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Zensus 2011

9. Mai 2011

Deutschland ist seit mehr als 20 Jahren wiedervereint. Aber wie viele Menschen nun in Ost- und West leben, weiß keiner so ganz genau. Denn die letzte Volkszählung ist lange her. Der Zensus 2011 soll neue Zahlen liefern.

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Logo des Zensus 2011 (Copyright: Statistisches Bundesamt)
Bild: Statistisches Bundesamt

Erstmals seit der Wiedervereinigung zählt Deutschland seine Köpfe - am Montag (09.05.2011) fiel der Startschuss für den sogenannten "Zensus 2011". Die Deutschen werden sich an Volkszählungen gewöhnen müssen. Gemäß einer EU-Richtlinie finden diese nun alle zehn Jahre statt - ein Zeitraum, der übrigens auch bei den Vereinten Nationen Standard ist. Die letztmaligen Volkszählungen in Deutschland wurden noch vor der Deutschen Einheit durchgeführt - 1987 in der Bundesrepublik, in der DDR sogar noch weiter zurückliegend, nämlich 1981.

Vor kurzem startete das zuständige Bundesamt für Statistik in Berlin eine große Aufklärungskampagne für die neue Volkszählung. Mit TV-Spots, Plakaten und einem Internetportal soll die Bevölkerung informiert und Skeptikern der Wind aus den Segeln genommen werden.

Roderich Egeler (Foto: dpa)
Roderich Egeler, Präsident des Statistischen Bundesamtes und BundeswahlleiterBild: picture alliance/dpa

Die zentrale Botschaft der Kampagne: Deutschland braucht eine moderne Volkszählung, um wichtige Fragen der Zukunft beantworten zu können. Eine der Frage lautet zum Beispiel: "Welche Infrastruktur bringt uns morgen weiter?".

Beim Zensus 2011 geht es nicht allein um das Zählen von Köpfen, sondern auch um das Abfragen von Basisinformationen zum Leben und Wohnen im Land. "Deutschland braucht aktuelle Daten, um die Zukunft unserer Gesellschaft zu planen", sagt der Präsident des Statistischen Bundesamtes, Roderich Egeler.

Drei Gruppen

Es gibt verschiedene Techniken bei Volkszählungen. Der Zensus 2011 ist eine sogenannte registergestützte Befragung. Das heißt: Nicht jede in Deutschland lebende Person wird befragt, so wie das 1987 der Fall war.

Die Statistiker arbeiten stattdessen mit einer Stichprobe, die aktuell acht Millionen zufällig ausgesuchte Bürger umfasst. Diese müssen einen Fragebogen ausfüllen - entweder zusammen mit einem der 80.000 Interviewer oder im Internet.

Zensus 2011 Infografik (DW-Grafik: Olof Pock)

Erfasst werden Daten zur Demografie wie Alter, Geschlecht und Staatsbürgerschaft, aber auch Informationen zum Schulabschluss, zu Nebenjobs, dem eventuellen Migrationshintergrund oder - diese Angabe ist freiwillig - zur Religionszugehörigkeit. Ganz freiwillig ist das Ausfüllen des Fragebogens allerdings nicht: Wer nicht mitmachen will, dem droht eine Strafe in Form eines Bußgelds. Die Angaben der Personen außerhalb der Stichprobe werden aus den Registern der Kommunen und der Bundesagentur für Arbeit gezogen. Stichtag ist der 9. Mai - ab dann also wird landesweit gezählt.

Die zweite Gruppe, die mit dem Zensus in Berührung kommt - und das betrifft immerhin geschätzte 17,5 Millionen Bürger - sind Wohn- und Hauseigentümer. Auch sie müssen einen Fragebogen ausfüllen. Es gebe zu wenige flächendeckende Daten über die Wohnsituation in Deutschland, heißt es in den amtlichen Unterlagen. Die Daten aber seien wichtig für die kommunalen Verwaltungen, nämlich um beispielsweise zu wissen, wie viele Kindergärten oder Wasserleitungen gebraucht würden.

In der dritten Gruppe findet eine Vollerhebung statt. Das heißt, in dieser Gruppe muss jeder Auskunft geben. Betroffen sind Bewohner von sogenannten Sonderbereichen. Dazu zählen Studentenheime, Klöster, Altenheime, psychiatrische Anstalten und Gefängnisse. "Wir wissen, dass die Daten aus diesen Bereichen nicht so zuverlässig sind, dass man sie für die Generierung einer amtlichen Einwohnerzahl nutzen kann", begründet Annette Pfeiffer, Leiterin der Zensuskommunikation, die umfassende Datenerhebung. Auch die Zahl der Obdachlosen und der illegal in Deutschland Lebenden soll so ermittelt werden.

Schlechte Erfahrungen

Aufkleber gegen die Volkszählung 2011 in Deutschland (Foto: dpa)
Aufkleber gegen die Volkszählung 2011 in DeutschlandBild: picture alliance/dpa

Nach der Datenerhebung werden Unmengen von Daten zur Auswertung zur Verfügung stehen. Das bereitet einigen in der Bevölkerung Unbehagen und Angst. Erinnerungen an die letzte Volkszählung 1987 werden wach, der ein jahrelanger Streit vorausgegangen war. 1983, als ursprünglich mit der Volkszählung begonnen werden sollte, gründeten sich innerhalb weniger Wochen hunderte Bürgerinitiativen, die zum Boykott aufriefen. Sie wollten keinen "gläsernen Bürger", hatten Angst vor der "Sammelwut des Staates" und davor, dass die Daten nicht anonym behandelt würden oder in fremde Hände gelangen könnten.

Die Kritiker erreichten weite Teile der Bevölkerung und bekamen Unterstützung von der damals noch jungen Partei der Grünen. Diese brachten das Thema auch im Bundestag zur Debatte.

Symbolbild Volkszählung: Porträt einer jungen Frau mit Barcode auf der Stirn (Foto: ullstein bild)
Gläserne Bürger? Viele haben Angst vor einer allumfassenden ErfassungBild: ullstein bild - CARO/Teschner

Schließlich landete der Streit vor dem Bundesverfassungsgericht, das den Kritikern im historischen Urteil zum Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung Recht gab. Bei der dann 1987 stattfindenden Volkszählung musste schließlich das sogenannte Abschottungsprinzip umgesetzt werden, wonach die erhobenen Daten fern von sonstigen Behörden bleiben müssen.

Das gespaltene Verhältnis vieler Deutscher zu Volkszählungen hängt sicherlich auch mit einem historischen Trauma zusammen: Die Nationalsozialisten konnten die Judenverfolgung und -vernichtung auch deshalb so systematisch durchführen, weil sie auf statistisches Material aus zwei Befragungen in den 1930er-Jahren zurückgreifen konnten.

Gemäßigte Kritik

Der Fragebogen und ein Rückumschlag an das Statistische Landesamt sind gemeinsam mit Haus- und Bauunterlagen auf einem Schreibtisch unter einer Lupe zu sehen (Foto: dpa)
Unter der Lupe: Fragebogen und Rückumschlag zum Zensus 2011Bild: picture alliance/dpa

Auch 2011 werde das Abschottungsprinzip eingehalten, verspricht Gert Wagner, Chef der von der Regierung eingesetzten Zensuskommission: "Das Statistische System ist von der Verwaltung abgeschottet. Um ein Bild aus der Computerwelt zu nehmen: Die Firewall ist extrem hoch." Nicht hoch genug, sagen Kritiker, die sich im "Arbeitskreis Zensus" zusammengeschlossen haben. "Die Daten werden laut Gesetz bis zu vier Jahren nicht anonymisiert - und selbst wenn die Daten nur wenige Wochen nicht vollständig anonymisiert vorhanden wären, so bin ich der Meinung, dass dies zu riskant wäre", sagt Michael Ebeling vom "Arbeitskreis Zensus". Der Chaos Computer Club befürchtet, dass "die umfassendste Bevölkerungskartei in der Geschichte Deutschlands entsteht".

Insgesamt jedoch hält sich die öffentliche Kritik am Zensus 2011 in Grenzen. Eine Verfassungsklage des "Arbeitskreis Zensus" wurde am Gericht nicht angenommen. Zudem scheinen die Kritiker in die Jahre gekommen zu sein. Einer repräsentativen Umfrage des Hamburger Meinungsforschungsinstituts Ears and Eyes zufolge befürworten 74 Prozent der 18- bis 29-Jährigen die Zählung. Bei den über 50-Jährigen sind es nur 57 Prozent. Die jüngere, Facebook sozialisierte Generation scheint weniger Probleme damit zu haben, persönliche Daten preiszugeben.

Grundlage vieler Finanzplanungen

Straßenszene mit vielen Menschen (Foto: AP)
Nicht alle müssen direkt befragt werdenBild: AP

Die Vorbereitungen für den Zensus 2011 laufen seit fast zehn Jahren. Mit ersten Ergebnissen ist nicht vor Ende 2012 zu rechnen - dann aber laufen schon die Vorbereitungen für die nächste Zensusrunde. "Nach dem Zensus ist vor dem Zensus, wir stehen zu diesem Rhythmus", sagt Bundesamt-Präsident Egeler. Es sei angesichts der demografischen Entwicklung außerordentlich wichtig zu wissen, wohin die Reise gehe.

Der Zensus 2011 wird geschätzte 710 Millionen Euro kosten. So viel wird der deutsche Staat ausgeben, auch um zu wissen, wie andere Steuergelder im Land verteilt werden können. "Nehmen Sie die Bedeutung amtlicher Einwohnerzahlen für die Regelung des Länderfinanzausgleichs oder der Zuweisungen von den Ländern an die Kommunen", erklärt Roderich Egeler. "Die Einteilung von Wahlkreisen ist ein weiteres Beispiel für den ganz praktischen Nutzen des Zensus."

Autor: Kay-Alexander Scholz
Redaktion: Hartmut Lüning