"Jazz ist eine freie Musik"
24. Februar 2019Klaus Lenz, Nestor der DDR Jazzszene, nahm sie unter seine Fittiche und machte aus der Schlagersängerin eine Jazzerin. 1971 stand sie zum ersten Mal mit Manfred Krug auf der Bühne. Bis zu seinem Tod 2016 sang sie mit ihm im Duett "Baby It's Cold Outside" und wurde mit dem gemeinsamen Programm auch im Westen berühmt. Und noch immer steht die Jazz-Ikone mit wechselnden Partnern und Projekten erfolgreich auf der Bühne. "Ich bin gar nicht mehr aufzuhalten, was die Zukunft angeht", sagt die 1947 in Leipzig geborene Sängerin und Songautorin.
In ihrer Autobiografie erzählt Uschi Brüning von der wechselhaften Geschichte des Jazz in der DDR, ihrer nicht nur musikalischen Partnerschaft mit dem Free Jazzer "Luten" Petrowsky und der langen künstlerischen Beziehung zu Manfred Krug. "So wie ich" erscheint am 22. Februar bei Ullstein.
Deutsche Welle: Uschi Brüning, Beruf: Sängerin – das wurde in der DDR vor fast fünf Jahrzehnten offiziell. Nimmt man Ihre Schlagerkarriere mit der Band Team Studio hinzu, stehen Sie seit etwa 55 Jahren auf der Bühne. Was hat Sie – bald 30 Jahre nach dem Mauerfall – veranlasst, über Ihr Leben, Ihre musikalische Entwicklung und über die Jazzszene der DDR zu schreiben?
Uschi Brüning: Wir fanden es – mein Mann war bei der Ideenentwicklung dabei – sehr interessant, auf anderen Wegen zu marschieren, als nur auf dem der eigenen Biografie, um auch politische und künstlerische Umstände der DDR miteinbeziehen zu können.
Von all den Auftritten in Ihrer langen Zeit als Jazzsängerin – gibt es da welche, an die Sie sich mit größter Lust oder vielleicht auch mit größten Beklemmungen erinnern?
Da bleibt jetzt Beklemmung hängen… Das war mein erstes Konzert überhaupt, das ich mit Klaus Lenz geben durfte. Ich bin von Leipzig nach Magdeburg gefahren, die berühmte Etta Cameron sang als Hauptact. Ich habe mir das angeguckt und sollte dann auch singen – und das war furchtbar.
Nicht vergessen habe ich als erfreuliches Event, wie ich zum ersten Mal in Berlin gesungen habe, in Karlshorst im "Eisenbahner", so hieß das. Das hat gleich ungeheuer eingeschlagen. Aber das war wirklich am Anfang meiner Karriere, so 1969/70. Ich habe bei meinen Konzerten meistens Beklemmungen gehabt, war aufgeregt, hatte Lampenfieber – und am Ende immer glücklich.
Wie kam der Jazz in die DDR?
Es gab schon immer unermüdliche Jazzfans in der DDR, die sich schwarz Schallplatten besorgten und in den Bands, die sie gründeten, Jazz spielten. Fanatiker wie die Free Jazzer Günter "Baby" Sommer, Uli Kumpert, Ernst-Ludwig Petrowsky oder Klaus Koch am Bass haben Jazz gemacht, als der noch nicht salonfähig war. Sie haben dem Jazz quasi Tür und Tor geöffnet.
Das war in den späten 60er Jahren?
Ja. Dieses Verbot, das In-der-Ecke-Stehen – das macht die Leute verrückt, so dass sie sich sagen: Nun gerade! Aus diesem "Nun gerade!" ist der Jazz in der DDR erwachsen.
Wie sind Sie selber zum Jazz gekommen?
Ich habe immer alles gern gehört, was aus dem Radio kam. Ella Fitzgerald, Mahalia Jackson, oder Louis Armstrong – das hat mir schon immer gefallen. Singen wollte ich schon als Kind. Aber durch das Einsteigen in die Band von Klaus Lenz wurde mein Name im Zusammenhang mit Jazz immer öfter genannt, weil Lenz ja für seine dem Jazz angelehnte Popmusik bekannt war, und auch für seine direkte Jazzmusik. Ab da bekam ich die Vorsilbe Jazzsängerin, obwohl ich noch gar nicht so richtig wusste, was das eigentlich ist. Das Hinterland mit den Baumwollfeldern und den Sklaven, das war schon klar. Aber was es für fantastische Musiker und Sängerinnen gab, das hat sich mir erst im Laufe der Jahre erschlossen.
Aus Ihnen spricht viel Bescheidenheit. ..
Es gibt eine Jazzsängerin, Ruth Hohmann*, die wusste schon immer was sie singt, die konnte schon Englisch – sie kam aus Eisenach – und sie hatte im Kopf und im Herzen, in ihrem Hirn wirklich das ganze Hinterland. Sie war mein Vorbild. Bis heute. Wir in der DDR haben ja erst einmal nachgesungen. Das war unsere Schule.
Sie sind die berühmteste Jazzsängerin der DDR und nach der Wende auch im Westen bekanntgeworden, was ja auch eine Ausnahme war. Nicht viele Künstler sind in Gesamtdeutschland wahrgenommen und sehr gewürdigt worden.
Ja, das stimmt. Es ist das Kreuz von Ruth Hohmann, dass sie nie so bekannt geworden ist, wie sie es verdient hätte.
Das hatte natürlich auch ein bisschen was mit meiner Liaison mit "Luten" Petrowsky zu tun. Der Free Jazzer, mein Mann, hat mich in den Westen mitgenommen und ist dann auch mal ein bisschen lauter geworden. Zusammenarbeit mit anderen Jazzmusikern ist nicht rufschädigend.
Ulrich Plenzdorf hat Sie 1972, noch in Ihren Anfangsjahren, in seinem in der DDR damals spektakulären Bühnenstück und Roman "Die neuen Leiden des jungen W." geradezu bejubelt. Haben Sie je mit ihm darüber gesprochen?
Nein. Bis zu seinem Tode nicht. Ich habe das erst gar nicht gewusst. Ein Freund, der damals Deutschlehrer war, hat es mir gezeigt. Ich war natürlich hellauf begeistert. Plenzdorf hat das geschrieben, ohne dass wir je miteinander gesprochen hätten. Später habe ich ihn nur einmal in der "Großen Melodie" im Berliner Friedrichstadtpalast kurz kennengelernt.
Wie kamen Sie denn in der männerdominierten Jazzszene zurecht?
Abgesehen davon, dass man als einzige Frau ganz, ganz, ganz einsam ist, hatte ich überhaupt keine Probleme. Die Musiker haben mich respektiert und haben in mir eine gleichwertige Kollegin gesehen. Das habe ich eigentlich überall erlebt. Ich war da immer mehr der Kumpel und nicht 'die Frau'. Gott sei Dank.
Wie funktionierte denn der Austausch in den 1970ern und 80ern vor der Wende zwischen den Jazzern in Ost und West? Fand er nur in Berlin statt?
Nein, das kann man so nicht sagen. Der Kontakt zwischen den Jazzern war relativ intensiv. Irgendjemand kannte immer jemanden unter den Kollegen. Manchmal kamen ja auch vereinzelt Jazzmusiker der DDR raus in den Westen und lernten dort Musiker kennen. Es gab auch von 1972 bis 1982 diese Veranstaltungsreihe in Peitz, "Am Karpfenteich", ein richtiges Jazz-Festival mit internationalen Künstlern. Dort spielten sogar Musiker mit Westkollegen zusammen, aber vorrangig mussten die Bandmitglieder aus einem sogenannten Drittland sein, aus Österreich oder der Schweiz. Aber auch mit der polnischen Szene gab es einen lebendigen Austausch.
Sie schreiben an einer Stelle, Jazz in der DDR, das sei ein Widerspruch in sich.
Jazz ist Ausdruck von Freiheit und Befreiung. Das war ja in der DDR noch nicht der Fall. Und dennoch hat sich der Jazz eine Nische gesucht und eine Sprache gefunden, in der er gegen den herrschenden kulturellen Geschmack kämpfte und den Widerspruch auflöste. Jazz ist eine freie Musik.
Die Ausbürgerung Biermanns 1976 war für Sie wie für viele andere Künstler, Musiker und Schriftsteller ein totaler Schock. Hat das Ihr Verhältnis zur DDR-Politik oder zur DDR-Führung stark verändert?
Wir waren fassungslos, dass es so etwas überhaupt geben konnte. Der ganze Vorgang hat mir noch mehr die Augen geöffnet. Das Dumme war, dass ja keiner wusste, was hinter den Kulissen gelaufen war. Ich wusste erst gar nicht, dass Biermann nach Köln gefahren war und sich "unanständig benommen" hatte. Die Ausbürgerung hat uns sehr empört.
Wir kannten ihn natürlich. Biermann hat uns immer vorgespielt, wir waren in seiner Wohnung, auf seinem Grundstück bei Prenzlau. Wir hatten alle eine tiefe Solidarität mit ihm. Dass man jemandem so vor die Tür setzt, das hat mir gezeigt, wo ich eigentlich lebe. Spätestens da noch einmal verstärkt, dass wir uns nicht wohl gefühlt und gewusst haben, dass wir nicht so ein gutes Leben in der DDR hatten – kulturell allemal.
Auch die Ausreise Manfred Krugs im Jahr 1977 war für Sie ein schwerer Schlag.
Ja, das war so. Weil ich ihn sehr mochte, allumfassend, künstlerisch meine ich. Das war, als wäre jetzt der Letzte gegangen. Er hatte ja einen solchen Rang und Namen in der DDR, und er ist ja auch ganz toll gewesen. Ich fühlte mich verlassen, als wäre es mein Bruder, der gegangen ist. Das war unfassbar. Wenn der nun noch geht – was ist denn dann noch hier los in der DDR? So fühlten wir alle.
Sie beschreiben, dass der Mauerfall für Sie dann doch sehr überraschend kam. Warum war das nach all den Großdemonstrationen noch so?
Es gab zwar die ganzen Demonstrationen, und man hat sich gefragt, wo soll denn das nun noch hinführen. Aber geglaubt, dass die Mauer doch mal fallen könnte, hat man eigentlich nicht. Man war so eingerichtet in das Gefühl, wir leben hier in der DDR hinter der Mauer, und wir empören uns. Aber man hatte ja keine Vorstellung, wie das laufen könnte. Insofern war das eben doch unheimlich überraschend. Wir wollten, dass es besser wird, wussten aber nicht, wie es sein könnte.
Und wie ist es geworden?
Erst mal ist es nicht so geworden, wie wir gehofft haben. Die guten Zustände, die es in der DDR gab – egal, wie sie zustande kamen – billige Mieten, billige Lebensmittel, jeder konnte einen Beruf erlernen, niemand lag auf der Straße – das war uns schon sehr viel wert. Wir dachten, dass wir Hand in Hand alles verändern können, aber es kam ja ganz anders. Das war wie eine Okkupation.
Jetzt haben wir uns alle eingelebt, und natürlich ist es schön, dass wir auch reisen können. Aber auch zum Reisen gehört Geld. Und was die Meinungsfreiheit anbelangt, die ist jetzt auch nicht so gesichert. Es ist das alte Lied in all den Jahrhunderten: Die Reichen machen die Politik, und die Politiker machen, was sie wollen. Diesen Eindruck haben wir.
Nach der Wende haben Sie Ihre Stasi-Unterlagen eingesehen. War das schockierend?
Es war eher enttäuschend. Meine Akte war ganz dünn. Ich habe eigentlich ein riesen dickes Ding erwartet, weil ich entsprechende Musik gemacht hatte und vom Beruf her quasi prädestiniert war, immer beobachtet zu werden. Es gab keine besonders negativen Überraschungen. Es war belanglos, was der Abschnittsbevollmächtigt sich da ausgedacht hatte. Ich wurde eher positiv eingeschätzt, wie ein kleines braves Mädchen, wobei ich doch dachte, ich wäre relativ wild gewesen. Ich habe ja immer irgendwie getobt und meine Meinung gesagt. Trotzdem bin ich eigentlich gut weggekommen. Ich habe auch drei IMs herausgefunden, aber auch die hatten der Stasi nur Belanglosigkeiten weitergegeben.
Sie haben 2017 für Angela Merkel gespielt und, wenn ich es richtig gelesen habe, auch sehr gern.
Ja, es hat mir Spaß gemacht, und es hat mich auch geehrt. Ich habe da nicht politisch gedacht. Ich habe eine sehr gute Erinnerung daran.
Finden Sie, dass die Kultur der DDR heutzutage immer noch viel zu wenig beachtet wird?
Ja, und jetzt noch weniger als kurz nach der Wende. Damals hat sich noch dies und jenes schon mal ergeben. Wer einen guten Namen hatte, der hatte eben auch einen guten Draht zur Neuzeit. Aber das traf auf verschwindend Wenige zu.
Aber ich muss auch sagen, das gilt nicht nur für den Westen. Auch wir Ostler blicken jetzt ganz anders auf die DDR. Das ganze Sehnsuchtsdrama ist vorbei. Jetzt lebt man hier und ist von all dem Neuen nicht mehr schockiert. Jetzt guckt man wirklich genauer hin.
30 Jahre war eine lange Zeit, aber wir kommen erst jetzt zur Besinnung, zur Ruhe, und kriegen dadurch einen ganz anderen Blick. Nicht so voreingenommen, sondern wir haben Zeit für Sachlichkeit. Wir können jetzt Dinge auseinanderhalten, die vorher noch emotional belegt waren. Jeder muss ja mit der Veränderung zurechtkommen, das war nicht immer einfach, sicherlich auch für die Westler.
*Ruth Hohmann, geb. 1937, war seit ihrem ersten Auftritt 1961 lange Zeit die einzige Jazzsängerin der DDR
Das Gespräch führte Sabine Peschel.