Verspieltes Deutschland
22. Oktober 2012Es wird gelacht, gezockt und gewürfelt. Einmal im Jahr verwandelt sich die Messe Essen für vier Tage zum größten Spielbrett der Welt. Nämlich dann, wenn die "Internationalen Spieltage" in die Ruhrgebietsmetropole locken. Rund 150.000 Besucher strömen dann in die Messehallen, um die neuesten Brett- und Kartenspiele auszuprobieren. Rund 800 Aussteller aus 36 Nationen präsentieren dort topaktuelle Trends und neu aufgelegte Klassiker.
Brettspiele zählen zu den ältesten Kulturgütern der Menschheit. Schon 2600 vor Christus soll es die ersten Vorläufer gegeben haben. Und auch Napoleon soll sich während seiner Feldzüge am liebsten die freie Zeit mit einer Partie Backgammon vertrieben haben.
Weltmeister im Spielen
In Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten ein wachsender Spielemarkt entwickelt. Rund 350 Spiele kommen hierzulande jährlich neu auf den Markt, mehr als in jedem anderen Land der Welt. Doch nicht nur die Quantität, auch die Qualität der Spiele hat sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich erhöht. Seit dem großen Erfolg von "Die Siedler von Catan", bei dem es darum geht einen Siedlungsbau zu simulieren, entdeckten auch renommierte Verlage, dass es eine große Zielgruppe für anspruchsvolle Spiele gibt. Inzwischen wird sogar eine Weltmeisterschaft zu Ehren des Kultspiels ausgetragen. Besonders im Ausland genießen "German Games", wie Autorenspiele im angloamerikanischen Raum bezeichnet werden, einen guten Ruf und zählen zu den Exportschlagern. Messeveranstalterin Dominique Metzler berichtet sogar von Brettspiel-Cafés in Korea, die dort vor einigen Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. Koreaner bezahlten dort sogar Geld, um deutsche Brettspiele zu spielen. "Und das, obwohl noch nicht einmal die Spielanleitungen übersetzt worden waren", erzählt Metzler begeistert.
Spielen ist Familiensache
"Deutsche Spiele sind ein Exportschlager", stelt auch Hermann Hutter von der Fachgruppe Spiel der Messe fest. Deutsche Spieleerfinder gelten als die Kreativsten in der Branche und werden einmal im Jahr auf der Essener Spielemesse mit dem "Deutschen Spiele-Preis" geehrt. In diesem Jahr räumte das Spieleerfinder-Ehepaar Inka und Markus Brand zusammen mit ihren beiden Kindern (10 und 12 Jahre) in gleich zwei wichtigen Kategorien ab. Sowohl der Preis für das beste Familienspiel als auch das beste Kinderspiel ging an die kreative Familie aus Gummersbach. Der Clou: In dem von den Geschwistern ausgedachten Kartenspiel "Mogel Motte" ist Schummeln ausdrücklich erwünscht. Gespielt wird in ihrer Familie in jeder freien Minute, berichtet Sohn Lukas. Mogel Motte habe er gemeinsam mit seiner Schwester Emely in nur zwei Stunden erfunden.
Gemeinsam statt einsam zum Ziel
Denn Spiele haben heutzutage viele Gesichter. Ein großer Trend, der sich auf der Messe bereits abzeichnete, sind sogenannte kooperative Spiele. Hier spielen die Mitspieler nicht gegeneinander, um einen einzigen Sieger zu ermitteln, sondern kooperieren mit dem Ziel, gemeinsam zu gewinnen. Auch hybride Spielsysteme sind nach wie vor stark im Kommen und ein weiterer Beweis dafür, wie massiv sich die Spielindustrie in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. Schließlich will man auch am Computer-Zeitalter teilhaben. Anders als vermutet, handelt es sich bei Hybrid-Spielen aber nicht um PC-Spiele, sondern lediglich um elektronische Erweiterungen zum Beispiel in Form von Apps zu althergebrachten Karten- und Brettspielen. Marktführer wie Ravensburger gehörten zu den ersten Verlagen, die den Trend erkannten und viel Energie in die Entwicklung neuer Formate investierten, die inzwischen rund 20% des Gesamtprogramms ausmachen. "Wir setzen auf intelligente Elektronik", erklärt ein Firmensprecher. "Ein Beispiel ist 'TipToi'. Das ist ein völlig neues audiodigitales Lernsystem, mit dem Kinder die Welt durch einen digitaler Lesestift spielerisch entdecken. Die zugehörige Audiodatei lädt sich der Kunde kostenlos über das Internet auf den Stift."
Brettspiel ohne Konkurrenz
Doch trotz all der Innovationen bleiben klassische Brett- und Kartenspiele weiterhin der Schwerpunkt der Messe, bekräftigt Messeveranstalterin Dominique Metzler. Vor allem klassische Gesellschaftsspiele liegen wieder voll im Trend. Denn, so Metzler: "Brettspiele verbinden. Nirgendwo ist es leichter generationsübergreifend miteinander zu kommunizieren." Auch der Videospiel-Konkurrenz sieht sie gelassen entgegen: "Kinder werden Brettspiele immer lieben. Weil sie dort fast immer besser als die Erwachsenen sind. Brettspiele sterben nicht so einfach aus." Das beliebteste unter ihnen, "Mensch ärgere dich nicht", zählt seit fast 100 Jahren zu den Dauerbrennern und hat sich inzwischen über 70 Millionen Mal verkauft. Anders als das auf der Spielmesse prämierte "Mogel Motte" setzt der auf der ganzen Welt bekannte Klassiker ganz auf das Prinzip Schadenfreude und ist vermutlich deshalb so erfolgreich. Aber auch der in die Jahre gekommene Bestseller "Monopoly" erfreut sich aktuell wieder großer Beliebtheit. Das während der Großen Depression in den USA populär gewordene amerikanische Brettspiel verkauft sich immer dann besonders gut, wenn es der Wirtschaft schlecht geht.
In Zeiten der Krise setzt der Kunde am liebsten auf bewährte Klassiker. Zur Not eben auf dem iPad. Denn Brettspiele wie "Monopoly", "Risiko" und "Die Siedler von Catan" erleben zurzeit eine Renaissance auf der digitalen Spielwiese. Sie können nämlich auch dann gespielt werden, wenn gerade kein menschlicher Mitspieler greifbar ist. Außerdem entfällt der lästige Auf- und Abbau des Spielfeldes. Wer also glaubt, die Anziehungskraft für Monopoly & Co. hätte im digitalen Zeitalter nachgelassen, irrt. Gespielt wird immer. Zur Not eben auf dem iPad.