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Politik

Von der Leyen auf Werbetour im EU-Parlament

10. Juli 2019

Ursula von der Leyen will es vielen Abgeordneten recht machen - und wirbt mit unkonkreten Versprechen. Neben denen der EVP ist sie auf die Stimmen von Sozialisten und Liberalen angewiesen. Bernd Riegert aus Brüssel.

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EU-Kommisionspräsidentschaft | Ursula von der Leyen | Brüssel
Immer nur lächeln: Kandidatin von der Leyen auf dem Weg zur Anhörung in Brüssel Bild: DW/B. Riegert

Auch im Prüfungsstress im Saal oder im Gedränge auf den Fluren des Europäischen Parlaments vergisst Ursula von der Leyen nie ihr Markenzeichen: ein immerwährendes Lächeln. Begleitet von drei bulligen Sicherheits- und Protokollbeamten in Schwarz eilt die nur 1,61 Meter große Kandidatin für das Amt der EU-Kommissionspräsidentin zielstrebig von Anhörung zu Anhörung. In drei Fraktionen musste sie heute vorsprechen: bei den Sozialisten, den Liberalen und den Grünen.

EU EVP Treffen | Ursula von der Leyen und Manfred Weber
Manfred Weber wurde abserviert und organisiert jetzt für von der Leyen die Stimmen der christdemokratischen FraktionBild: DW/B. Wesel

Der wichtigste Auftritt war der bei den Sozialisten. Die deutsche Verteidigungsministerin, die vergangene Woche überraschend von den Staats- und Regierungschefs der EU nominiert wurde, braucht möglichst viele Stimmen aus der zweitgrößten Fraktion des Parlaments. Dort ist der Widerstand gegen von der Leyen und die Aufgabe des "Spitzenkandidaten-Systems" jedoch relativ groß. Das Parlament hatte sich darauf festgelegt, nur eine Kandidatin oder einen Kandidaten zum mächtigen Kommissionschef zu wählen, der oder die auch Wahlkampf für eine Parteienfamilie gemacht hat. Die Staats- und Regierungschefs ignorieren diesen Wunsch und wollen nun die deutsche Ministerin auf den Chefsessel setzen, als Teil eines größeren Personalpaketes für insgesamt fünf Spitzenjobs in Europa.

Polyglott vorgetragene Versprechen

Ursula von der Leyen beantwortete auf Englisch, Französisch und Deutsch die Fragen der Abgeordneten zu Migration, zur Rechtsstaatlichkeit, zum Klimaschutzes oder zur Erweiterung der EU. "Sie sind bei der Beantwortung der Fragen relativ schwammig", warf ihr die österreichische Liberale Claudia Gamon vor. Von der Leyen steckte die Kritik lächelnd weg. Den Liberalen versprach sie, deren Spitzenpolitikerin Margrethe Vestager zu ihrer ersten Stellvertreterin zu machen. Den Sozialdemokraten sagte sie zu, deren Spitzenkandidat Frans Timmermans ebenfalls zu ihrem ersten Stellvertreter zu machen.

Die Klimaschützer im Parlament versuchte sie, mit ihrer Zusage zu beeindrucken, das Einsparziel für klimaschädliche Gase für die EU von 40 auf 50 Prozent zu erhöhen. Den osteuropäischen Staaten sagte sie zu, sie werde sich für eine Erweiterung der Euro-Währungszone und der "Schengen-Zone" mit kontrollfreiem Reisen einsetzen. Außerdem tritt Ursula von der Leyen für eine Aufnahme der Länder auf dem westlichen Balkan aus, sobald die Voraussetzungen erfüllt sind. In allen drei Fraktionen machte sie klar, dass sie die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit in allen Mitgliedsstaaten garantieren wolle. Gestern hatte sie wiederum nach Angaben von nationalkonservativen Abgeordneten in deren Gruppe angedeutet, dass sie die laufenden Verfahren zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit in Polen und Ungarn "lockerer" handhaben werde.

Kritik weglächeln

Bei den meisten angesprochenen Themen wiederholte Ursula von der Leyen die Standpunkte der derzeitigen EU-Kommission und die geltenden Beschlüsse der EU-Gipfel. Auch sehr detaillierte Fragen von Abgeordneten, zum Beispiel nach mehr Tierschutz, parierte Ursula von der Leyen souverän. "Das ist eine edle Aufgabe", sagte die passionierte Reiterin, natürlich mit einem Lächeln. "Wie stellen Sie sich ein soziales Europa vor?" war eine der Fragen in der liberalen Anhörung, die im Internet übertragen wurde. "Oh, das ist natürlich ein Riesenkomplex fast am Schluss unserer Zeit", konterte von der Leyen - diesmal lachend - und sprach dann über die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und über Mindestlöhne. Bei anderen Fragen gab sie auch zu, dass sie noch keine konkreteren Antworten habe.

Jens Geier, der Vorsitzende der 16 sozialdemokratischen Abgeordneten aus Deutschland, war wenig beeindruckt. Geier hatte bereits angekündigt, auf jeden Fall aus prinzipiellen Gründen gegen die deutsche Kandidatin zu stimmen. "Sie ist nur die Kandidatin des Rates und hat keine strukturelle Mehrheit hier im Parlament", kritisierte Geier nach der Anhörung. "Die Bereitschaft, für Frau von der Leyen zu stimmen, ist nicht gewachsen." Sie habe einfach jedem alles versprochen, kritisierte Geier. Die europäischen Sozialisten mit 153 Abgeordneten wollen erst kommenden Montag festlegen, wie sie sich bei der Abstimmung über die EU-Kommissionspräsidentin, die am Dienstag oder Mittwoch stattfinden soll, verhalten werden.

EU-Kommisionspräsidentschaft | Jens Geier | Brüssel
Jens Geier: "Sie ist die Kandidatin des Europäischen Rates, nicht des Parlaments"Bild: DW/B. Riegert

Knatsch in Berlin

Die ablehnende Haltung der deutschen SPD belastet die Regierungskoalition in Berlin, wo CDU, CSU und SPD zusammen regieren. Die Unionsparteien unterstützen von der Leyen und werfen der SPD vor, die Koalition zu belasten. Es wird spekuliert, dass die Abstimmung im Europäischen Parlament - je nachdem, wie sie ausgeht - die Große Koalition in Deutschland gefährden könnte.

In einem Punkt stellte sich von der Leyen bereits gegen die Bundesregierung auf - in der sie noch als Ministerin sitzt. Als EU-Kommissionspräsidentin würde sich Ursula von der Leyen wohl dafür einsetzen, die umstrittene Gaspipeline Nordstream2 von Russland nach Deutschland schärfer zu regulieren. Sie sei anders als die Bundesregierung dafür, Betreiber der Pipeline und Lieferant des Gases zu trennen. Beides ist im Moment die russische Staatsfirma Gazprom.

Wenn es der 60 Jahre alten Kandidatin gelingt, ihre eigene christdemokratische Fraktion geschlossen und große Teile der Sozialisten und Liberalen auf ihre Seite zu ziehen, dürfte sie rund 400 Stimmen auf sich vereinigen. Hinzu kämen bei der geheimen Wahl noch einige Stimmen von Grünen, Linken, Nationalkonservativen und Rechtspopulisten. Die Schwelle, die von der Leyen überschreiten muss, liegt derzeit bei 374 Stimmen.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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