Die größten Stolpersteine der Politik
25. Juni 2018Erst der Streit um die richtige Asyl- und Flüchtlingspolitik und jetzt auch noch Europa: Zwischen CDU und CSU herrscht heftiger Dissens. Brechen Union oder Koalition bald auseinander? Ein Blick auf die jüngere deutsche Geschichte zeigt: Vieles ist möglich in einer Regierungskrise.
Spiegel-Affäre: Eine Fehde, die den Verteidigungsminister stürzte
"Bedingt abwehrbereit" hieß der militärpolitische Artikel über ein NATO-Abwehrmanöver, der im Oktober 1962 im "Spiegel" erschien - und in Folge eine Regierungskrise auslöste. In dem Bericht wurde erklärt, dass die BRD im Falle eines sowjetischen Angriffs keine Überlebenschance hätte. Laut dem Verteidigungsministerium standen in dem Artikel mehr als 40 geheime Informationen. Für die Behörde war das ein klarer Fall von Landesverrat. Mehrere "Spiegel"-Redakteure wurden festgenommen, die Redaktion geschlossen. Obwohl Kisten voller Material beschlagnahmt wurden, ließ sich der Vorwurf des Landesverrats jedoch nicht erhärten.
Schon bald konzentrierte sich die Öffentlichkeit auf die Begleitumstände des Vorfalls. Der Bundestag wollte die Aktion restlos aufklären. Entgegen vorheriger Aussagen, gab Verteidigungsminister Franz Josef Strauß zu, persönlich für die Festnahme des stellvertretenden "Spiegel-Chefredakteurs" Conrad Ahlers gesorgt zu haben. Bürger sahen daraufhin die Pressefreiheit in Gefahr, forderten auf Kundgebungen den Rücktritt von Strauß. Als Bundeskanzler Konrad Adenauer seinen Verteidigungsminister schützte, traten fünf FDP-Minister aus dem Kabinett aus. Strauß verzichtete schließlich auf sein Amt, damit das Kabinett neu gebildet werden konnte.
Vom Kanzler, der am Ende über einen Spion stolperte
Als erster sozialdemokratischer Bundeskanzler setzte Willy Brandt ab 1969 neue Akzente in der Bundesrepublik. Gegen den erbitterten Widerstand der Union stand er mit seiner SPD-FDP-Regierung für eine neue Ostpolitik und ging Verträge mit der Sowjetunion, Polen und der DDR ein. Später wurde er dafür mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Für die Union war Brandts Ostpolitik dagegen ein "Ausverkauf deutscher Interessen". Auch einige Abgeordnete von SPD und FDP zeigten sich enttäuscht, die Regierungsmehrheit schwand immer mehr. Seine politischen Gegner wollten ihn stürzen und stattdessen den Unions-Fraktionsvorsitzenden Rainer Barzel an die Macht bringen. Das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik nutzten CDU und CSU 1972 das sogenannte konstruktive Misstrauensvotum. Doch der Plan ging nicht auf - das Misstrauensvotum blieb nach den ausbleibenden Stimmen der Abgeordneten erfolglos. Für Brandt war die Aktion ein "Rohrkrepierer". Dennoch blieb die Koalition wackelig, Neuwahlen wurden nötig - aus denen Brandt gestärkt hervorging.
Zwei Jahre später wurde es jedoch wieder brenzlig für Brandt. Günter Guillaume, einer der engsten Mitarbeiter Brandts, wurde als DDR-Spion enttarnt. Brandt übernahm die politische Verantwortung und trat als Bundeskanzler zurück. Ob dies der einzige Grund für seinen Abgang war, ist zweifelhaft. Auch die Ölkrise, Streiks und steigende Arbeitslosigkeit machten ihm zu schaffen.
Der "Geist von Kreuth": Noch immer lebendig?
Konflikte innerhalb der Union gehören von je her zum Alltagsgeschäft. Doch 1976 eskalierte der Streit zwischen den Schwesterparteien CDU und CSU so heftig, dass es zum großen Paukenschlag kam: Die parlamentarische Landesgruppe der CSU entschied auf ihrer Klausurtagung in Wildbad Kreuth, dass die Fraktionsgemeinschaft aufgelöst werden sollte. Der CSU-Chef persönlich, Franz Josef Strauß, hatte die Revolte angezettelt. Nachdem die Union zum dritten Mal eine Wahlschlappe hinnehmen musste, wollte Strauß an der Spitze einer eigenständigen Fraktion stehen - und das Zepter selbst in die Hand nehmen. Vom Kanzlerkandidaten Helmut Kohl hatte er ohnehin eine schlechte Meinung.
Dieser reagierte prompt - und drohte seinerseits damit, der CSU in Bayern mit einem bayerischen CDU-Landesverband Konkurrenz machen zu wollen. Das hatte Folgen: Die CSU bot wenige Wochen später ihre Rückkehr in die Fraktionsgemeinschaft an. Trotzdem wirkt der "Geist von Kreuth" bis heute nach: Die CSU darf seither abweichende Meinungen eigenständig vertreten. Grundsätzliche Entscheidungen sollen aber im gemeinsamen Einvernehmen getroffen werden.
Von der Friedensbewegung zur "geistig-moralischen" Wende
Spätestens seit den 1980er Jahren stieß die Rüstungsspirale des Kalten Kriegs zwischen Ost und West bei der Bevölkerung auf immer mehr Widerstand. Die neue Friedensbewegung lehnte die Umsetzung des NATO-Doppelbeschlusses entschieden ab. Hunderttausende versammelten sich auf der Bonner Hofgartenwiese, in vielen Städten wurden Menschenketten gebildet. Auch Teile der SPD schlossen sich der Bewegung an. Der Streit um die NATO-Raketenrüstung schwächte die Koalition von SPD und FDP.
Ein Streit über Wirtschaftsreformen beschleunigte den Bruch der Koalition zwischen den Sozialdemokraten und Liberalen. 1982 gelang der Union, woran sie noch zehn Jahre zuvor bei Brandt scheiterte: Mit einem konstruktiven Misstrauensvotum entzog der Bundestag dem Regierungschef Schmidt das Vertrauen. CDU-Chef Helmut Kohl wurde mit den Stimmen von Union und FDP zum neuen Regierungschef gewählt. Anfang 1983 bestätigen die Wähler bei vorgezogenen Wahlen die Entscheidung des Misstrauensvotums: Kohl und seine CDU-FDP-Koalition wurden bestätigt.
Die Proteste blieben am Ende aber ungehört: 1983 billigte der Bundestag unter Kohls Regierung die Stationierung der Raketen auf dem Boden der Bundesrepublik.
Streit um die Sozialpolitik eines Sozialdemokraten
Auch unter SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder wackelte es schon mächtig. Die Sozialreformen der Agenda 2010, insbesondere die Einführung vom sogenannten Hartz IV, trieben Tausende für Proteste auf die Straße. Bei mehreren Landtagswahlen bescherte der Unmut über die Reformen der SPD heftige Verluste, selbst in ihrem Stammland Nordrhein-Westfalen. Innerhalb der Partei waren sie zur Zerreißprobe geworden. Viele Genossen sahen in der Agenda 2010 einen unverhältnismäßigen Abbau des Sozialstaats.
Schröder konnte sich der Unterstützung seiner Partei nicht mehr sicher sein und kündigte im Mai 2005 an, die Vertrauensfrage stellen zu wollen. Sein Plan: Er wollte verlieren, um anschließend Neuwahlen zu ermöglichen. Diese Nachricht traf nicht nur die Union, sondern auch Schröders eigene Partei unvorbereitet. Viele Abgeordnete verglichen den Schritt mit "politischen Selbstmord", andere fanden ihn mutig. Doch Schröders Kalkül ging nicht auf. Bei den vorgezogenen Neuwahlen unterlag er Angela Merkel. Die rot-grüne Regierung war passé - mit einem Paukenschlag.