Deutschland lebenden Menschen ab 14 Jahren in einer schriftlichen Befragung ihre Erfahrungen mit Diskriminierung schildern. Knapp 18.000 Personen nahmen insgesamt teil. Damit ist die "Betroffenenbefragung" die größte, die es in Deutschland jemals zu diesem Thema gegeben hat.
"Das Wichtige, was wir [aus der großen Resonanz] erkennen müssen, ist, dass Diskriminierung kein Nischenthema ist", sagte Lüders. "Jeder Mensch kann betroffen sein, egal wo sie passiert."
Tatort Arbeitsplatz
31,4 Prozent der Menschen, die an der Telefonumfrage teilgenommen hatten, gaben an, in den letzten zwei Jahren diskriminiert worden zu sein. Am häufigsten gaben Teilnehmer Alter als Grund für Diskriminierung an. (14,8 Prozent aller Befragten) Mit 9,2 Prozent am zweithäufigsten wurde Geschlechterdiskriminierung genannt.
Das Risiko, benachteiligt zu werden, ist besonders hoch, wenn es um Beförderungen, Projekte und Gehalt geht. Fast die Hälfte der Menschen (48,9 Prozent), die in den letzten zwei Jahren diskriminiert wurden, gab an, am Arbeitsplatz unfair behandelt worden zu sein. Dort war eine Benachteiligung aufgrund von Alter und Geschlecht besonders wahrscheinlich. Sexuelle Belästigung und Mobbing durch Kollegen oder den Chef fallen beispielsweise in diese Kategorie.
Je nach Umfeld ändern sich auch die Merkmale, aufgrund derer Menschen benachteiligt werden. Im Freizeitbereich, also zum Beispiel in Sportvereinen, berichteten die Teilnehmer der Umfrage häufiger von Diskriminierung wegen ihrer sexuellen Orientierung oder aus rassistischen Gründen.
Diskriminierung wird nicht mehr hingenommen
Die Studie hat aber auch etwas Positives ergeben: Die Menschen wehren sich, wenn sie ungerecht behandelt werden. Knapp 60 Prozent der Betroffenen versuchten nach eigenen Angaben, auf Diskriminierung aufmerksam zu machen, nutzten Beratungsangebote oder beschwerten sich bei zuständigen Beauftragten wie der Antidiskriminierungsstelle oder innerbetrieblichen Ansprechpartnern.
"Da hat sich in der Gesellschaft etwas geändert, seit wir das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz haben", sagte Lüders. "Menschen dulden Diskriminierung nicht einfach, sie nehmen sie nicht mehr hin."
Bis zum Äußersten gehen allerdings nicht viele Betroffene: Nur 6 Prozent gaben an, wegen ihrer Benachteiligung vor Gericht gezogen zu sein. Laut Lüders liegt das unter anderem daran, dass der Klageweg nicht einfach ist und viel Geduld erfordert.
Betroffenen auch vor Gericht zur Seite stehen
"Die Menschen sollten besser über ihre Rechte informiert werden", so Petra Follmar-Otto vom Institut für Menschenrechte.
Das wünscht sich auch Christine Lüders. Sie plädiert dafür, dass ihre Antidiskriminierungsstelle und andere Beratungseinrichtungen Klagerecht bekommen. Das bedeutet, dass sie Menschen, die sich bei ihnen melden, juristische Unterstützung geben dürften.
"Zur Zeit ist uns nur eine erste juristische Einschätzung gestattet, dann muss die Person sich einen Anwalt suchen", so Lüders. "Mit dem Klagerecht könnten wir die Menschen bis vor Gericht begleiten und sie bis zum Ende der Klage unterstützen."