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Viel erreicht, aber noch viel zu tun

Marcus Lütticke3. Dezember 2013

Der 3. Dezember ist der "Internationale Tag der Menschen mit Behinderung". Deutschland schreibt Integration groß. In der Arbeitswelt läuft aber noch nicht alles rund für Menschen mit Handicap.

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Arbeitsgruppe "Holz" der GWK Behindertenwerkstatt Köln-Rodenkirchen (Foto: DW/M. Lütticke)
Bild: DW/M. Lütticke

Auf den ersten Blick wirkt es wie der Werkraum einer Schule: in der Mitte ein paar große Tische, an den Wänden Schränke und Regale mit Farben, Holzstücken und Werkzeugen. Auf den Fensterbänken steht selbstgebastelte Deko. Es wird gefeilt, geschmirgelt und gemalt.

"Heute ist es sehr ruhig, das ist aber nicht immer so", sagt Christian Bosnic. "Unsere Arbeiten für den Weihnachtsbasar haben wir so gut wie abgeschlossen." Bosnic arbeitet in der Holzwerkstatt der Gemeinnützigen Werkstätten Köln - eine von rund 700 Werkstätten für Menschen mit Behinderung in Deutschland.

Bosnic geht gerne zur Arbeit. Seit einem knappen Jahr ist der 24-Jährige nun in der Kölner Werkstatt und macht dort eine Art Ausbildung. Wenn er sitzt, merkt man ihm seine körperliche Einschränkung nicht an. "Ich habe eine rechtsseitige Spastik, aber nur im Bein." Bevor er in der Kölner Werkstatt anfing, hatte er es auch auf dem regulären Arbeitsmarkt versucht. Aber in der Kölner Werkstatt kommt er wesentlich besser zurecht und fühlt sich wohl.

Arm trotz Arbeit

Für seine Arbeit bekommt er 5,11 Euro. Nicht in der Stunde, nicht am Tag, sondern im Monat. Wenn er die Ausbildung abgeschlossen hat, gibt es mehr Geld. "Die Löhne hier beginnen bei 75 Euro im Monat, enden bei 800 bis 900 Euro, aber der bundesweite Durchschnitt liegt bei etwa 230 Euro", erklärt Betriebsstättenleiter Engelbert Becker. Da von so wenig Geld niemand leben kann, stockt der Staat dieses Gehalt auf. Letztendlich steht den Beschäftigten dann ein Einkommen zur Verfügung, das etwas über dem Niveau der Grundsicherung liegt.

Christian Bosnic bearbeitet Holz in der GWK Behindertenwerkstatt Köln-Rodenkirchen (Foto: DW/M. Lütticke)
Christian Bosnic arbeitet trotz der geringen Bezahlung gerne in der WerkstattBild: DW/M. Lütticke

Becker sagt, er würde gerne mehr bezahlen. "Das Problem ist nur: wir sind ein Wirtschaftunternehmen. Ich kann nicht mehr bezahlen als das, was die Leute erwirtschaften." Denn die Werkstätten stehen auf dem Markt im Wettbewerb mit anderen Unternehmen - sie müssen sich um Aufträge aus der Wirtschaft kümmern und diese zu marktüblichen Preisen erledigen. Denn neben Bastelarbeiten für den Weihnachtsbasar werden in den Kölner Werkstätten auch Teile für die Automobilindustrie, für Fensterrahmen oder für Träger von Solarmodulen gefertigt.

Grundsätzlich sollen die Werkstätten für die Beschäftigten als Sprungbrett in den regulären Arbeitsmarkt dienen. Doch in der Realität sieht das meist anders aus. "Die Vermittlungsquote liegt im einstelligen Prozentbereich", erklärt Becker, "weil die meisten keine Chance und viele auch gar nicht das Bedürfnis haben".

Umdenken in der Arbeitswelt

Eigentlich müssen Betriebe in Deutschland mindesten fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze mit Menschen mit Behinderung besetzen. Doch viele Unternehmen erfüllen diese Quote nicht und zahlen lieber eine Ausgleichsabgabe. "Das kann nicht sein", findet Ilja Seifert, Vorsitzender des Allgemeinen Behindertenverbandes in Deutschland. "Wenn man ein Gesetz nicht einhält, muss man bestraft werden. Es geht nicht, dass man sich da freikaufen kann."

Engelbert Becker, Betriebsstättenleiter der GWK Behindertenwerkstatt Köln-Rodenkirchen (Foto: DW/M. Lütticke)
Engelbert Becker muss die Wirtschaftlichkeit der Werkstatt sicherstellenBild: DW/M. Lütticke

Seifert wünscht sich ein generelles Umdenken in der Arbeitswelt. Die zunehmende Arbeitsverdichtung müsse beispielsweise wieder rückgängig gemacht werden: "Es kann doch nicht sein, dass immer mehr Menschen dadurch psychisch krank werden und dann mit ihrer Erkrankung nur noch in einer Werkstatt arbeiten können, weil dort der Druck nicht so hoch ist."

Wenig Unterstützung bei Assistenz

Neben den Problemen auf dem Arbeitsmarkt haben Behinderte auch ein höheres Armutsrisiko. Denn wer sein Leben aufgrund einer körperlichen oder geistigen Einschränkung nicht alleine bewerkstelligen kann, braucht Assistenz. Und die kostet Geld. Momentan sind die Betroffenen damit teilweise auf sich gestellt. "Erst mal muss das eigene Geld verbraucht werden und dann das der Familie", erklärt Seifert. Wer als gutverdienender Mensch einen Behinderten heirate, sei als Ehepartner mit haftbar und dürfe nur noch 2600 Euro auf dem Konto haben, damit das Sozialamt für die Assistenzleistungen einspringe. Das stehe im Widerspruch zur UN-Behindertenkonvention, die fordert, dass die Gesellschaft Teilhabe ermöglicht.

Ilja Seifert, Vorsitzender des Allgemeinen Behindertenverbandes in Deutschland (Foto: DW/Y. Vishnevetskaya)
Ilja Seifert hofft auf einen gesellschaftlichen Wandel im Umgang mit BehindertenBild: DW/Y. Vishnevetskaya

Mobilität von Behinderten gestiegen

Zur Teilhabe gehört natürlich mehr als Arbeit und Geld. In vielen Punkten, so Seifert, habe Deutschland in den letzten Jahren auch große Fortschritte gemacht. "Vor 20 oder 25 Jahren hat niemand damit gerechnet, dass man im öffentlichen Personenverkehr mit einem Rollstuhl gut zurechtkommt. Heute ist das in den Städten meist kein Problem. Der Bus neigt sich, man steigt ein und ist drin." Das sei von den Behindertenverbänden hart erkämpft worden.

Im internationalen Vergleich sieht er Deutschland im Mittelfeld. Schaue man nach Osteuropa, so sei die Situation für Menschen mit Behinderung weitaus schlechter. Sehr fortschrittlich sei in vielen Punkten dagegen Skandinavien. Deutschland sei aber auf einem guten Weg. "Es geht peu à peu voran, mir nicht schnell genug, aber es geht voran."