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Pressefreiheit in Ungarn

15. Dezember 2010

Die ungarische Regierung baut die Medienlandschaft um. Sie hat den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zerschlagen und plant ein neues, restriktives Mediengesetz. Journalisten befürchten das Ende der Pressefreiheit.

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Person in Zeitungen geknebelt mit Augen- und Mundklappe (Grafik: DW)
Öffentlich-rechtlicher Rundfunk fast zerschlagenBild: DW/fotozon - Fotolia.com

Anfang Dezember staunten die Leser einiger ungarischer Zeitungen und Zeitschriften nicht schlecht: Die linke, gewerkschaftsnahe Tageszeitung "Népszava" (Volksstimme) und die beiden bedeutendsten kulturpolitischen Wochenzeitungen – "Magyar Narancs" (Ungarische Orange) und "Élet és irodalom" (Leben und Literatur) - waren mit weißen Titelblättern erschienen. Es war der bis dahin symbolträchtigste Protest gegen die Medienpolitik der seit Mai amtierenden, populistisch-nationalkonservativen Regierung unter dem Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Denn ab 1. Januar 2011 soll in Ungarn ein neues Mediengesetz in Kraft treten. Verabschiedet werden soll es zwar erst in der nächsten Woche. Doch längst sehen die protestierenden Redaktionen die Pressefreiheit in Ungarn bedroht und prophezeien, dass sie ab 1. Januar ganz aufhöre zu existieren.

Radikaler Umbau

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban, im Hintergrund der Namenszug seiner Partei Fidesz (Foto: AP)
Orban-Regierung will Kontrolle über MedienBild: AP

Eine drastische Prognose. Der in Berlin lebende ungarische Schriftsteller György Dalos blickt von außen nüchterner auf seine Heimat. Doch auch er sieht die Medienpolitik der Orbán-Regierung mit großer Sorge. "Das Gesetz zentralisiert die ganze Medienstruktur in einer Weise, wie es sie seit 1989 nicht mehr gab. Und die praktische Absicht ist, sich so zusagen in der Macht zu betonieren. Es ist tatsächlich so, als bereitete man sich zumindest für dreißig Jahre als Regierungspartei vor", meint Dalos. Die Voraussetzungen dafür sind gut. Viktor Orbáns Partei, der "Bund Junger Demokraten" (Fidesz), hat bei den Wahlen im April 2010 mehr als zwei Drittel der Parlamentssitze errungen. Seitdem lässt der Regierungschef Orbán Staat und Verwaltung radikal umbauen. Dazu gehört auch eine Politik, mit der die Medien besser kontrolliert und unliebsame Kritiker sanktioniert werden können.

Schrittweise Medienkontrolle

Hand auf Fernbedienung (Foto: fotolia/rpelicer
Öffentlich-rechtliche bald von Regierungstreuen gesteuertBild: Fotolia/rpellicer

Noch bevor das neue Mediengesetz überhaupt im Parlament debattiert wurde, gründete die Regierung im Juli ein Aufsichtsgremium namens Nationale Medien- und Nachrichtenbehörde (NMHH), die über das Budget und das Personal der öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehsender sowie der staatlichen Nachrichtenagentur MTI entscheidet. Im Oktober wurde zudem ein nur mit regierungstreuen Mitgliedern besetzter, so genannter Medienrat geschaffen, der öffentlich-rechtliche und private Medien mit weitreichenden Befugnissen kontrollieren und sanktionieren kann. Grundlage dafür soll eine noch nicht in Kraft getretene "Mediencharta" werden, die Journalisten unter anderem verpflichtet, "sachlich und ausgewogen" zu berichten sowie christliche, patriotische und nationale Werte zu verbreiten.

Weitere Schritte zum radikalen Umbau der Medienlandschaft folgten in den vergangenen Wochen. Ende November bekamen die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehsender sowie die Nachrichtenagentur MTI neue Chefs - die natürlich regierungstreu sind. Am Montag (13.12.) schließlich wurden die öffentlich-rechtlichen Medien in ihrer bisherigen Form zerschlagen. Fast alle Beschäftigten von Rundfunk und Fernsehen werden demnächst in den Programmdienst- und Vermögensfond MTVA überführt. Bei den Sendern verbleiben jeweils nur noch maximal 48 oder 49 Angestellte - damit entfällt die Pflicht, einen Betriebsrat zu gründen. Künftig soll die besonders staatstreue Nachrichtenagentur MTI einen Teil der Radio- und TV-Nachrichtenprogramme produzieren. Die Fond-Konstruktion wiederum erlaubt leichtere Entlassungen bei Rundfunk und Fernsehen, über die schon seit langem spekuliert wird.

György Dalos glaubt, dass die parlamentarische Opposition - die Sozialisten und die Grün-Alternativen - so gut wie keine Chance haben, irgendetwas an dieser Medienpolitik zu ändern. Gegen die geballte Zwei-Drittel-Mehrheit seien sie machtlos. Zudem, so Dalos, seien sie schon jetzt weitgehend aus den Inhalten der öffentlich-rechtlichen Medien verdrängt worden. "Es gab eine Analyse der Rundfunk- und Fernsehnachrichten, und da taucht die Opposition selbst in den Erwähnungen kaum auf, und wenn ja, dann nur als korrupte, postkommunistische Gegnerschaft. Das heißt, es ist möglich in Ungarn, offensichtlich, bereits im Besitz der jetzigen Machtstrukturen die Kritik in den Medien zu unterdrücken."

Harsche Reaktion auf Kritik

György Dalos im Porträt (Foto: DW)
György Dalos sieht Lage in Ungarn kritisch

Nicht so leicht unterdrücken lässt sich Kritik aus dem Ausland. Es verwundert György Dalos daher nicht, dass die ungarische Regierung nahezu paranoid auf kritische Berichte in westlichen Medien reagiere. "Die westliche liberale Presse wird so dargestellt, als wenn sie unter dem Druck von einigen, des Landesverrats bezichtigten Intellektuellen eine Hetzjagd gegen Ungarn führen. All das, was kritisch gegenüber der neuen Regierung ist, wird als Verleumdung Ungarns betrachtet. Wichtig wäre natürlich, dass die europäischen Partner etwas dazu sagen." Tatsächlich haben vor längerer Zeit schon die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und das Europaparlament Bedenken gegen das geplante Mediengesetz geäußert. Dann protestierten auch der Europäische Zeitungsverlegerverband ENPA und der Verleger-Weltverband WAN-IFRA. Bewirkt haben solche Interventionen von außen bisher nicht viel - die Orbán-Regierung geht den Weg einer gelenkten ungarischen Demokratie mit großem Selbstbewusstsein. Bekannte ungarische Publizisten und Intellektuelle sprechen bereits von "Willkürherrschaft", vom "Ende der liberalen Demokratie in Ungarn", andere fürchten eine Rückkehr zur Horthy-Diktatur der 1930er Jahre.

György Dalos hingegen möchte mit seinem Blick von außen etwas differenzieren. Nicht die autoritären Tendenzen seien wirklich stark, sondern die Demokratie sei schwach. Aber er glaube trotzdem, dass eine Rückkehr zu den 20er, 30er Jahren auch in Ungarn nicht möglich sei. "Nur, natürlich vor allem diese rechtsradikalen Tendenzen, dieser wirklich hemmungslose und sprachlich primitive und obszöne und klebrige Antisemitismus und die Roma-Feindlichkeit, das ist das niedrigstmögliche Niveau einer Gesellschaft nach der demokratischen Wende 1990. Vielleicht bleiben wir eine Demokratie, aber eine unangenehme, ausgehöhlte Demokratie, die praktisch so niemand haben will. Das ist schrecklich genug", so Dalos.

Autor: Keno Verseck

Redaktion: Mirjana Dikic / Gero Rueter