Politik buhlt um arme Rentner
28. Juli 2017"Ich mache mir große Sorgen um meine Zukunft", sagt Helga K. Sie möchte nicht erkannt werden. Die 59-jährige war Altenpflegerin in einer katholischen Einrichtung - eine Arbeit, die ihr trotz aller Umstände Freude bereitet hat. "Entweder ist man dafür geboren oder nicht", lächelt sie. Doch ihr Rücken machte ihr die letzten fünf Jahre zu schaffen. Im Sommer 2016 folgte das Aus: "Der Verschleiß", wie sie es nennt. Ihrem Job kann sie nicht mehr nachgehen. Vier Jahre fehlen ihr noch bis zur Rente mit 63. Bis dahin hat sie Erwerbsminderungsrente beantragt. Der Bescheid wird in den nächsten Wochen in ihrem Briefkasten liegen. "Das wird noch mal ein herber finanzieller Einschnitt", sagt sie.
Jeder fünfte Neurentner von Altersarmut bedroht
Noch ist Altersarmut nur ein Randproblem: Aktuell leben etwa 21 Millionen Rentner in Deutschland, rund zwei Prozent der über 65-Jährigen haben Unterstützung vom Staat beantragt. Nach einer neuen Studie der Bertelsmann-Stiftung ist die Gefahr jedoch groß, dass die Zahl der Bedürftigen zunimmt. Laut der Bertelsmann-Studie wird jeder fünfte Neurentner, der zwischen 2031 und 2036 in Rente geht, von Altersarmut bedroht sein. Damit steigt die Armutsrisikoquote in der Altersgruppe der dann 67-Jährigen von derzeit 16 auf 20 Prozent.
Rentner gelten dann als armutsgefährdet, wenn ihr monatliches Netto-Einkommen unter 958 Euro liegt. Besonders betroffen sind Menschen, die in ihrem Erwerbsleben zum Beispiel aufgrund einer Erkrankung nur noch wenig oder gar nicht mehr arbeiten gehen konnten, selbständig mit unregelmäßigem Einkommen waren. Auch für Teilzeitarbeitende, Geringverdiener oder Langzeitarbeitslose reicht es im Alter oft nicht.
Riester soll sich für Geringverdiener lohnen
Die Politik hat sich diesem dringlichen Problem stückchenweise angenähert. Der Bundestag verabschiedete Ende Mai ein Gesetzespaket, um die betriebliche und private Altersvorsorge zu stärken. Demnach soll die jährliche Grundförderung für Riestersparer, einer staatlich geförderten privaten Altersvorsorge, von 154 Euro auf 175 Euro steigen - es ist die erste Erhöhung seit Einführung der Riesterrenten. Hinzu soll bei Menschen, die auf eine Grundsicherung angewiesen sind, die Riesterrente sowie Betriebsrenten bis zu einem Betrag von 200 Euro pro Monat nicht mehr von der Grundsicherung abgezogen bekommen. Bislang war das anders - für Menschen mit geringen Einkommen lohnte sich das Sparen fürs Alter nicht.
Und so sehen auch die bisherigen Zahlen zur privaten Altersvorsorge besonders bei den Geringverdienern düster aus: Nach Angaben der Bundesregierung zahlen knapp 47 Prozent der Arbeitnehmer mit weniger als 1500 Euro Monatsgehalt weder in eine Betriebsrente noch in eine Riesterrente ein. Bezogen auf alle Beschäftigten sind Betriebs- und Riesterrenten eher gefragt - 60 Prozent der insgesamt 17,7 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hatten Ende 2015 bei ihrem Arbeitgeber eine Anwartschaft auf eine Betriebsrente. Ende 2016 gab es zudem rund 10,9 Millionen Riester-Verträge. Doch die schönen Zahlen trügen - denn laut der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht zahlt schon jeder Fünfte der Riestersparer nicht mehr ein und dürfte dementsprechend wenig bei Rentenbeginn herausbekommen.
Knapp 1400 Euro für drei Personen
Privat vorsorgen konnte Helga K. nicht. Bei einem monatlichen Bruttogehalt von ungefähr 1400 Euro und zwei Kindern musste sie jeden Cent umdrehen. "Wie sollte ich davon was ansparen?" fragt sie. Nachdem ihre Töchter aus dem Haus waren, ist sie in eine kleinere Wohnung gezogen. Jetzt zahlt sie für ihre 50 Quadratmeterwohnung am Rande von Köln 530 Euro Warmmiete plus Strom und Wasser. Dazu kommen sonstige Lebenshaltungskosten.
Laura Romeu Gordo vom Deutschen Zentrum für Altersfragen wundert diese Entwicklung kaum. Besonders Geringverdiener, Minijobber und Alleinerziehende bräuchten jeden Euro fürs Überleben. Für sie hat die große Koalition aus CDU/CSU und SPD nun eine Mindestrente beziehungsweise Solidarrente von 850 Euro geplant. Diese soll für Arbeitnehmer über der Grundsicherung liegen. Die Union setzt dafür den Nachweis privater oder betrieblicher Vorsorge sowie 40 Versicherungsjahre voraus. Bislang kann Grundsicherung beantragt werden, wenn das monatliche Einkommen unter 823 Euro liegt.
Rentenniveau einfrieren
Als Voraussetzung für die Solidarrente der SPD, die zehn Prozent über der Grundsicherung liegen soll, müssen mindestens 35 Beitragsjahre nachgewiesen werden. Dazu will die SPD die Erwerbsminderungsrente noch weiter verbessern - für alle, bei denen die Gesundheit nicht mehr mitmacht. Das Rentenniveau soll bei 48 Prozent eingefroren werden und der Beitragssatz bei 22 Prozent bis 2030 stagnieren. Für ihre Pläne soll auch zu Steuermitteln gegriffen werden. Auch soll die gesetzliche Rentenversicherung auf mehrere Berufsgruppen ausgeweitet werden. Selbstständige sollen ebenfalls in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Die Sozialdemokraten setzen zudem auf eine Stärkung der Betriebsrenten und wollen, dass auch kleine und mittlere Unternehmen diese anbieten. Auch die Union will auf Betriebsrenten und private Altersvorsorge setzen. Rentenniveau und Beitragssätze sollen laut Union bis 2030 nicht angerührt werden.
Romeu Gordo sieht darin ein großes Manko: "Die Betriebsrenten helfen nicht allen, weil es nur eine besondere Gruppe trifft und nicht Geringverdiener oder die Leute vor Altersarmut schützt, die nicht gearbeitet haben." Die Studie "Alterssicherung in Deutschland" (ASID) im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales aus dem Jahr 2015 zeigt, dass die Anwartschaften für eine betriebliche Altersvorsorge stagnieren. Die meisten, die eine Betriebsrente abgeschlossen haben, kommen aus dem öffentlichen Dienst. Große Lücken gibt es bei Arbeitnehmern in der Privatwirtschaft.
Das will die Opposition
Mit dem Einsatz von mehr Steuermitteln will auch die Opposition der Altersarmut das Garaus machen. Die Grünen planen eine volle Rente mit 67 Jahren. Sie sind Verfechter einer "steuerfinanzierten Garantierente" von 850 Euro monatlich. Pflegezeiten und eine Neuregelung der Anerkennung von Kindererziehungszeiten, die beiden Elternteilen zugute kommt, sollen bei den Anwartschaften stärker berücksichtigt werden. Auch Minijobs sollen einen Rentenanspruch begründen. So wollen die Grünen die Benachteiligungen von Frauen am Arbeitsmarkt auflösen und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen.
Die Linke ist beim Thema Rente offensiver. Sie will das gesamte Drei-Säulen-Rentenmodell aus gesetzlicher, betrieblicher und privater Altersvorsorge zugunsten einer alleinigen gesetzlichen Rentenversicherung abschaffen. So sollen alle Menschen mit Erwerbseinkommen, auch Selbstständige und Beamte, obligatorische Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung leisten. Die Sozialisten kämpfen für eine volle Rente mit 65 Jahren. Einen Schutz vor Altersarmut soll eine "solidarische Mindestrente" in Höhe von 1050 Euro garantieren. Diese bekommt jeder, unabhängig von Einkommen und Arbeitsleben. Die FDP will dagegen einen flexiblen Rentenstart bereits ab 60 Jahren - das gilt jedoch nur für diejenigen, die nachweislich mit ihren Einkünften über der Grundsicherung liegen. Das Rentenniveau soll an die durchschnittliche Lebenserwartung angepasst werden.
In der Teilzeit-Falle
Ob diese Maßnahmen ausreichen, hängt wohl auch von der individuellen Lebensgeschichte ab - und dem Verhalten der Arbeitgeber. Die zweifache Mutter Helga K. kommt auf 36 versicherungspflichtige Jahre. Nach der Geburt ihrer körperlich eingeschränkten Tochter konnte sie nur noch in Teilzeit arbeiten. Ihr letztes monatliches Bruttogehalt betrug knapp 1400 Euro. Als ihre Töchter größer waren, wollte sie ihre Stundenzahl aufstocken. Ihr kirchlicher Arbeitgeber machte da nicht mit, ein Jobwechsel war ihr zu unsicher. Wenn Helga K. ihren 63. Geburtstag feiert, blieben ihr etwa 860 Euro Rente zum Leben.
Damit steckt die gelernte Altenpflegerin in einem Dilemma: Die Grundsicherung bei Kleinstrenten steht heute jenen zu, die eine Rente von weniger als 823 Euro im Monat haben. Mit ihren 860 Euro hat Helga K. darauf keinen Anspruch. Von der Stadt kann sie diverse Kostenbeihilfen für Miete und Strom beantragen, doch sie schämt sich. "Ich habe mein Leben lang gearbeitet und mich um meine Kinder gekümmert, bis ich davon krank wurde. Und jetzt bin ich noch auf Unterstützung angewiesen", sagt sie.
Risikogruppe: Alleinstehende
Laut der Bertelsmann-Studie sind insbesondere alleinstehende Frauen von Altersarmut betroffen. Die Beschäftigung der Frauen sei zwar gestiegen, bestätigt Romeu, die derzeit an einem neuen Altenbericht arbeitet. Doch vielfach arbeiteten Frauen im Niedriglohnsektor. Die Politik müsse präventiv eingreifen, um Altersarmut zu vermeiden, fordert die Altersforscherin. "Dazu gehören auch vernünftige Lohnentwicklungen und eine gute Arbeitsmarktpolitik, damit Menschen nicht lange in der Arbeitslosigkeit bleiben", sagt sie. "Ideal wäre dann noch eine gute Kinderbetreuung, damit Mütter und Väter ohne größere Einschnitte weiterarbeiten können."