27 verschiedene Reiseregeln in der EU
29. Juli 2020Deutschland prescht innerhalb der Europäischen Union vor. Von kommender Woche an sollen Einreisende aus "Risikogebieten" zu einem Corona-Test verpflichtet werden. Es ist damit das erste Land, das diese Tests zwingend macht. Allerdings gibt es bereits heute ein Sammelsurium an Ein- und Ausreisebestimmungen in den 27 Mitgliedsstaaten der EU. Seit Mitte Juni die Normalisierung des Reiseverkehrs mit einem gemeinsamen EU-Beschluss empfohlen wurde, hat sich jedes Land eigene Regeln ausgedacht. Nachzulesen sind sie auf der von der EU-Kommission betriebenen Internetseite reopen.europa.eu.
Jeder hat eigene Regeln
Schweden und Griechenland haben keine Beschränkungen für Einreisen aus dem EU-Ausland. Lettland verlangt von Einreisenden aus Belgien, dass sie sich 14 Tage in Quarantäne begeben. Belgien wiederum stuft Lettland als "oranges Risikogebiet" ein. Eine Quarantäne wird empfohlen, aber nicht vorgeschrieben. Einreisen aus bestimmten Gebieten Portugals und Spaniens nach Belgien sind dagegen strikt untersagt. Die Liste der Reisebeschränkungen lässt sich sehr lang fortsetzen. Jedes EU-Land folgt seinen eigenen Regeln und Definitionen. Manche Länder verlangen ein Formular zur Kontaktverfolgung, manche bevorzugen eine Anmeldung online vor Reiseantritt. Manche lassen die Einreise zu, wenn ein negativer Corona-Test aus dem Heimatland vorliegt.
Was ist ein Risiko?
Zur Verwirrung trägt auch bei, dass es keine EU-einheitliche Definition gibt, was ein "Risikogebiet" ist. In Deutschland legt das "Robert-Koch-Institut" diese Gebiete fest. Zurzeit wird von der deutschen Behörde innerhalb der EU nur Luxemburg als "Risikogebiet" ausgeworfen. Nordspanien gehört nicht zu den in Deutschland definierten "Risikogebieten". Einreisende von dort müssen sich also nicht dem anfangs erwähnten Zwangstest unterziehen. Menschen aus Luxemburg aber schon. Viele Staaten sehen Teile Rumäniens und Bulgariens als Corona-Hotspots an und haben Reisen entsprechend eingeschränkt.
EU-Behörde sieht nur wenige Hotspots
Einen europaweiten Überblick über das Infektionsgeschehen, das Rückschlüsse auf "Risikogebiete" zulässt, versucht die "Europäische Agentur für Seuchenkontrolle" (ECDC) in Stockholm zu geben. Diese EU-Behörde sammelt die Daten aller Mitgliedsstaaten und gibt täglich eine Karte aufgeschlüsselt nach Regionen und Infektionsraten heraus. Auf der heutigen Karte erkennt man, dass laut ECDC, die Schwerpunkte der Corona-Infektionen in Nordspanien, Lissabon, Flandern (Antwerpen), Luxemburg, Schweden sowie Teilen Rumäniens und Bulgariens liegen. Deutschland, Italien, Frankreich, die baltischen Staaten, Griechenland liegen unter 20 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner in den letzten 14 Tagen. Das ist der Wert, den das ECDC, als Messlatte anlegt. Auch dieser Warn-Wert wird nicht einheitlich gehandhabt. In manchen Ländern liegt er bei 16 oder auch (wie in Deutschland) bei 50 neuen Fällen pro 100 000 Einwohnern.
Seehofer: Keine Grenzschließungen
Ein Blick auf die Karte des ECDC zeigt, dass nicht ganze EU-Staaten, sondern nur begrenzte Regionen von steigenden Corona-Zahlen betroffen sind. Deshalb hat es auch keinen Sinn, die Grenzen zu kompletten Staaten zu schließen. Wichtiger ist es, regionale Seuchenherde zu finden, sie zu isolieren und Infektionsketten auch über Ländergrenzen hinweg zu finden. Aus der Serie der Grenzschließungen im März, April und Mai hatten die EU-Staaten gelernt, bei einer möglichen zweiten Welle regionaler vorzugehen. Dementsprechend kündigte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) am Montag in Berlin an, es werde keine erneuten Grenzschließungen oder verschärften Grenzkontrollen geben. "Wir hatten riesige Probleme politisch", sagte Seehofer. Die will er bei einer möglichen neuen Welle vermeiden. Nicht das Reisen an sich, sondern das Verhalten der Urlauber im Zielland und Zuhause seien das Problem, heißt es von Pandemie-Experten.
Erste oder zweite Welle?
Die Frage, ob es in der EU bereits eine zweite Pandemie-Welle gibt, lässt sich nicht einfach beantworten. Es ist richtig, dass die Ansteckungszahlen tendenziell nach oben gehen, so die EU-Seuchenbehörde (ECDC). Von Verhältnissen wie im März und April ist man aber noch weit entfernt. Damals lagen die Spitzen der täglichen Ansteckungen bei 35.000. Heute sind es rund 10.000. Der niedrigste Wert war Ende Juni mit unter 5000 verzeichnet worden.
Verglichen mit anderen Regionen der Welt schneidet die EU noch gut ab. Weltweit stecken sich in diesen Tagen etwa 200.000 Personen täglich mit Coronaviren an. Die große Masse der Ansteckungen erfolgt in Amerika und Asien. In der EU werden fünf Prozent der weltweiten Infektionen registriert.
Fast abgeschottet vom Rest der Welt
Diese Zahlen führen dazu, dass in Deutschland fast alle Staaten außerhalb Europas zum "Risikogebiet" erklärt wurden. Von Reisen in die USA, nach Brasilien, Indien oder Südafrika wird dringend abgeraten. Bei der Rückkehr muss mit Quarantäne und ab nächster Woche mit einem obligatorischen Corona-Test gerechnet werden. Die Reiseregelungen mit dem Rest der Welt sind in der EU - wen wundert es - natürlich auch nicht einheitlich. Viele Staaten lassen touristische Einreisen aus Ländern wie Kanada, Australien, Uruguay oder Thailand zu. Ungarn, Polen, Belgien und Lettland dagegen schließen auch Einreisen aus diesen Staaten aus. Die Grenzen dieser Staaten sind komplett geschlossen, während Portugal unter bestimmten Bedingungen Einreisen aus Brasilien und den USA zulässt.
Von einheitlichen Regeln für Reise in Zeiten von Corona ist die EU weit entfernt. Die EU-Kommission in Brüssel kann nur ein wenig koordinieren und Daten sammeln lassen. Die Mitgliedsstaaten sind nach wie vor alleine für Gesundheitsschutz und Einreiseregeln an ihren Grenzen zuständig. Alle 14 Tage trifft sich ein Ausschuss in Brüssel, um über Lockerungen der Reisebeschränkungen zum Beispiel in die USA, nach Russland oder China zu beraten. In naher Zukunft gebe es kaum Hoffnungen auf eine Normalisierung, meint ein EU-Beamter. "So lange das Virus da draußen ist, bleibt fast alles dicht."