Vietnam riskiert gute Beziehungen zu Deutschland
2. August 2017Am 23. Juli hat der vietnamesische Geheimdienst den vietnamesischen Staatsbürger Trinh Xuan Thanh (Artikelbild) aus dem Berliner Tiergarten entführt. Das bestätigte Martin Schäfer, der Sprecher des Auswärtigen Amts, am Mittwoch auf der Bundepressekonferenz in Berlin. Es gebe keine Zweifel an einer Beteiligung der vietnamesischen Dienste und der Botschaft der Sozialistischen Republik Vietnam. Thanh hatte in Deutschland Asyl beantragt. Eine Entscheidung ist noch anhängig.
Der Vertreter des vietnamesischen Nachrichtendienstes wurde zur persona non grata erklärt und muss Deutschland innerhalb von 48 Stunden verlassen. Polizei und Staatsanwaltschaft in Berlin haben die Ermittlungen aufgenommen. Der vietnamesische Botschafter wurde einbestellt.
Sturz eines Mächtigen
Trinh Xuan Thanh war im September 2016 in Ungnade gefallen. Er war bis dahin Vorstandsvorsitzender der Petro Vietnam Construction Cooperation, einem Tochterunternehmen des staatlichen Konzerns Petro Vietnam, das Erdölfördertechnik herstellt, und Vizechef der südvietnamesischen Provinz Hau Giang am Mekong. Im Mai 2016 war er außerdem in die Nationalversammlung gewählt worden.
Im September wurde er sämtlicher Posten enthoben und aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen. Der Vorwurf: Missmanagement. Thanh habe, so die Staatsmedien, gegen Regelungen zum Management von Staatsunternehmen verstoßen und so Verluste in Höhe von 125 Millionen Euro verursacht. Am gleichen Tag wurde ein Haftbefehl ausgestellt. Da sich Thanh zum damaligen Zeitpunkt im Ausland aufhielt, konnte der Haftbefehl nicht vollzogen werden.
Kontakte nach Deutschland
Lange Zeit war unklar, wo sich der Geflüchtete aufhielt. Unter vietnamesischen Bloggern gab es immer wieder das Gerücht, er sei in Deutschland untergetaucht. Unter anderem deshalb, weil Trinh Xuan Thanh mit dem in Berlin lebenden regierungskritischen Blogger Nguoi Buon Gio ("Der Windhändler") gesprochen hatte. Nguoi Buon Gio, der eigentlich Bui Thanh Hieu heißt, lebt seit 2013 in Deutschland. Er war Stipendiat des PEN-Zentrums und bloggt weiterhin regelmäßig über Vietnam.
Auf dem Blog erklärte Thanh auch, dass der eigentliche Grund für seinen Sturz nicht Missmanagement gewesen sei. Tatsächlich sei er innerhalb der KPV Wortführer eines Flügels gewesen, der dem ehemaligen Präsidenten und aktuellen Parteichef Nguyen Phu Trong gefährlich geworden sei. Konkrete Angaben machte er allerdings nicht. Thanh drohte außerdem damit, die Machtstrukturen des vietnamesischen Systems offenzulegen sowie Partei- und Regierungsinterna an die Öffentlichkeit zu bringen.
Jüngstes Opfer eines parteiinternen Machtkampfs?
Es gibt seit längerem Anzeichen dafür, dass es innerhalb der KPV einen Flügelkampf gibt. Dabei stehen sich konservative Marxisten und pragmatische Kapitalisten gegenüber. Bisheriger Höhepunkt des vietnamesischen Machtkampfes war der XII. Parteitag im Januar 2016. Damals setzte sich der konservative Flügel unter der Führung von Nguyen Phu Trong durch. Er hatte den wegen Korruptionsvorwürfe umstrittenen Premier Nguyen Tan Dung kaltgestellt. Am 7. Mai 2017 musste dann Dinh La Thang seinen Posten im Politbüro räumen. Er war unter Premier Nguyen Tan Dung Vorsitzender von Petro Vietnam gewesen und später Transportminister. Ding La Thang wiederum arbeitete eng mit dem jetzt entführten Trinh Xuan Thanh zusammen. Alles deutet demnach darauf hin, dass die Parteiführung in Vietnam Partei und Regierung auf Linie bringen will.
Das bevorzugte Mittel im Kampf gegen politische Gegner ist die Anti-Korruptionskampagne der KPV, die gewisse Parallelen zur Korruptionsbekämpfung von Präsident Xi Jinping in China aufweist. In den letzten Monaten mussten Dutzende hochrangige Regierungs- und Parteimitglieder oder Manager von staatseigenen Unternehmen ihre Posten räumen. Dabei wurden erhebliche Strafen bis hin zur Todesstrafe verhängt. Im Februar 2017 wurden zwei Manager des staatlichen Schiffbauers "Vinashin Ocean Shipping" wegen Unterschlagung mit der Höchststrafe belegt. Ob auch Thanh die Todesstrafe droht, ist unklar.
Vietnam riskiert gute Beziehungen zu Deutschland
Der Fall Trinh Xuan Thanh zeigt, dass die vietnamesische Regierung bereit ist, die guten Beziehungen zu Deutschland aufs Spiel zu setzen. Beide Länder pflegen eine strategische Partnerschaft. Im aktuellen Fall ist besonders befremdlich: Es gibt eigentlich seit 2009 einen deutsch-vietnamesischen Rechtsstaatsdialog, dessen erklärtes Ziel es ist, einen gemeinsamen Beitrag zur Durchsetzung von rechtsstaatlichem Denken und Handeln zu leisten, inklusive des effektiven Schutzes der Menschenrechte. Der Sprecher des Auswärtigen Amtes Schäfer sagte heute: "Die Entführung des vietnamesischen Staatsangehörigen Trinh Xuan Thanh auf deutschem Boden ist ein präzedenzloser und eklatanter Verstoß gegen deutsches Recht und gegen das Völkerrecht." Und fügte hinzu: "Ein derartiger Vorgang hat das Potential, die Beziehungen zwischen Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam massiv negativ zu beeinflussen." Es handle sich um einen extremen Vertrauensbruch.
Die Bundesregierung verlangt, dass Trinh Xuan Thanh unverzüglich nach Deutschland zurückreisen kann, damit der Antrag auf Auslieferung und der Antrag auf Asyl jeweils in einem rechtstaatlichen Verfahren zu Ende geprüft werden können.