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Wahlkampf im Wasser

Richard Fuchs5. Juni 2013

In Notlagen zeigen Politiker Tatkraft, vor allem, wenn Wahlen bevorstehen. Hilfspaket und Mitgefühl kommen gut an - so konnte die Kanzlerin auf der Reise ins Krisengebiet punkten. Auch andere profitierten vom Hochwasser.

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Angela Merkel im Krisengebiet Foto: Thomas Peter
Bild: Reuters

Wie viel Wahlkampf verträgt ein Überschwemmungsgebiet? Diese Frage stellten sich viele Beobachter, als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Dienstag die vom Hochwasser betroffenen Gebiete in Sachsen, Thüringen und Bayern besuchte. Umringt von Kamerateams entstanden Bilder einer Kanzlerin, die sich kümmert, ohne aufdringlich wirken zu wollen. Merkel in den Straßen der Passauer Altstadt mit Soldaten, die Schlamm schaufeln. Merkel beim Händedruck mit Flutopfern. Merkel im Flugzeug, mit festem Blick aufs Überschwemmungsgebiet. Und Merkel beim Sandsäckefüllen, begleitet vom Blitzlichtgewitter von Kameras. Für den Kommunikationswissenschaftler und PR-Strategen Klaus Kocks ist das keine Hilfe, sondern dreieinhalb Monate vor den Bundestagswahlen und den Landtagswahlen in Bayern natürlich Wahlkampf, der im schlimmsten Fall sogar Rettungswege verstellt. "Es wird die Not der Menschen genutzt, weil die Flut seit der Sintflut und Noah das Symbol für eine unmittelbare Bedrohung ist, um sich als Retter zu inszenieren." 

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Hochwassergebiet im sächsischen Pirna (Foto: dpa)
Eine Kanzlerin packt an: Gratwanderung zwischen Inszenierung und AnteilnahmeBild: picture-alliance/dpa
Kulisse der Mächtigen oder Hilfsmaßnahme: Kurz bevor die Kanzlerin durch die überfluteten Straßen von Passau läuft, müssen die Soldaten anfangen zu schaufeln Foto: Michaela Rehle
Kurz bevor die Kanzlerin durch die überfluteten Straßen von Passau läuft, müssen die Soldaten anfangen zu fegenBild: Reuters

"Leider sind die Wähler eben so"

Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat es der heutigen Kanzlerin vorgemacht. Als es 2002 um seine Wiederwahl ging, setzte die große Flut entlang der Elbe ein. Schröder, der mit seiner Regierungskoalition aus Sozialdemokraten und Grünen damals in den Umfragen zurücklag, kam mit schwarzen Gummistiefeln und grüner Regenjacke ins Hochwassergebiet. Aus der Sicht von Klaus Kocks war das der Auftritt, der ihm die Wiederwahl brachte. Für alle ersichtlich sei, dass hier der kulturelle Mythos des Heiligen Christopherus bedient werde, der in der Erzählung das Jesuskind über die Fluten trug. "Es zeigt, dass diese intuitive inszenatorische Politik, die Schröder zuzuschreiben ist, sehr erfolgreich ist." Leider seien Wähler eben so, sagt der PR-Mann, der gern mit flotten Sprüchen in Talkshows provoziert. 

Mit Gummistiefeln zur Wiederwahl: 2002 half Kanzler Schröder das Hochwasser bei der Bundestagswahl (Foto: dpa)
Mit Gummistiefeln zur Wiederwahl: 2002 half das Hochwasser Kanzler Schröder bei der BundestagswahlBild: AP

Das Lehrstück, wie unterschiedlich Politiker mit Naturkatastrophen umgehen können, kommt aus den USA. So gehörte Hurrikan Katrina im August 2005 zu den Tiefpunkten der Regierungszeit von US-Präsident George W. Bush. Der unterbrach erst drei Tage nach dem Beginn des verheerenden Sturms seinen Urlaub, was ihm den Ruf eines schlechten Krisenmanagers einbrachte. Anders dagegen sein Nachfolger Barack Obama, der kurz vor seiner Wiederwahl im vergangenen Jahr gegen den Tropensturm Sandy kämpfte. Von Beginn an war Obama in den betroffenen Küstengebieten vor Ort, seine Frau organisierte medienwirksam Wohltätigkeitsveranstaltungen für die Kinder betroffener Familien. Der damalige republikanische Rivale Mitt Romney verwandelte sich dabei, wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl, zum Statisten. Für Politikberater Klaus Kocks ein Schicksal, das auch dem derzeitigen Kanzlerkandidaten der Sozialdemokraten blühen könnte. Denn: "Wir erwarten Hilfen von denjenigen, denen wir Macht anvertraut haben."

SPD-Kanzlerkandidat in der Zwickmühle

SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat derzeit wenig politische Macht und überlässt das Feld der "Retterin" notgedrungen denn auch der Kanzlerin. Während Angela Merkel durchs Krisengebiet tourt, spult Steinbrück sein normales Tagesgeschäft ab. Statt mit Flutopfern redet er mit Berliner Studenten über Deutschlands außenpolitische Grundsätze. Freilich nicht ohne zuvor ein Wort des Mitgefühls für die Flutopfer. "Als jemand, der lange in einem Haus am Rhein gewohnt hat, habe ich sehr konkrete Erfahrungen gemacht, was es heißt, Hochwasser im Haus zu haben und damit zu kämpfen." Steinbrück wünscht den Betroffenen viel Kraft bei der Bewältigung der Katastrophe, spricht sich für schnelle, unbürokratische Hilfe aus, die er selbst nicht geben kann. Das wirkt aufgesetzt. Auch PR-Stratege Klaus Kocks weiß, dass Naturkatastrophen "die Stunde der Mächtigen" sind - und nicht die der Opposition. Doch die spröde Anteilnahme, wie sie Kanzlerkandidat Steinbrück zeige, sagt Kocks, das stehe einer Volkspartei mit Regierungsambitionen nicht gut an. "Das ist ja elend, das sind kalte, leere Sprüche, das ist der Charme einer Registrierkasse", meint Kocks. "Steinbrücks Wahlkampf hat schlecht gestartet und zu unserer aller Überraschung hat er es geschafft, dass es noch schlechter wurde". Nicht ins Krisengebiet zu reisen, damit habe der SPD-Kanzlerkandidat seine letzte Chance verspielt, sagt Kocks. "Ich glaube, die Wahl ist heute entschieden worden."

Steinbrück, weit weg von den Flutopfern vor Studenden in Berlin (Foto: dpa)
Steinbrück, weit weg von den Flutopfern vor Studenten in BerlinBild: picture-alliance/dpa

Wo man ist, kann für Politiker die nächste Wahl entscheiden

Auch andere politische Parteien suchen ihre Antwort auf das Flutdesaster, wollen im Mediengewirr um die Katastrophe Gehör finden. Die Linkspartei fordert, angesichts der immensen Schäden vorübergehend die Obergrenzen für öffentliche Ausgaben, die sogenannte Schuldenbremse zu locken. Die Grünen mahnen an, neben der akuten Soforthilfe auch langfristig in nachhaltigen Hochwasserschutz zu investieren, was nicht Dammbau bedeute, sondern Renaturierung und Überflutungsflächen. Und die Liberalen, kleiner Regierungspartner der Christdemokraten, fordern, über die staatliche Förderbank KfW zusätzliches Geld an Flutopfer zu geben. Drei Forderungen, die während der Reise der Bundeskanzlerin ins Krisengebiet aus dem fernen Berliner Regierungsviertel formuliert werden, und deshalb im Sog der Kanzlerinnen-Bilder aus Sachsen, Thüringen und Bayern an diesem Tag untergehen. Und auch wenn der FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle zeitgleich in Berlin vor "politischem Tourismus" in Überschwemmungsgebiete warnt: PR-Stratege Klaus Kocks hält diese Form der "inszenierten Realityshow" für unverzichtbar. "Derjenige, der in den Fluten mit den Flutopfern mitempfindet, wird anschließend mit großem politischen Erfolg belohnt".

Alles nur Show: Meinungsforscher Klaus Kocks (Foto: dpa)
Alles nur Show, sagt der Meinungsforscher Klaus KocksBild: picture-alliance/dpa