Die Kassen sind leer
4. Februar 2012Deutschlands Verteidigungsminister Thomas de Maizière formulierte es gleich in seiner Eingangsrede der Münchner Sicherheitskonferenz: "Die Finanz- und Schuldenkrise belastet die Haushalte und damit unweigerlich auch die Verteidigungsbudgets beiderseits des Atlantiks."
Die europäischen Verteidigungshaushalte stagnieren schon länger, nicht erst seit der Finanzkrise. Doch nach zehn Jahren massiver Aufrüstung stehen nun auch in den USA schmerzhafte Einschnitte bevor. Zwar beträgt der amerikanische Verteidigungshaushalt noch rund 660 Milliarden US-Dollar. Angesichts der dramatischen Entwicklung ihres Haushaltsdefizits kommt aber auch die größte Militärmacht der Welt um Einsparungen nicht herum. Verteidigungsminister Leon Panetta hat Mitte Januar Kürzungen in Höhe von 487 Milliarden US-Dollar über einen Zeitraum von 10 Jahren angekündigt. Das entspräche einer Kürzung von insgesamt acht Prozent.
USA setzen neue Prioritäten
In Zukunft setzen die USA auf vernetzte, intelligente Systeme und eine Erweiterung der globalen Sicherheitspartnerschaft. US-Außenministerin Hillary Clinton, die zusammen mit Panetta und einer Schar von US-Senatoren nach München gereist war, betonte: "Europa ist und bleibt der erste und wichtigste Partner der Vereinigten Staaten."
Zur Stärkung des transatlantischen Bündnisses wollen die USA nun sogar erstmals Kampfeinheiten für die sogenannte "NATO Response Force" (NRF) zur Verfügung stellen, wie Verteidigungsminister Panetta in München ankündigte. Dazu soll in den kommenden Monaten eine US-Brigade ausgewählt und ein Einsatzverband in Bataillonsgröße nach Deutschland entsandt werden, um dort mit den europäischen Partnern zu trainieren. Dennoch ließ die große US-Delegation auch in München keine Zweifel daran aufkommen, dass die neuen Prioritäten der amerikanischen Außen- und Verteidigungspolitik nicht in Europa sondern im pazifischen Raum liegen.
Europa muss mehr tun
Der angekündigte permanente Abzug von zwei US-Kampfbrigaden aus Europa ist das auffälligste Merkmal dieser strategischen Neuorientierung. Sie lässt den Europäern kaum eine andere Wahl: "Europa wird künftig stärker für seine eigene Sicherheit sorgen müssen", so Deutschlands Verteidigungsminister Thomas de Maizière bei der Sicherheitskonferenz. Er plädierte in München für eine Stärkung des europäischen Pfeilers in der NATO, anstatt "ein europäisches Sicherheitsbündnis in Doppelung zu schmieden".
In jedem Falle zwingen die leeren Staatskassen die Europäer nun zu intelligenteren Lösungen. "Unsere Aufgabe besteht darin, unsere begrenzten Ressourcen klüger und effizienter einzusetzen", sagte Bundesaußenminister Guido Westerwelle in seiner Münchner Rede.
"Smart Defence" lautet das englische Zauberwort für alles, was dazu geeignet ist, militärische Synergieeffekte herzustellen. Im Kern bedeutet dies: die gemeinsame Beschaffung und der gemeinsame Unterhalt von Militärkomponenten, außerdem die multilaterale Vernetzung schon bestehender Einheiten. Schon jetzt gibt es viele Felder der Zusammenarbeit im NATO-Bündnis. Die Anzahl und die Qualität wirklich neuer Vorschläge ist gegenwärtig allerdings überschaubar.
Das Zauberwort heißt "Smart Defence"
Deutschland hat sich zum Beispiel bereit erklärt, die Federführung für die Einrichtung eines Pools von Flugzeugen zur Seeraumüberwachung zu bilden. Eine Fähigkeit, die zum Beispiel den Anti-Piraterie-Einsatz am Horn von Afrika betrifft. Zu den sogenannten intelligenten Lösungen wird neuerdings auch die "Alliance Ground Surveillance" (AGS) gezählt. Dabei werden 13 Mitgliedsstaaten - darunter auch Deutschland - der NATO fünf unbemannte Aufklärungsflugzeuge für den Einsatz in Konflikt- und Krisengebieten zur Verfügung stellen. Auch die Einrichtung eines multinationalen Hauptquartiers zur operativen Führung von Einsätzen im Rahmen von NATO und EU würde zu den geplanten Kooperationsmaßnahmen gehören.
Doch auch "Smart Defence" gibt es nicht zum Nulltarif. Mit deutlichen Worten erinnerte US-Verteidigungsminister Leon Panetta die Europäer in München daran, dass dazu weitere Investitionen in ihre Streitkräfte notwendig sind. Und Außenministerin Clinton fügte warnend hinzu: "Wir dürfen uns auf den Lorbeeren der Geschichte nicht ausruhen und müssen den Weg in eine sichere Zukunft gemeinsam abstecken."
Ob dazu auch eine gemeinsame Raketenabwehr mit Russland gehören wird? Das könnte künftig Kosten dämpfend auf die Nato-Verteidigungshaushalte wirken. In München war auch das ein Gegenstand von Diskussionen. Die Gespräche hierüber mit Moskau sind allerdings seit geraumer Zeit festgefahren. Konferenzleiter Wolfgang Ischinger will die Raketenabwehr schon seit Langem zu "einem gemeinsamen Projekt der Vertrauensbildung zwischen West und Ost machen".
Gemeinsame Raketenabwehr mit Russland?
Doch danach sieht es in München bisher noch nicht aus. Im Rahmen der Euro-Atlantischen Sicherheitsinitiative (EASI) gab eine internationale Expertenkommission zwar neue Vorschläge ab, die in diese Richtung zielen. Demzufolge könnte die geplante Kommandozentrale der NATO für ein solches Raketenabwehrzentrum später mit einer russischen Kommandozentrale "verschwistert" werden. So könnte es zu einem für beide Seiten profitablen Datenaustausch kommen.
Doch der russische Außenminister Sergej Lawrow lehnte ein NATO-zentriertes Raketenabwehrsystem in München noch einmal ausdrücklich ab. Das Thema drohe einen "Keil" zwischen Russland und den Westen zu schieben, sagte Lawrow. Immerhin schloss der Vertreter Moskaus weitere Verhandlungen zum Thema Raketenabwehr nicht kategorisch aus. Ein "Licht am Ende des Tunnels" vermochte Lawrow derzeit bei diesen "schwierigen Konsultationen" allerdings auch nicht zu erkennen.
Autor: Daniel Scheschkewitz, zurzeit München
Redaktion: Klaus Dahmann