Das Wertemilieu und die Haltung zu Corona
24. Februar 2021Die Akzeptanz der coronabedingten Einschränkungen und die Impfbereitschaft sind einer Umfrage zufolge abhängig vom jeweiligen Wertemilieu. Von humanistisch geprägten Menschen, für die Werte wie Gerechtigkeit und Toleranz besonders wichtig seien, würden rund 80 Prozent den Vorrang des Lebensschutzes und die pandemiebedingten Einschränkungen überzeugt mittragen, erklärte die Bertelsmann Stiftung in Gütersloh bei der Präsentation der Umfrage. In der Gruppe der vorwiegend leistungsorientierten Menschen lehnt demnach hingegen fast jeder Zweite (46 Prozent) solche Freiheitseinschränkungen ab.
Wertemilieus, die eine Beschneidung von Freiheitsrechten kritisch sehen, zeigten sich auch skeptisch in der Frage von Impfungen, erklärte die Stiftung. So wollen sich in der Gruppe der eher Leistungsorientierten, denen Selbstverwirklichung und beruflicher Erfolg wichtig sind, laut Studie 44 Prozent auf keinen Fall impfen lassen. In der humanistisch geprägten Gruppe sprachen sich lediglich 25 Prozent gegen eine Impfung aus. Insgesamt sind laut der Studie "Zwischen individueller Freiheit und Gemeinwohl" zwei Drittel der Befragten den Einschränkungen der Corona-Maßnahmen gegenüber grundsätzlich positiv eingestellt. Jeder Dritte (34 Prozent) gab an, sich nicht impfen lassen wollen.
Anhand der Ergebnisse der Umfrage wurden insgesamt sieben unterschiedliche Wertemilieus erkannt. Die Autoren sprechen von "kreativen Idealisten", "bescheidenen Humanisten", "individualistischen Materialisten", "sicherheitsorientierten Konservativen", "leistungsorientierten Machern" und "unkonventionellen Selbstverwirklichern". In einer lebendigen Demokratie müssten Werte wie Gemeinwohl und Freiheit sorgsam ausbalanciert werden, sagte der Leiter des Stiftungsprogramms Lebendige Werte, Stephan Vopel. "Positiv ist: Strittig sind zwischen den Wertemilieus nicht die Werte als solche, sondern ihre Abwägung in der aktuellen Krise."
82 Prozent für tiefgreifenden Wandel der Gesellschaft
Die Corona-Krise verschärfe allerdings auch Wertekonflikte, die zuvor schon schwelten, ergänzte Yasemin El-Menouar, eine Mitautorin der Studie. Rund 45 Prozent der Befragten zeigten sich immerhin überzeugt, dass die Krise auch positive Auswirkungen haben könne - mit Blick auf Klimaschutz und soziales Miteinander. Und 82 Prozent stimmten der Aussage zu, dass die Pandemie die Notwendigkeit eines tiefgreifenden Wandels der Gesellschaft vor Augen führe. Allerdings wurde nicht abgefragt, wo genau dieser gesellschaftliche Wandel ansetzen soll.
Die Politik müsse jedoch klarer herausstellen, dass individuelle Freiheiten und Leistungsbereitschaft für die Gesellschaft weiter von entscheidender Bedeutung seien, bilanzierte El-Menouar. Und dass einschränkende Maßnahmen zeitlich begrenzt seien und das Ziel verfolgten, möglichst schnell wieder "ein freies und eigenbestimmtes Leben führen zu können". Für die Studie befragte das Norstat Institut im Auftrag der Bertelsmann Stiftung in der letzten Novemberwoche in einer repräsentativen Online-Befragung 1012 Menschen ab 18 Jahren.
sti/gri (afp, dpa, epd, kna)