US-Retortenwein für die EU?
19. März 2006Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer kritisierte, das Abkommen führe dazu, dass der Markt mit billigen Kunstweinen aus den USA überschwemmt würde. Und er forderte ein Reinheitsgebot für Wein einzuführen, ohne jedoch zu erklären, wie dieses Gebot aussehen soll. In den Medien war von Plastik- und Coca-Cola-Weinen die Rede. Die Kritiker wetterten gegen Rebensäfte aus dem Chemie-Baukasten und amerikanischen Heuschreckenkapitalismus.
Mit Abscheu war immer wieder von einer Maschine die Rede, die aus dem Naturprodukt Wein ein künstliches Mischgetränk entstehen lassen soll. Monika Christmann, Professorin für Kellertechnik an der Fachhochschule für Weinbau in Geisenheim, kennt das neue Verfahren weil sie es mehrfach getestet hat. "Spinning Cone Column oder deutsch 'Schleuderkegelkolonne' ist eine Art beheizte Zentrifuge. Diese steht unter Vakuum und in dieser Kolonne wird das Produkt aufgeteilt in verschiedene Fraktionen. Momentan wird sie eingesetzt zur Herstellung von alkoholreduzierten Weinen."
Das klingt technisch und komplex, was aber für eine übliche Filtermaschine wohl auch zuträfe. In der Tat wird der Wein zerlegt und der Alkohol reduziert. Auch kleine geschmackliche Fehler lassen sich so "reparieren", doch das, was am Ende entsteht als Kunstwein zu bezeichnen, hält Monika Christmann für überzogen: "Also dass man einen Wein total so zerlegen kann in Einzelbestandteile und das wie in einem Lego-Baukasten wieder zusammen setzen kann, das geht damit sicherlich nicht."
Weltweiter Standard - made in USA?
Spinning Cone Column-Anlagen werden nicht nur beim Wein eingesetzt, sondern in vielen Bereichen der Lebensmittelbranche, zur Herstellung von Ölen, Kaffeeextrakten oder auch in Molkereien. Und ganz neu ist die Technik übrigens auch nicht: In der Weinbranche wird sie seit etwa acht bis zehn Jahren in größerem Stil eingesetzt.
Behandelt werden mit der Schleuderkegelkolonne vor allem hochwertige Weine, denn die Technik ist nicht ganz billig. Schon die Versuchsanlage kostet 700.000 Euro, der Preis für produzierende Anlagen liegt bei 1,5 bis 2 Millionen Euro, somit nichts, was sich jeder amerikanische Winzer mal eben in die Ecke stellt. Umsonst also die ganze Aufregung um den Wein aus der Retorte und das neue Handelsabkommen? Leider nein. Nur: Der Grund für Befürchtungen muss nicht die angebliche Wundermaschine sein. Monika Christmann nennt zwei kritische Punkte im neuen Weinhandelsabkommen. Zum einen müssen die Europäer auch alle zukünftigen US-Verfahren akzeptiert. Damit setzen die Amerikaner quasi weltweit den Standard - sie unterlaufen die Kontrollefunktion des internationalen Weinamtes. Und der zweite kritische Punkt ist, dass alle diese Verfahren ohne Deklaration auf dem Etikett durchgeführt werden können.
Genmanipulierte Hefe
Wie kamen die EU-Agrarminister nur dazu, den USA eine solche Machtfülle einzuräumen und Europas Weinbau auszuliefern? Für die Antwort auf diese Frage gibt es zwei Ansätze: der eine ist Nachlässigkeit bei der Prüfung des Gesetzes, der andere ist schlichter wirtschaftlicher Pragmatismus. Denn die EU exportiert weitaus mehr auf den deutlich wachsenden Konsummarkt USA als umgekehrt die USA nach Europa ausführt. Amerika hätte mit Sanktionen, sprich Einfuhrbeschränkungen gedroht, wenn die EU-Minister sich rigoros gezeigt und gegen die Importerlaubnis gestimmt hätten.
Der Vertrag beinhaltet vieles. So zum Beispiel, dass in Amerika in begrenztem Maße dem Wein - vor der Vergärung - Wasser zugesetzt werden darf. Darüber mag mancher sich aufregen, müsste dann aber auch die in Europa übliche Zugabe von Zucker kritisieren. Doch es gibt noch andere, gravierendere Details. Gunter Künstler, Spitzenwinzer aus Hochheim am Main, stört vor allem, dass genmanipulierte Hefen zugelassen sind. Er schwört auf die europäische Tradition und er betont das einzigartige Klima der deutschen Weingebiete. Häufig durch Mittelgebirge vor den kalten Nordwinden geschützt, besäßen sie mediterrane Kleinklimata und brächten einzigartige aromareiche Weißweine hervor.
Ein Standortvorteil, der nicht kampflos aufgegeben werden dürfe. Was woanders mit viel Technik imitiert werden müsste, wachse hierzulande natürlich, meint Künstler. "Es geht um den Wein, der vielleicht in Chile, in Südafrika oder in Kalifornien erzeugt wurde, und er wird dort sehr billig erzeugt, künstlich zusammengesetzt, und kommt dann 'wie ein Leiwener Klostergarten' auf den europäischen Markt. Ein billig erzeugter Auslandswein macht dann die Arbeitsplätze in diesen Steillagen an der Mosel kaputt."
Wein oder Lebensmittel?
"Rheinriesling" und "Johannisbergriesling" gehören international zu den gängigen Bezeichnungen, um deutlich zu machen, dass es sich um die deutsche Spezies dieser Traube handelt. So schmecken wie auf deutschem Boden gewachsen, muss er deshalb noch lange nicht. Das neue Gesetz geht noch einen Schritt weiter. Egal ob Chablis-like oder nach Art einer deutschen Super-Lage wie 'Leiwener Klostergarten': Alles ist erlaubt. Die regionalen und Lagenbezeichnungen sind nicht mehr geschützt.
Auch wenn er das Gesetz kritisiert - für Reinhard Löwenstein, Starwinzer von der Mosel, ist die neueste Entwicklung der Weinbereitung - historisch betrachtet - nichts Besonderes: "Wir können Wein geschmacklich so gestalten, so manipulieren, dass er eigentlich besser schmeckt wie der liebe Gott hat's wachsen lassen. Das, was in anderen Wirtschaftsbereichen schon vor 50 oder 100 oder 200 Jahren passierte, passiert beim Wein erst jetzt." Auch für Reinhard Löwenstein ist die Deklaration der springende Punkt. Die Kritik an der Anwendung moderner Technik hält er dagegen in vielen Fällen für vorgeschoben oder rückständig.
Was Reinhard Löwenstein unter Wein versteht, kann er seinen Kunden sicher deutlich vermitteln. Für die Justiz in der EU und in Deutschland wird das dagegen in der Zukunft eher schwer werden. Denn noch ist ungeklärt, wie bezeichnet werden kann, was mit den neuen Techniken entsteht. Was ist, wenn zum Beispiel mit den fraktionierten Aromaanteilen gehandelt würde. Ist das, was da entstünde noch Wein oder nur ein Lebensmittel? Wer soll es untersuchen, überwachen und bewerten? Die wichtigsten Fragen stehen noch aus. Und sie werden kaum technisch zu lösen sein.