Unter der Knute der Zeit: Der schwierige Wiederaufbau in Nordpakistan
25. Juni 2006Dorflehrer Mohammad Saddiq unterrichtet die Kinder im spärlichen Schatten einer kleinen Hecke. Das Schulzelt ist bei über 40 Grad im Schatten ein unerträglicher Backofen. Das Zelt hat Unicef, die Kinderhilfsorganisation der Vereinten Nationen, gespendet. "Alle Schulen in dieser Gegend sind zerstört. Sie waren schlecht und billig gebaut. Darum sind sie eingestürzt und haben Kinder erschlagen. Die Regierung hat sich seit dem Beben nicht darum gekümmert", berichtet der Lehrer.
Kein Geld für den Wiederaufbau
Nur ein paar Meter entfernt liegt das zerstörte Gehöft von Bauer Khawaj Mohammad. Sein Haus hat sich durch das gewaltige Beben verdreht. Die Ruine steht jetzt windschief an einem abgeholzten Abhang. Der nächste Erdrutsch ist nur noch eine Frage der Zeit. Der Bauer erzählt von den zahlreichen Nachbeben. "Dann schreien die Kinder vor Angst. Wir können nicht ins Haus zurück. Das wäre zu gefährlich, es ist einsturzgefährdet. Also schlafen wir im Zelt." Natürlich hat er Pläne für den Wiederaufbau, aber das Geld, das er von der Regierung zu erwarten hat, wird nicht ausreichen. "Wenn die Regierung es schafft, mit dem bisschen Geld mein Haus wieder aufzubauen, dann kann sie gerne ihre Leute schicken."
GTZ-Mitarbeiter: "Nicht Mit Hilfe überschütten!"
Ghulam Nabi Raikoti hört solche Vorwürfe mit gemischten Gefühlen. Er arbeitet als Projektberater bei der deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit. Die GTZ hilft im Auftrag der Bundesregierung beim Wiederaufbau im Erdbebengebiet. Als deutsche Regierungsorganisation muss sie eng mit den pakistanischen Behörden zusammenarbeiten. Raikoti gibt zu bedenken: "Schauen Sie sich an, was nach dem Hurrikan Katrina in den USA passiert ist. Die reichen USA waren nicht in der Lage, die Opfer ausreichend zu unterstützen. Pakistan ist ein armes Land. Wir können keine Wunder von der Regierung erwarten."
Ghulam Nabi Raikoti will mit den Handwerkern von Bela Nogram ins Gespräch kommen, stößt aber auf den Dorfvorsteher, der mit Forderungen an ihn herantritt. Der GTZ-Mitarbeiter wehrt ab: "Ich bin absolut dagegen, die Opfer des Erdbebens weiter mit Hilfe zu überschütten. Das macht sie abhängig. Es verführt die Menschen dazu, ihre Hände in den Schoß zu legen und darauf zu warten, dass eine Hilfsorganisation kommt und ihre Wünsche erfüllt. Die Leute verlieren ihren Stolz, ihre Integrität."
Häuser bauen, aus denen man sich noch flüchten kann
In Bela Nogram brauchen 150 Familien neue Häuser. Im gesamten Erdbebengebiet müssen rund 600.000 Neubauten her. Kleine, schlichte Häuser sollen es werden, gebaut von den Betroffenen selber, finanziert durch die streng begrenzte Wiederaufbauhilfe des pakistanischen Staates. Keiner wird das Haus zurückbekommen, das er verloren hat.
"Die Häuser sind beim Beben eingestürzt wie ein Glas, das hinfällt und zersplittert“, erklärt Raikoti. „Wenn ein Plastikbecher zu Boden fällt, dann kriegt er vielleicht eine Beule, aber er zerspringt nicht." Diese Prinzip will er den Menschen beibringen. "Wir zeigen ihnen, wie sie bessere Häuser bauen können. Komplett erdbebensichere Häuser gibt es nicht. Aber die Häuser sollen dem nächsten Erdbeben zumindest so lange standhalten, bis sich die Leute nach draußen ins Freie gerettet haben."
Schulung für den Aufbau nach Regeln
Die GTZ betreibt in der nordwestlichen Grenzprovinz drei Schulungszentren für Handwerker. Möglichst viele Schreiner und Maurer sollen hier in den kommenden drei Jahren lernen, wie sie mit einfachen Mitteln aus ihrer Umgebung widerstandsfähiger bauen können. Mit Holz und Ziegelsteinen, mit Stahlstreben und der richtigen Zementmischung. Für den jungen Schreiner Tahir Rafiq sind Bauregeln eine völlig neue Welt. "Solche Vorschriften gab es früher nicht. Jeder hat gebaut, so gut er konnte, ohne an die Sicherheit zu denken. Wenn ich hier fertig gelernt habe, dann gehe ich in die Dörfer, damit die gleichen Fehler nicht wieder passieren."
Für zukünftige Generationen planen - oder lieber doch Soforthilfe?
Lernen kostet Zeit. Die ausufernde Bürokratie und der strenge Zentralismus des pakistanischen Staates sind eine zusätzliche Wiederaufbau-Bremse. Aber GTZ-Mann Ghulam Nabi Raikoti glaubt an den langfristigen Erfolg. "Reden wir über Entwicklung. Entwicklung bedeutet mehr als möglichst viele Häuser, Schulen und Straßen zu bauen. Entwicklung hängt unmittelbar mit Tradition, Kultur und Bildung zusammen. Es geht beim Wiederaufbau auch um die zukünftigen Generationen."
Die Betroffenen im Bergdorf Bela Nogram denken anders. Sie sehen nur sich, ihre zerstörten Häuser. Und ihre Kinder, die auch den nächsten Winter im Zelt verbringen müssen.