Kroatische Generäle freigesprochen
16. November 2012Kroatien im Freudentaumel - tausende Menschen sind im ganzen Land spontan auf die Straßen gegangen, um die Freilassung der beiden Ex-Generäle Ante Gotovina und Mladen Markac zu feiern. Es wird getanzt und geweint, denn längst ist insbesondere General Ante Gotovina für viele Kroaten ein Symbol ihres Unabhängigkeitskampfes im sogenannten "Vaterlandskrieg" in den 90er Jahren geworden.
Seine Verurteilung zu 24 Jahren Freiheitsstrafe in der ersten Instanz vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) im April 2011 haben damals viele als eine Verunglimpfung des ganzen Landes aufgrund eines aus ihrer Sicht gerechten Verteidigungskampfes empfunden. "Gotovina ist unser Held, kein Verbrecher!", hieß es damals auf vielen Plakaten landesweit.
Nun hat die Berufungsinstanz in Den Haag das damalige Urteil aufgehoben. Zum einen, so erklärte das Tribunal in seiner Begründung, habe das erste Urteil auf der Annahme beruht, alle Geschosse, die mehr als 200 Meter von militärischen Zielen entfernt in von Serben bewohnten Gebieten einschlugen, seien als Angriffe auf Zivilisten zu bewerten. Dies sei eine "fehlerhafte" Überlegung gewesen. Zudem urteilten die Richter, es habe kein "gemeinsames kriminelles Unterfangen" gegeben, "dessen Ziel die endgültige und gewaltsame Vertreibung serbischer Zivilisten aus der Region Krajina war."
General als Teil einer "kriminellen Verschwörung"
Zu Beginn des Krieges in Kroatien (1991-1995) hielt die serbische Minderheit, die rund zwölf Prozent der Bevölkerung ausmachte, etwa ein Drittel des Landes unter ihrer Kontrolle. Als in der Militäroperation "Oluja" (Sturm) im August 1995 kroatische Soldaten das Land zurückeroberten, wurden innerhalb wenige Tage mehr als 200.000 Serben aus Kroatien vertrieben und rund 600 getötet – viele auch nach dem Ende der militärischen Auseinandersetzungen. General Ante Gotovina befehligte damals die Truppen im Sektor Süd.
Nach dem mehr als vier Jahre dauernden Prozess befand das UN-Tribunal Gotovina verantwortlich für die Ermordung von mindestens 37 Personen, für Brandschatzung und Zerstörung von Dörfern und Städten und für die Vertreibung von mehreren zehntausend Serben. Außerdem war das Gericht der Meinung, dass Gotovina zusammen mit dem damaligen kroatischen Staatspräsidenten Franjo Tudjman Teil einer "kriminellen Vereinigung" war, die die Planung und Durchführung der "dauerhaften Vertreibung der serbischen Bevölkerung aus Kroatien" zum Ziel hatte.
"Heute ist der Krieg beendet"
Nun hat das Gericht dieses erstinstanzliche Urteil kassiert. Die Militäraktion "Sturm" sei im Sinne der Selbstverteidigung legitim gewesen, urteilten die Haager Richter. Außerdem stellten sie fest, dass die Existenz einer "kriminellen Verschwörung" zur ethnischen Säuberung nicht nachgewiesen werden konnte. Damit bestätigte das Gericht in den Augen der kroatischen Öffentlichkeit das, was man hier schon immer behauptet hat.
Das erklärt auch die euphorischen Reaktionen aus der Politik. "Ein bedeutender Augenblick für Kroatien", nannte der Regierungschef Zoran Milanovic die Freilassung, und bedankte sich bei den beiden Generälen "die so viel für Kroatien gelitten haben". Und der Staatspräsident Ivo Josipovic meinte, das Urteil sei "ein Beweis, dass die kroatische Armee nicht an einem verbrecherischen Unterfangen teilgenommen hat." Gleich mehrere führende Politiker - darunter der Vizepräsident des kroatischen Parlaments, Nenad Stacic - fügten dann auch begeistert hinzu: "Dies ist ein historischer Tag, erst heute ist der Krieg zu Ende gegangen. Ab heute ist Kroatien frei!"
Vergangenheitsbewältigung wird schwieriger
Genau diese Haltung hält aber der angesehene kroatische Politologe und Analytiker Zarko Puhovski für sehr problematisch: "In Kroatien sagt man jetzt: Es ist genug, man muss damit aufhören, ständig über den Krieg zu sprechen, wir möchten normal weiter leben. Das bedeutet, dass die Menschen, die für diese Kriegsverbrechen tatsächlich verantwortlich sind, höchstwahrscheinlich nie werden vor Gericht stehen müssen." Es entstehe, so Puhovski, eine Atmosphäre in Kroatien, in der eine Vergangenheitsbewältigung gar nicht mehr möglich sei.
Vor dieser Entwicklung warnt auch Solveig Richter von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. Das Urteil des Haager Tribunals könne die politischen Verhältnisse zwischen den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien zusätzlich belasten, insbesondere den Prozess der Versöhnung zwischen Kroatien und Serbien, meint Richter. "Wegen der hohen politischen Bedeutung des Urteils befürchte ich, dass in den beiden Bevölkerungsgruppen, sowohl bei den Kroaten, als auch bei den Serben, jetzt diejenigen sich bestärkt fühlen und mehr in der Öffentlichkeit auftreten, die undifferenziert mit der jüngsten Vergangenheit umgehen und die historische Gegnerschaft zwischen den beiden Gruppen pflegen."
Ein Persilschein für die Generäle weltweit
In Serbien ist die Entscheidung des UN-Kriegsverbrechentribunals mit Unverständnis und Empörung aufgenommen worden. So nannte der serbische Präsident Tomislav Nikolic das Urteil "skandalös", und der für die Zusammenarbeit mit dem Tribunal zuständige serbische Minister Rasim Ljajic sagte gar, das Gericht habe "jede Glaubwürdigkeit verloren". Das sei, davon ist Dragan Popovic, der Direktor des Zentrums für praktische Politik aus Belgrad überzeugt, keine isolierte Meinung. Nun werde in Serbien wieder die Frage gestellt, inwieweit man das Haager Tribunal überhaupt noch als eine unabhängige Institution ansehen könne. "Die Entscheidung stärkt jetzt die Nationalisten. Wir werden wieder erklären müssen, dass es sich hier nicht um eine internationale Verschwörung handelt." Er befürchte aber, so Popovic, dass die demokratischen Kräfte in Serbien "knapp davor sind, diesen Kampf zu verlieren."
Auch Zarko Puhovski glaubt, dass die Entscheidung des UN-Gerichts sehr negative Folgen haben wird, aber nicht nur für die Region, sondern für die ganze Welt: "Das Gericht hat jetzt die Kriegsoperationen leichter gemacht. Es wird nicht mehr einfach sein, Politiker als Schuldige für Kriegsverbrechen anzuklagen und zu verurteilen, weil kriminelle Verschwörung auf Staatsebene als juristische Formel begraben wurde." Viele Generäle in der ganzen Welt, so Puhovski, würden heute die Entscheidung des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag feiern.