Von der Bewegung zur Partei
10. Juli 2017Parteien gelten vielen Menschen als altbacken, verfilzt und korrupt. Bewegung dagegen, das klingt frisch, nach Bürgerbeteiligung, nach Offenheit, nach – Bewegung. Kein Wunder, dass überall in der westlichen Welt solche Gruppen aus dem Boden sprießen und den klassischen Parteien Konkurrenz machen: Da ist Emmanuel Macrons "La République en marche" in Frankreich oder die neue Österreichische Volkspartei unter Sebastian Kurz. In Italien macht schon länger die Fünf-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo von sich reden und in Spanien das Linksbündnis Podemos. Sogar die US-Demokratin Hillary Clinton hat nach ihrer Wahlniederlage gegen Donald Trump die Bewegung Onward Together gegründet, was sich ähnlich wie En marche nach Aufbruch anhört.
Der Politologe Carsten Koschmieder von der Freien Universität Berlin sagt der Deutschen Welle: "Diejenigen, die mit dem Parteiensystem unzufrieden sind, reagieren allergisch auf das Wort Partei. Deshalb nennen sich neue Gruppierungen oft nicht Partei. Schon namentlich will man sich abgrenzen." Der Journalist Lenz Jacobsen kam in der Wochenzeitung "Die Zeit" vom 18. Mai zu dem Schluss, Bewegungen seien attraktiv, "weil der Begriff gleichzeitig unschuldig und unaufhaltsam klingt, da versammeln sich Menschen um eine Sache und nicht aus Machtwillen. Ja, Bewegungen sind vermeintlich unkorrumpiert von all den Notwendigkeiten und Hässlichkeiten der sonstigen Politik."
Viel schöner Schein
Doch wie "unschuldig" und demokratisch sind die selbsternannten Bewegungen wirklich? In Österreich hat der erst 30 Jahre alte Außenminister Sebastian Kurz versucht, die alteingesessene ÖVP in eine Bewegung zu verwandeln, in der er fast unumschränkte parteiinterne Macht hat. Der neue Name sagt bereits alles über Kurz' Rolle: "Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei". Der österreichische Politologe Fritz Plasser nannte die neue ÖVP in der Zeitung "Kurier" eine "Hybridpartei", bei der "eine klassische Parteiorganisation durch eine offene Plattform ergänzt wird". Carsten Koschmieder kommt zu dem Schluss, Kurz wolle "gerade nicht mehr Demokratie in der Partei, sondern weniger Demokratie".
Der ehemalige österreichische Bundeskanzler Franz Vranitzky erklärte sich in der Zeitung "Kurier" das Phänomen für sein Land so: "Die Parteien spielen im Bewusstsein und im Alltag der Bürger kaum noch eine Rolle. Jetzt kommen Personen wie Sebastian Kurz, der ostentativ auf Distanz zu seiner Partei geht." Das komme an.
Notwendige Professionalität
In Deutschland wäre eine Umwandlung der ideologisch der ÖVP nahestehenden Union aus CDU und CSU in eine Bewegung wohl kaum vorstellbar. Dazu sieht Koschmieder das Parteiensystem in Deutschland auch als zu stabil. Er glaubt allerdings, dass die SPD sich "mit Martin Schulz für einen kurzen Moment in eine Volksbewegung verwandelt" habe. Doch "langfristig funktioniert das nicht", auch weil man Parteiortsvereine nicht einfach umgehen könne. Generell hätten Bewegungen längerfristig ein Problem: "Eine Bewegung von unten ist den Leuten erst einmal sympathisch. Aber dann stellt sich die Frage, wie funktioniert es, dass am Ende auch etwas Seriöses, Handfestes dabei herauskommt."
Die Piraten in Deutschland seien daran gescheitert. Die Enttäuschung beginne oft da, wo eine Bewegung an die Regierung komme oder sonst Verantwortung übernehme. Dann hätten es Gruppen, denen es an "Professionalität" und "etablierten Strukturen" fehle, schwer. Koschmieder gibt Emmanuel Macrons "La République en marche" zwar durchaus Chancen auf Erfolg. Aber seine Leute im Parlament würden sich vielleicht auch irgendwann die Frage stellen: "Bin ich jetzt nur dafür da, das, was sich Macron ausdenkt, abzunicken, oder machen wir hier eine Volksbewegung-Demokratie?" Darin liege Konfliktpotential.
Von den Bewegungen lernen
Kein Wunder, dass der ehemalige österreichische Bundeskanzler Franz Vranitzky die klassischen Parteien nicht aufgibt. Im "Kurier" riet er: "Werft die Parteien nicht auf den Mist und klammert Euch nicht an Personen, macht die Parteien modern, so dass sie mitspielen im Zeitalter der Globalisierung." Koschmieder glaubt aber, dass die etablierte Parteien durchaus vom Phänomen der Bewegungen lernen können, zum Beispiel, "dass man die Bevölkerung, aber auch die einzelnen Mitglieder stärker beteiligen muss". Trotzdem wäre es für sie "fatal", es genauso zu machen, denn "die Bewegungen sind zwar in der Bevölkerung beliebt, aber sie funktionieren nicht". Lenz Jacobson kommt in der "Zeit" auch aus Gründen der "innerparteilichen Demokratie" zu dem Schluss, dass der lange Weg der politischen Willensbildung in den Parteien notwendig sei: "Das dauert, und es schleift oft gerade die interessantesten Positionen ab und hält die besonderen Menschen klein. Aber der Prozess ist doch an sich wertvoll, weil er Menschen an Politik beteiligt und ihnen nicht nur fertige Positionen andrehen will."
Wie schnell eine Bewegung wieder am Ende sein kann, davon können die Piraten ein Lied singen. In Österreich gab es aber auch schon vor über 20 Jahren eine Verwandlung einer Partei in eine Bewegung, jedenfalls dem Namen nach, und dann eine Rückverwandlung. 1995 nannte Jörg Haider, der damalige Chef der Freiheitlichen Partei, FPÖ, seine Partei in die sogenannte "F-Bewegung" um, auch wenn sie formal eine Partei blieb, um die staatliche Parteienförderung nicht zu verlieren. Doch nur wenige "Bündnisbürger" meldeten sich, um bei der Bewegung mitzumachen. Ende 1996 war Schluss damit, die FPÖ war wieder ganz normale Partei und ist es bis heute geblieben. Und doch, das Spiel mit der "Bewegung" scheint auch heute Erfolg zu haben: Bis vor kurzem war die FPÖ in den Umfragen stärkste Partei in Österreich, seit Kurz‘ Umwandlung der ÖVP hat seine Liste die FPÖ überholt. Fragt sich nur, ob Kurz‘ Bewegung von ebenso kurzer Dauer sein wird wie die "Bewegungs"-Phase der Freiheitlichen.