1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

"Verlorenes Vertrauen zurückgewinnen"

10. Februar 2021

Die EU-Kommissionschefin muss sich im Brüsseler Europaparlament kritischen Fragen stellen. Ihr wird vorgeworfen, bei der Beschaffung des Corona-Impfstoffes für die EU nicht entschlossen genug gehandelt zu haben.

https://p.dw.com/p/3pBIy
EU-Kommission-Präsidentin Ursula von der Leyen
Bild: OLIVIER HOSLET/POOL/AFP/Getty Images

"Wir waren spät dran bei der Zulassung. Wir waren zu optimistisch bei der Massenproduktion und vielleicht waren wir uns auch zu sicher, dass das Bestellte tatsächlich geliefert wird," sagte Ursula von der Leyen im Europäischen Parlament in Brüssel. Das Impfen in der EU geht nur schleppend voran und die EU-Kommissionspräsidentin selbst steht deswegen vor allem in Deutschland in der Kritik. Zwar räumte sie Versäumnisse ein, aber der eigentlich Fokus ihrer Ansprache galt dem Blick nach vorn.

Belgien EU Parlament Covid-19 Impfungen Ursula von der Leyen
Zu spät, zu optimistisch, zu sicher: Vor dem EU-Parlament räumte Kommissionschefin von der Leyen Versäumnisse bei der Beschaffung der Corona-Impfstoffe einBild: Francisco Seco/AP Photo/picture alliance

Ursula von der Leyen steht nicht zum ersten Mal im Zentrum einer politischen Krise. Während ihrer Zeit als Bundesverteidigungsministerin etwa hatte sie Missstände in der Truppe zu verantworten - inklusive eines Skandals über Beraterverträge in dreistelliger Millionenhöhe. Direkte juristische oder politische Konsequenzen blieben ihr erspart - doch die Erfahrung dürfte ihr bei ihrem Gang vor das Parlament genutzt haben. Souverän präsentierte sie zunächst die positiven Errungenschaften der Impfkampagne und unterfütterte sie mit erfreulichen Zahlen aus zwei EU-Mitgliedstaaten: Bis Anfang Februar konnten in Polen rund 80 Prozent der Bewohner von Altenheimen geimpft werden, in Dänemark waren es sogar 93. Laut dem Europäischen Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) dürften im Schnitt aber in der EU weitaus weniger, nämlich zwischen drei und vier Prozent der Menschen, eine erste Impfung erhalten haben. Zum Vergleich: In den USA wurden bereits rund 10 Prozent der Bevölkerung geimpft, in Großbritannien über 18 Prozent. Möglich war dies unter anderem durch beschleunigte Zulassungsverfahren.

Ausbau von Produktionskapazitäten notwendig

Trotz des schleppenden Impfstarts und einiger Lieferengpässe, die in den vergangenen Tagen immer wieder für Negativschlagzeilen gesorgt haben, hielt von der Leyen ihren Kritikern entgegen: "Wir werden so hart wie irgend möglich arbeiten, damit wir unser Ziel erreichen, nämlich, dass wir bis Ende des Sommers 70 Prozent der erwachsenen Bevölkerung geimpft haben."

Deutschland Berlin | Coronavirus, Impfzentrum
Ambitioniertes Ziel: Im Sommer sollen 70 Prozent aller erwachsenen EU-Bürger geimpft seinBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Um dieses Ziel zu erreichen, muss die Kommission nachsteuern. Unter anderem soll die Europäische Arzneimittelagentur EMA schneller an die Daten klinischer Impfstofftests kommen, was eine Zulassung zukünftiger Impfstoffe beschleunigen würde. Eine 'Taskforce' um den für den Binnenmarkt zuständigen Kommissar Thierry Breton soll sich um den Ausbau der Impfstoffproduktion und die Sicherung von Produktionsrohstoffen kümmern. Langfristig sollen die Produktionskapazitäten erhöht werden. Damit soll auch auf die Gefahr durch weitere Mutationen des Coronavirus reagiert werden können. Der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion, Manfred Weber, forderte zudem eine stärkere Zusammenarbeit der G7 in Bezug auf Produktion und Lieferketten, die Möglichkeit eines Exportverbots für Impfstoffe sowie gemeinsame EU-weite Einreiseregeln für Reisende aus Drittländern.

Mangel an Transparenz

Besonders harsche Kritik an der Kommissionspräsidentin kam aus der Ecke der Rechtspopulisten. So verlangten der AFD-Vorsitzende Jörg Meuthen und der niederländische FvD-Abgeordnete Jan Eppink ihren Rücktritt. Ganz so weit wollte die Ko-Fraktionsvorsitzenden der Linken, Manon Aubry, nicht gehen. Jedoch verlangte sie die sofortige Einrichtung eines Untersuchungsausschusses sowie mehr Transparenz und eine Kontrolle der Verträge zwischen der EU und den Pharmafirmen durch das Parlament. Mit einem Vertrag in der Hand trat sie ans Rednerpult. „Wie hat die Kommission das akzeptieren können? So zu kuschen vor den Unternehmen?" lautete ihre rhetorische Frage an die Präsidentin. Von den drei Verträgen, die bisher veröffentlicht wurden, so Aubry weiter, seien auf Verlangen der Unternehmen keinerlei Informationen, etwa über Preise oder Lieferfristen, entnehmbar.

Manon Aubry
"Wie konnte die Kommission so kuschen vor den Unternehmen?" fragte die linke EP-Abgeordnete Manon AubryBild: Michel Christen

Der Grünen-Abgeordnete Daniel Freund merkte an, dass es sich bei der Impfstoffbeschaffung der Kommission um die kostspieligsten Verträge handele, die die EU jemals abgeschlossen habe. Die Abgeordneten selbst hätten jedoch keinerlei Einblick erhalten. Sie hätten die Preise für die Impfstoffe nur erfahren, weil eine Ministerin sie aus Versehen getwittert habe, so Freund weiter. Der entsprechende Tweet der belgischen Staatssekretärin Eva de Bleeker vom Dezember 2020 wurde mittlerweile gelöscht. Er enthielt eine Tabelle der Preise, die die EU für Impfstoffe verschiedener Produzenten bezahlt, was insbesondere die Pharmafirmen verärgert hatte.

Dieser Verärgerung zum Trotz will sich Ursula von der Leyen nun für mehr Transparenz einsetzen. Im Parlament kündigte sie an, alles dafür zu tun, damit Abgeordnete die Lieferverträge einsehen können. Zudem solle eine Kontaktgruppe eingerichtet werden, die für den Informationsaustausch mit dem Parlament zuständig sei.

Fraktionsübergreifend herrschte bei aller Kritik große Einigkeit darüber, dass nun Lehren aus den Fehlern der Vergangenheit gezogen werden müssten. Das Vertrauen der EU-Bürger müsse wieder zurückgewonnen werden. Die generelle Strategie der Kommission, den Impfstoff zentral für die gesamte EU zu beschaffen, und gerecht und solidarisch unter den Mitgliedsstaaten zu verteilen, wird nicht infrage gestellt. Der liberale Abgeordnete Pascal Canfin sagte, 27 verschiedene Verträge hätten zu wesentlich mehr Chaos geführt, als es jetzt der Fall sei. Man stehe "an der Seite von Frau von der Leyen".