Wahlschlappe setzt Koalition unter Druck
5. September 2011Schlechter hätte die parlamentarische Sommerpause für Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Koalition kaum enden können. Statt Rückenwind in Form eines passablen Wahl-Ergebnisses im nordöstlichen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern zu verspüren, bläst Christ- und Freidemokraten eine steife Brise ins Gesicht. Der in zuvor fünf Landtagswahlen 2011 zu beobachtende Abwärtstrend des bürgerlichen Lagers setzte sich fort.
Während Merkels Parteifreunde trotz herber Stimmenverluste – 23,1 Prozent gegenüber 28,8 vor fünf Jahren – noch auf eine Fortsetzung der Koalition mit den Sozialdemokraten hoffen dürfen, findet sich die Partei von Außenminister Guido Westerwelle in der außerparlamentarischen Opposition wieder. Die FDP landete bei 2,7 Prozent und scheiterte klar an der in Deutschland gültigen Fünf-Prozent-Hürde. Im Jahr 2006 hatten die Liberalen noch fast zehn Prozent geschafft.
Opposition liest Koalition die Leviten
Das schlechte Wahl-Ergebnis in Mecklenburg-Vorpommern schwächt die im Bund regierende Koalition in einem Moment, in dem der Deutsche Bundestag unter dem Eindruck der ungelösten Euro-Krise und ausufernder Staatsverschuldung über den Etat 2012 debattiert. Traditionell ist die Haushaltswoche (5.-9. September) Anlass für die Opposition, der Regierung die Leviten zu lesen. Und davon werden Sozialdemokraten, Linke und Grüne reichlich Gebrauch machen. Kanzlerin Merkel ist darauf eingestellt und flüchtet sich in Galgenhumor. "Der Herbst verspricht, nicht langweilig zu werden, weil wir viel zu tun haben werden", sagte die angeschlagene Regierungschefin. Aber sie sei zuversichtlich, dass in der Koalition der Wille da sei, das hinzubekommen.
Wichtigste Aufgabe Merkels wird es sein, die Skeptiker in den eigenen Reihen davon zu überzeugen, hochverschuldeten Euro-Ländern wie Griechenland notfalls durch zusätzliche Bürgschaften zu Hilfe zu eilen. Eine eigene Mehrheit der Koalition aber ist keineswegs sicher. Wie groß die Befürchtungen sind, in dieser brisanten europa-, wirtschafts- und außenpolitischen Frage zu scheitern, zeigte sich Ende August. Die Abgeordneten der Koalitions-Fraktionen mussten mitten im Urlaub nach Berlin reisen, um sich in Sondersitzungen auf einen gemeinsamen Kurs zu verständigen.
Schicksalsfrage Euro-Rettungsschirm
Ob Christ- und Freidemokraten bei der für Ende September erwarteten Abstimmung über den sogenannten Euro-Rettungsschirm tatsächlich geschlossen an einem Strang ziehen werden, erscheint unter dem Eindruck der jüngsten Wahl-Niederlagen ungewisser denn je. Vor allem die in Umfragen auch auf Bundesebene auf bestenfalls fünf Prozent taxierte FDP könnte mehr denn je versucht sein, das schwammige Profil durch entschlossenes Handeln zu schärfen.
Dazu gehört zweifelsohne, die von der Opposition und einzelnen Vertretern in Merkels Partei befürworteten Euro-Bonds weiterhin abzulehnen. Mit solchen Schuld-Verschreibungen würde Deutschland praktisch für die Misswirtschaft in anderen Ländern der Europäischen Union haften. Das sei mit der FDP nicht zu machen, betonte Partei-Chef und Wirtschaftsminister Philipp Rösler auch nach der verheerenden Wahl-Niederlage in Mecklenburg-Vorpommern.
Wie schwierig der Spagat zwischen Partei- und Regierungsräson ist, weiß Rösler nur allzu gut. Man stehe nun vor der Aufgabe, einen Weg zu finden zwischen der langfristigen Ausrichtung der Partei und der kurzfristigen Tagespolitik. "Das wollen wir als Freie Demokratische Partei mit liberalen Argumenten erreichen", fügte Rösler hinzu. Der FDP-Chef setzt dabei vor allem auf den Faktor Zeit. Die Koalition mit Merkels Konservativen regiert seit knapp zwei Jahren. Die Legislatur-Periode endet im Herbst 2013. Ein vorzeitiges Ende können sich die Liberalen in ihrer aktuellen Verfassung nicht leisten. Es könnte gleichbedeutend mit dem politischen Aus der FDP auf Bundesebene sein.
Renaissance für Rot-Grün?
Auf vorgezogene Neuwahlen spekulieren insgeheim die Sozialdemokraten. Sämtliche Landtagswahlen 2011 mündeten für sie in alte oder neue Regierungsbeteiligungen. Die SPD schwimmt auf einer Erfolgswelle. Bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am 18. September geht es nur noch um die Höhe des Sieges und die Frage, mit wem der amtierende Regierungschef Klaus Wowereit (SPD) künftig koalieren wird. Derweil denkt der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel bereits an die nächste Bundestagswahl und sieht seine Partei dafür bestens vorbereitet. "Wir sind wesentlich geschlossener, als das früher manchmal der Fall war", freute sich Gabriel. Das sei bei anderen Parteien zur Zeit ja anders, ergänzte er in Anspielung auf Personal-Querelen vor allem innerhalb der FDP, wo Außenminister Guido Westerwelle immer wieder offen infrage gestellt wird.
Der SPD-Chef und mögliche Kanzler-Kandidat 2013 erklärt sich das Hoch seiner Partei aber vor allen Dingen mit erfolgreicher Sacharbeit. "Wir haben sehr intensiv auf allen Ebenen daran gearbeitet, zwei Dinge zusammenzubringen: wirtschaftlichen Erfolg und soziale Sicherheit." Das sei schon immer das Erfolgs-Modell der Sozialdemokratie gewesen, meint Gabriel. Im Moment scheint er mit dieser Einschätzung nicht ganz falsch zu liegen. Zumal ihm die Linken den Gefallen tun, sich in erster Linie mit sich selbst zu beschäftigen. Der Druck aus dieser Ecke ist jedenfalls spürbar geringer geworden.
Geradezu euphorisch ist die Stimmung derzeit bei den Grünen. In Mecklenburg-Vorpommern zog die Umwelt-Partei mit 8,4 Prozent erstmals ins Parlament ein. Damit sitzt sie nunmehr in allen 16 Länderparlamenten. Eine Premiere für eine Partei, der es im Frühjahr in der deutschen Wirtschafts-Hochburg Baden-Württemberg zum ersten Mal gelungen ist, mit Winfried Kretschmann den Regierungschef zu stellen. Bei so viel Erfolg auf einmal träumt die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth im fernen Berlin von einer Neuauflage des rot-grünen Bündnisses, das von 1998 bis 2005 regierte. Für die schwarz-gelbe Koalition im Bund hat Roth nur noch Spott übrig. "Man kann nur hoffen, dass dieser Spuk so bald wie möglich zu Ende ist."
Fast fünfzig Prozent für Angela Merkel
Bundeskanzlerin Angela Merkel ist sich über die schwierige Lage durchaus im Klaren. In der eigenen Partei werfen ihr viele vor, das konservative Profil der CDU verwässert zu haben, beispielsweise durch die Aussetzung der Wehrpflicht und den Atom-Ausstieg. Ihr erklärter Wunsch-Partner nach der Bundestagswahl 2009, die FDP, schwächelt auf dramatische Weise und verfügt in Person von Guido Westerwelle über den unbeliebtesten Außenminister aller Zeiten. Da bleibt der Kanzlerin eigentlich nur die Hoffnung auf bessere Zeiten und das Wissen darum, dass sich der Wind im politischen Alltag schnell drehen kann.
Vielleicht erinnert sich Angela Merkel dieser Tage an das Wahl-Ergebnis in Mecklenburg-Vorpommern. Nicht an das miserable der Landes-Partei vom 4. September 2011, sondern an ihr eigenes vom 27. September 2009. Damals wurde sie mit fast fünfzig Prozent als CDU-Kandidatin im Wahlkreise 15 (Stralsund, Nordvorpommern, Rügen) direkt in den Bundestag gewählt.
Autor: Marcel Fürstenau
Redaktion: Martin Schrader