Von der Leyens leidenschaftliche Bewerbung
16. Juli 2019Ihre Bewerbungsrede vor dem Europäischen Parlament würzte die Kandidatin Ursula von der Leyen mit Beispielen aus ihrem persönlichen Leben und einer Prise Leidenschaft. Sie erzählte dem gut gefüllten Plenum von dem syrischen Flüchtling, den sie in ihrer Familie aufgenommen hat. Sie erzählte von ihren sieben Kindern, die sie angesichts der Klimakrise, wie sie findet, zu recht auffordern, jetzt zu handeln. "Wartet nicht länger, macht etwas draus", gibt die 60-jährige CDU-Politikerin die Forderung ihrer Kinder wieder. Genau das will sie wohl umsetzen, sollte sie von mindestens 374 Abgeordneten am Abend als erste Frau in das Amt des EU-Kommissionspräsidenten gewählt werden.
"Ich bin als Europäerin geboren worden und habe erst später gelernt, dass ich auch Deutsche und Niedersächsin bin", sagte Ursula von der Leyen. Sie ist die Tochter eines EU-Beamten, der in Brüssel und später als Ministerpräsident von Niedersachen Karriere gemacht hat. Wie ihr Vater Ernst Albrecht vergleicht die deutsche Ministerin die Europäische Union mit einer langen Ehe. "Die Liebe wird nicht stärker als am ersten Tag, aber sie wird tiefer", sagt sie. Man wisse, dass man streiten könne in Europa, aber man wisse auch, dass man sich versöhnen könne. Die EU sei wichtig und daraus erwachse Verantwortung, meint die Kandidatin. Das einmalige Modell der sozialen Marktwirtschaft müsse trotz der Herausforderungen in einer globalen, digitalisierten Welt verteidigt werden.
"Fair und gleich" soll es zugehen in Europa, wenn es nach von der Leyen geht. "Leidenschaftlich" wolle sie für ein geeintes Europa kämpfen. Sie sei eine erbitterte Gegnerin von "Spaltung und Schwächung" in Europa, rief von der Leyen in Straßburg in Richtung der populistischen EU-Skeptiker und EU-Gegner im Europaparlament aus. Dafür erntet sie starken Applaus, auch von Sozialdemokraten und Grünen.
Eine Liste mit Versprechen
Die noch unentschiedenen Abgeordneten, vor allem bei den Sozialdemokraten mit ihren 153 Stimmen, versucht die Kommissionpräsidentin in spe mit einer Reihe von halbwegs konkreten Versprechen zu ködern. Ursula von der Leyen bietet einen "Green Deal" zur Bekämpfung der Klimaerwärmung an. Sie will ein C02-Reduktionsziel von mindestens 50 Prozent bis zum Jahr 2030 durchsetzen. 2050 soll die EU klimaneutral wirtschaften. Sie will einen Fonds für klimafreundliche Investitionen ins Leben rufen, um in zehn Jahren eine Billion Euro mobilisieren zu können. Dem Fraktionschef der Grünen, Philipp Lamberts, reicht das allerdings nicht. Ihm sind die Ziele von der Leyens zu "vage". Die Grünen, so Lamberts könnten nicht für die deutsche Kandidatin stimmen. "Den Artenschutz haben sie nicht einmal erwähnt", kritisiert Lamberts.
SPD bleibt beim Nein
Den Sozialisten und Liberalen verspricht von der Leyen eine Stärkung der europäischen Demokratie und des Europaparlaments. Die EU-Bürger sollen in einer "Konferenz für Europa" ihre Vorschläge einbringen. Künftig sollen nur noch "Spitzenkandidaten" der Parteien nach der Europawahl auch zum EU-Kommissionspräsidenten gewählt werden können. Genau dieses Modell ist bei ihrer eigenen Wahl ja gescheitert. Erst vor zwei Wochen zauberten die Staats- und Regierungschefs Ursula von der Leyen als Anwärterin auf den Kommissionsvorsitz im Rahmen eines größeren Personalpakets aus dem Hut. Die Spitzenkandidaten wurden einfach beiseite gefegt. Wegen dieser Vorgehensweise des Europäischen Rates lehnen die 16 Sozialdemokraten aus Deutschland, die Wahl der konservativen deutschen Politikerin ab. "Es geht nicht um Frau von der Leyen als Person", erklärt die SPD-Abgeordnete Katarina Barley, sondern um das Prinzip. "Es geht um eine Weichenstellung in der Europäischen Union, es geht um das Kräfteverhältnis zwischen Europäischen Parlament und dem Rat."
Kein Pardon bei Rechtsstaatlichkeit
Die sozialistische Fraktion insgesamt will am Nachmittag über ihr Stimmverhalten beraten. Die spanische Fraktionschefin Iratxe Garcia Perez gab sich in ihre Antwort auf von Leyens Rede wesentlich milder. "Es freut mich, dass wir übereinstimmen", sagte Garcia zum Beispiel mit Blick auf die paritätische Besetzung der neuen EU-Kommission mit 14 Frauen und 14 Männern, die von der Leyen ankündigte. Auch beim strittigen Thema Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit in Polen oder Ungarn ging Ursula von der Leyen auf zögerliche Sozialisten zu. "Es darf hier keine Kompromisse geben und wird es auch nicht", kündigte von der Leyen an.
Das dürfte die Nationalkonservativen aus Polen und Ungarn, denen von der Leyen in der letzten Woche angeblich noch etwas anderes erzählt hat, verärgern. Sie wollen am Nachmittag über ihre Stimmverhalten entscheiden.
Bekenntnis zur Rettung von Flüchtlingen
Die Kandidatin ließ in ihrer Rede keinen Zweifel daran, dass sie die Seenotrettung von Flüchtlingen und Migranten auf dem Mittelmeer, anders als die Rechtspopulisten von der Lega aus Italien, weiter für dringend notwendig hält. "Europa muss humane Grenzen haben", sagte von der Leyen. Sie möchte einen neuen Pakt für Asyl- und Migrationspolitik in der EU schließen, um die völlig festgefahrene Diskussionen zur Verteilung von Asylbewerbern wieder in Gang zu bringen. "Wir brauchen ein faire Lastenteilung", sagte sie. Das Asylrecht müsse gewahrt werden. Die Frontex-Grenzschutztruppe der EU solle nicht erst 2027, sondern bereits 2024 auf 10.000 Personen anwachsen, verlangte die Kandidatin. Daran waren die Mitgliedsstaaten der EU bislang gescheitert.
Von der Leyens Aussagen zur Asylpolitik und mehr europäischer Integration ließen den deutschen Rechtspopulisten von der AfD, Jörg Meuthen, ankündigen, dass seine Fraktion gegen die Kandidatin stimmen werde. "Herr Meuthen, ich bin erleichtert, dass ich von Ihnen keine Stimme bekomme, denn das ist das Gegenteil, von dem was ich will", antwortete von der Leyen unter großem Applaus.
Ergebnis am Abend
Am Ende ihrer Rede, die Ursula von der Leyen auf Französisch, Englisch und Deutsch vortrug, erhoben sich die Abgeordneten ihrer eigenen Fraktion, der Christdemokraten, zu stehenden Ovationen. Deren 183 Stimmen scheint sie sicher zu haben. Ansonsten ist noch vieles offen. Sie braucht auf jeden Fall die Zustimmung der liberalen Fraktion und den größeren Teil der Sozialisten. Beobachter in Straßburg rechnen mit einer knappen Mehrheit am Abend. Welcher Abgeordnete am Ende wie abstimmt haben wird, wird man nicht erfahren. Die Wahl ist geheim. Da Ergebnis wird gegen 19:30 MESZ erwartet.
Sollte von der Leyen abgelehnt werden, müssten die europäischen Staats- und Regierungschefs innerhalb von vier Wochen einen neuen Kandidaten vorschlagen, was angesichts der zähen Bemühungen beim letzten Mal sehr schwer möglich erscheint. Wird von der Leyen gewählt, beginnt sie im September damit, ihre EU-Kommission zusammenzustellen und übernimmt am 01. November ihr Amt. Von ihrem Amt als Verteidigungsministerin wird die CDU-Politikerin am Mittwoch zurücktreten, egal wie die Abstimmung ausgeht. Sie setzt alles auf die europäische Karte.