Umstrittener Premier
20. März 2008Belgiens König Albert II. hat am Donnerstag (20.03.2008) den flämischen Christdemokraten Yves Leterme zum neuen Regierungschef ernannt. Das teilte der königliche Palast in Brüssel mit. Zuvor hatte Albert II. Premierminister Guy Verhofstadt, der die Regierung seit der Parlamentswahl vor gut neun Monaten kommissarisch geführt hatte, aus seinem Amt entlassen.
Gerangel um Posten
In den vergangenen Monaten waren Letermes Anläufe zu einer Regierungsbildung wegen des belgischen Sprachenstreits wiederholt fehlgeschlagen. Das Gerangel um Ministerposten in der künftigen Regierung führte unterdessen zu Veränderungen in letzter Minute. Zwei Stunden vor der geplanten Vereidigung beim König am frühen Donnerstagnachmittag stand noch keine endgültige Kabinettsliste fest. Letermes Regierung sollen15 Minister und sieben Staatssekretäre angehören.
Sicher schien nach einer Nachtsitzung der Koalitionsspitzen aus fünf Parteien, dass die wichtigsten Minister der bisherigen Übergangsregierung ihre Ämter behalten. Finanzminister bleibt demnach der frankophone Liberale Didier Reynders, die flämischen Liberalen stellen mit Karel De Gucht und Patrick Dewael weiterhin den Außen- und den Innenminister.
Der Sieger der Wahl vom 10. Juni 2007, Leterme, hatte in den vergangenen Monaten mehrmals das Mandat zur Regierungsbildung niedergelegt, weil sich die belgischen Parteien über eine geplante Staatsreform stritten. Selbst über eine Teilung des 177 Jahre alten Staates wurde dabei spekuliert.
Scherbenhaufen nach der Krise
Auch wenn das belgische Parlament Leterme und seiner Regierung am kommenden Samstag das Vertrauen aussprechen wird, muss der flämische Christdemokrat die Bevölkerung erst noch für sich gewinnen. Denn nach neun Monaten Krise und zwei gescheiterten Versuchen einer Regierungsbildung unter seiner Führung ist Leterme politisch angeschlagen. Mit 800.000 Direktstimmen war der ehemalige Ministerpräsident Flanderns als Sieger aus der Wahl im Juni vergangenen Jahres hervorgegangen. Nach acht Jahren Opposition unter sozial-liberaler Regierung wurden die Christdemokraten stärkste Kraft.
Von seinen Wurzeln her könnte Leterme eine Integrationsfigur sein. Er ist Sohn einer flämischen Mutter und eines wallonischen Vaters und spricht französisch ebenso gut wie niederländisch. Doch mit unbedachten Äußerungen und gezielten Provokationen brachte Leterme die frankophone Bevölkerungsgruppe immer wieder gegen sich auf und vertiefte die traditionelle sprachlich-kulturelle Kluft zwischen den vier Millionen Wallonen und sechs Millionen Flamen noch. Im Wahlkampf verspottete er die Frankophonen, sie seien intellektuell nicht in der Lage, niederländisch zu lernen. Am belgischen Nationalfeiertag stimmte er die französische Marseillaise an, als er spontan von einem Reporter gebeten wurde, die belgische Nationalhymne zu singen.
Schlechte Umfragewerte
Die frankophonen Wallonen werfen ihm vor, nur die Interessen der Flamen zu vertreten. Doch auch in Flandern läuft es nicht rund für Leterme. Nach einer aktuellen Meinungsumfrage, die von der Presseagentur dpa zitiert wird, vertrauen 92 Prozent der Wallonen und sogar 54 Prozent der Flamen dem designierten Regierungschef nicht. Zu allem Übel hat Leterme auch gesundheitliche Probleme. Im Februrar wurde der 47-jährige wegen lebensgefährlichen inneren Blutungen auf der Intensivstation behandelt. (vem)