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Politik

Afroamerikaner im Visier der Polizei

Alexander Matthews jum
1. Juni 2020

Die Proteste nach George Floyds Tod weiten sich auf die gesamten USA aus. Sie zeigen, wie groß die Wut über rassistische Polizeigewalt und die überproportional hohe Zahl der von Beamten getöteten Afroamerikaner ist.

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USA Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt 2020
Bild: AFP/T. Katopodis

Demonstranten in zahlreichen US-amerikanischen Städten protestieren nicht nur gegen den gewaltsamen Tod von George Floyd in Minneapolis. Das zeigen die Plakate, auf denen etwa "Schwarze Leben zählen" und "Ich kann nicht atmen" steht. Die Menschen sind wütend über George Floyds Tod und fordern Gerechtigkeit, aber die Slogans symbolisieren auch die tiefe Frustration über Polizeigewalt und den Wunsch, dass sich das Verhalten der Polizei in den USA grundlegend ändert, vor allem gegenüber Minderheiten.

Was sagt die Statistik?

Die Internetseite Fatal Encounters (Tödliche Zusammenstöße) dokumentiert Tötungen durch Polizeibeamte und geht zurück bis ins Jahr 2000. Derzeit werden die Daten mithilfe von 15 verschiedenen Google Alerts gesammelt. Die Datenbank gilt als eine der zuverlässigsten Quellen für Todesfälle durch Polizeigewalt in den USA. 

Am 27. Mai betrug die Zahl der Vorfälle insgesamt 28.139. Dieses Jahr wurden bereits 802 Fälle registriert. Mehr als üblich, erklärt der Gründer der Website, Brian Burghart, im Interview mit der DW: "Bis Ende des Jahres werden es wohl 1978 sein. Die höchste Zahl bislang lag bei 1854, und das war im Jahr 2018."

Schaut man sich die Datenbank von Fatal Encounters an, gab es bis zum 27. Mai keinen einzigen Tag im Jahr 2020, an dem Polizisten keinen Menschen getötet haben. Die Sammlung zeigt auch, dass von Beginn an die meisten der Getöteten Afroamerikaner waren. "Sie machen ungefähr 13 Prozent der allgemeinen Bevölkerung aus, aber etwa 26 Prozent der Todesopfer in unseren Statistiken", rechnet Burghart vor. Sie seien auch in einigen Kategorien von Todesfällen deutlich überrepräsentiert, darunter "erstickt", "medizinisches Ereignis" und "mit einem Gegenstand erschlagen / niedergeknüppelt".

Welche Fälle tödlicher Polizeigewalt haben Proteste ausgelöst?

2014 war ein Wendepunkt für Proteste gegen Tötungen durch Polizisten in den Vereinigten Staaten. Insbesondere die Todesfälle Eric Garner und Michael Brown lösten einen landesweiten Aufschrei gegen das Vorgehen vorwiegend weißer Polizisten aus. 

Im Juli 2014 wurde Eric Garner von einem New Yorker Polizeibeamten wegen des Verdachts des illegalen Verkaufs einzelner Zigaretten auf Staten Island festgenommen. Während der Verhaftung legte der Polizist Daniel Pantaleo Garner einen Arm um den Hals und nahm ihn in den Würgegriff. Auf Videoaufnahmen ist dokumentiert, dass Garner dem Beamten elf Mal sagte, dass er keine Luft bekäme, bevor er das Bewusstsein verlor - ähnlich wie auch in George Floyds Fall. Eine Stunde später wurde Garner im Krankenhaus für tot erklärt. Seine letzten Worte, die letzte Wiederholung von "Ich kann nicht atmen", sind zur Parole zahlreicher Proteste geworden und werden bis heute von Demonstranten benutzt.

USA Unruhen in Ferguson Missouri Jahrestag
"Don't Shoot" - "Nicht schießen" fordern diese Demonstranten nach den tödlichen Schüssen auf Michael BrownBild: picture-alliance/dpa/T. Maury

Nur einen Monat später wurde Michael Brown in Ferguson, Missouri, von dem Polizisten Darren Wilson erschossen. Der weiße Beamte zielte sechs Mal mit seiner Waffe auf den schwarzen unbewaffneten 18-Jährigen. Der Vorfall führte zu Unruhen in der ganzen Stadt. Menschen, die durch die Straßen marschierten, verwendeten den Slogan "Hände hoch, nicht schießen", um deutlich zu machen, dass Brown und sie selbst keine Bedrohung für Polizeibeamte darstellten und nicht ins Visier genommen werden sollten. 

Erst Mitte März dieses Jahres schossen Polizisten acht Mal auf Breonna Taylor, eine Notfallsanitäterin und angehende Krankenschwester, in Louisville, Kentucky, und töteten die 26-Jährige. Die Beamten hatten einen Durchsuchungsbefehl, der es ihnen erlaubte, ohne Ankündigung in Taylors Wohnung einzudringen. Sie waren in dem Glauben, dass ein Verdächtiger Drogen an die Adresse hatte liefern lassen. Der Vorfall hat die Spannungen in Louisville und anderswo weiter geschürt.

Was passierte nach den Tötungen?

Aus Sicht vieler Afroamerikaner wurden nach all diesen Todesfällen keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen. Eric Garners Mutter, Gwen Carr, sagte in einem Interview mit CNN, George Floyds Tod sei wieder "genau wie der Mord an meinem Sohn". 

Daniel Pantaleo, der Polizist, der Garner würgte, wurde im August 2019 entlassen, es gab jedoch keine Anklage. Darren Wilson, der Michael Brown erschoss, wurde ebenfalls nicht angeklagt. Laut dem Projekt Mapping Police Violence (Polizeigewalt Erfassen), das Fatal Encounters als eine seiner Quellen verwendet, führten 99 Prozent der Tötungen durch die Polizei nicht zu einer Anklage. 

USA Los Angeles Proteste nach dem Tod von George Floyd | Plakate Black Lives Matter
"Black Lives Matter" - "Schwarze Leben zählen": Die Bewegung gegen rassistische Gewalt in den USA entstand 2013Bild: AFP/Getty Images/M. Tama

Derek Chauvin, der Beamte, der auf George Floyds Hals kniet, wurde wegen Mord und Totschlag angeklagt. Eine Verurteilung wird jedoch die zugrunde liegenden Probleme nicht lösen, so Philip V. McHarris, Schriftsteller und Doktorand an der Universität Yale. Er beschäftigt sich insbesondere mit Rassismus und Polizeiarbeit. 

Wie lässt sich Polizeigewalt reduzieren?

"Es wird versucht, sich auf einzelne Beamte oder Vorfälle zu konzentrieren, anstatt die Dinge als ein umfassendes strukturelles Problem zu betrachten", sagt er gegenüber der DW. "Der Fokus auf einzelne Beamte wird nicht zum Ende der Polizeigewalt führen."

Laut McHarris gilt dies auch für die Schulung der Beamten in Deeskalation, Sensibilität, korrektem Verfahren und dem Tragen von Körperkameras - alles Maßnahmen, die die Polizei ergreift, um Gewalt zu reduzieren, insbesondere gegenüber Minderheiten. In einem Kommentar, den McHarris für die "New York Times" mitverfasste, argumentiert er, dass die Polizei in Minneapolis ein "Vorbild für fortschrittliche Polizeireform" sei, dass aber diese Tatsache den Tod Floyds nicht verhindern konnte.

"Der Grund, warum George Floyds Fall solche Funken schlägt, ist, dass er Teil eines traurigen Trends ist,", sagt McHarris er gegenüber der DW. "Für viele Schwarze ist es die ständige Erinnerung: Was George Floyd passiert ist, kann mir auch passieren. Das ist keine abstrakte Idee. Sie haben einen Mann vor laufender Kamera getötet, während Umstehende vergeblich darum baten, einzugreifen."

Die Reaktion auf die Proteste sei derzeit eine verstärkte Polizeipräsenz und Militarisierung. Stattdessen sei weniger Polizei nötig: "Anstatt zu versuchen, die Polizei zu reformieren und ihr mehr Ressourcen und mehr Geld zu geben, sollte man das alles vermeiden", meint McHarris. "Das Geld, das für Polizeiarbeit und Bestrafung ausgegeben wird, sollte man umschichten auf andere Programme und Initiativen, die die Unterstützung der Gesellschaft haben."