UN-Reformen entlang der Rechtsnormen
3. Dezember 2004Die Vereinten Nationen (UN) haben Reformen nötig. Zu dem Ergebnis kommt die eigens eingesetzte UN-Kommission, die am Donnerstag (2.12.2004) ihren Bericht an Generalsekretär Kofi Annan übergeben hat. Einer der wichtigsten Punkte: Die Erweiterung des UN-Sicherheitsrates als entscheidendes Gremium mit bisher fünf ständigen und zehn wechselnden Mitgliedsländern. Hier werden die wichtigen UN-Entscheidungen wie Sanktionen, Friedensmissionen und Handelsembargos beschlossen.
Zwei Modelle schlägt die Expertengruppe vor (siehe unten anhängende Übersicht), die beide eine Erweiterung des UN-Sicherheitsrates von 15 auf 24 Mitglieder vorsehen. Nur eines der Modelle enthält aber neue ständige Sitze. Nach dem anderen Modell soll lediglich die Zahl der nicht-ständigen Mitglieder im obersten UN-Gremium erhöht werden. Da die UN-Kommission sich auf keines der zwei Modelle zur Erweiterung des Sicherheitsrates einigen konnte, hat sie nun beide zur Diskussion gestellt.
Den UN stärker verpflichtet
"Die Erweiterung des Rates ist ein erster Schritt in die richtige Richtung", sagt Reinhard Merkel, Rechtsprofessor an der Universität Hamburg. Damit werde ein Gegengewicht zu den weiterhin vorhandenen Veto-Mächten geschaffen. Denn dass diese ihr Recht aufgeben, ist nicht zu erwarten. "Vor allem die USA werden sich auf nichts einlassen, was ihnen die letzte Kontrolle im Sicherheitsrat verweigert", zeigt sich der Spezialist für Rechtsphilosophie und Strafrecht sicher. Durch ein größeres Gremium werden auch Länder und Regionen einbezogen, die bisher kaum berücksichtigt wurden. Merkel meint: "Diese Länder könnten sich den UN dadurch stärker verpflichtet fühlen."
Experten hoffen auch, dass durch eine größere Zahl ständiger Ratsmitglieder das Gremium berechenbarer wird, als mit wechselnden Ländern. Merkel sagt dazu: "Der Sicherheitsrat sollte sowieso berechenbar sein, und zwar entlang der Normen der UN-Charta." Länderinteressen dürften - anders, als in den 1990er Jahren - keine Rolle spielen.
Präventives Handeln erlauben
Neben der Erweiterung des UN-Sicherheitsrates ist die Möglichkeit, vorbeugend einzugreifen, ein wichtiger Punkt des Reformberichtes. Bislang gibt die UN-Charta dem Gremium dazu keine Möglichkeit. Die Reformkommission kommt jedoch zu dem Schluss, dass die UN wegen der neuen Sicherheitsherausforderungen das Recht haben müsste, präventiv zu handeln. Gefahren gingen heute laut Kommissionsbericht weit über die Kriege zwischen Staaten hinaus, und umfassten auch die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und Terrorismus.
"Es ist gut, wenn die UN zukünftig präventiv handeln dürfen", sagt Merkel. Damit könne Vorsorge gegen eine permanente Gefahr getroffen werden, die zwar aktuell vorhanden, deren Ausbruch aber unklar sei. Das kann Terrorgefahr durch eine Organisation bedeuten, aber auch die atomare Bedrohung durch ein Land oder ein befürchteter Völkermord.
Entlang fundamentaler Rechtsnormen
Entscheidend ist für den Juristen, unter welchen Voraussetzungen gehandelt wird. So ist Notwehr durch die UN-Charta abgedeckt und meint, dass eine Gefahr unmittelbar bevorsteht. Außerdem würde weiteres Abwarten die eigene Verteidigung maßgeblich verringern. Als Beispiel gilt Israels Angriff auf die in Stellung gehenden arabischen Nachbarländer während des Sechs-Tage-Krieges. In Notwehr darf auch zum äußersten Mittel gegriffen werden. Präventivnotwehr, wie sie die USA für den Irak-Krieg 2003 für sich in Anspruch nahmen, hält Merkel hingegen nicht für akzeptabel. Es sei unklar gewesen, welche Bedrohung tatsächlich vom Irak aktuell ausgegangen ist, meint der Jurist. "Gefahrenvorsorge muss die UN jetzt anpacken, aber es ist klar, dass die nur entlang fundamentaler Rechtsprinzipen erfolgen darf", argumentiert der Rechtsprofessor. Die Diskussion, was präventives Handeln der UN bedeutet, sei noch nicht zu Ende.
Abstimmung 2005
Bis September 2005 haben die UN-Experten Zeit, über die Reformvorschläge zu beraten. Auf der UN-Vollversammlung 2005 soll dann darüber abgestimmt werden. Dazu ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit der 191 Mitgliedsstaaten nötig. Danach muss die Reform noch in einem Großteil der Länder ratifiziert werden. Dies kann mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Experten rechnen jedoch damit, dass die hinzugekommenen Mitglieder 2008 ihre neuen Sitze im Sicherheitsrat einnehmen können.