"Wahre Finnen": Kritik, die abfärbt
22. Mai 2014Jari Lindström ist sichtlich stolz - etwas unsicher, aber stolz. Mit breitem Lächeln und scheuen Augen sitzt er auf dem prominentesten Stuhl, den der Fraktionssaal der "Wahren Finnen" im Parlament von Helsinki zu bieten hat. Sein Platz ist vorne auf dem Podest, genau in der Mitte. Seit einigen Wochen ist Jari Lindström Fraktionsvorsitzender, für einen einfachen Arbeiter hat er es weit gebracht.
Gewissermaßen verdankt Lindström seinen Aufstieg den finnischen Sozialdemokraten, denn als seine Papierfabrik in Schwierigkeiten geriet, wandte sich der Betriebsrat Lindström hilfesuchend an die Arbeiterpartei. "Aber keiner konnte mir helfen, am allerwenigsten die Sozialdemokraten", sagt Lindström, noch heute verbittert. 2006 musste seine Fabrik schließen, 700 seiner Kollegen verloren ihre Jobs. "Das war der Punkt, an dem ich entschieden habe, bei den 'Wahren Finnen' einzutreten."
"Wir haben die politische Landschaft nachhaltig verändert"
Mit diesem Gefühl stand Lindström nicht allein da. Aus Ärger über das Establishment wandten sich viele, vor allem männliche Wähler - Industriearbeiter, Arbeitslose - von den etablierten Parteien ab und den "Perussuomalaiset", wie sie auf finnisch heißen, zu. Das Resultat waren über 19 Prozent der Stimmen bei der vergangenen Parlamentswahl 2011, nahezu aus dem Stand. In den 20 Jahren davor hatte die heruntergekommene Bauernpartei stets nur wenige Parlamentssitze gewonnen, nun sitzt Lindström einer Fraktion mit 39 Abgeordneten vor. "Wir haben die politische Landschaft nachhaltig verändert", sagt er. "Statt drei großer Parteien gibt es jetzt vier."
Aber nicht nur die herkömmliche Parlaments-Arithmetik haben die "Wahren Finnen" gehörig durcheinandergebracht, sie haben auch neue Themen gesetzt: "Wir haben die Eurokritik in Finnland zum Thema gemacht", sagt Fraktionschef Lindström. "Ohne uns würde niemand über die Rettungspakete diskutieren. Und man würde auch nicht - oder ganz anders - über Migrationsthemen sprechen."
Hauptthemen: Euro-Rettungspakete und Migrationspolitik
Rettungspakete und Migration - wie bei den anderen Euro-Kritikern Europas sind dies auch bei den Perussuomalaiset die Schlager-Themen. Ein wesentlicher Baustein des Wahlerfolgs war ihr striktes Nein zu Hilfen für Griechenland und Portugal. Finnland habe sich in den 90er Jahren schließlich auch selbst geholfen: Der Wegfall der benachbarten Sowjetunion als Handelspartner traf die finnische Wirtschaft zwar schwer, doch mit Unternehmen wie dem Handyhersteller Nokia schrieb das nordeuropäische Land neue Erfolgsgeschichten.
Das Spiel mit Ressentiments beherrschen die "Wahren Finnen" so wie die Populisten in Frankreich, Italien oder Ungarn: Sie hätten nichts gegen Ausländer, sagt Lindström, sie seien nur kritisch gegenüber Einwanderern. Zu den rassistischen Äußerungen eines anderen Abgeordneten, erklärt er: Der Kollege habe halt einen Humor, den nicht jeder verstehe.
Die Freizügigkeit in der EU ist den "Wahren Finnen" ein weiterer Dorn im Auge. Sie befürchten ein Absinken finnischer Sozialstandards und erklären das am Beispiel eines estnischen Bauarbeiters: Dieser arbeitet in Finnland, seine Familie aber lebt weiterhin in Estland. Trotzdem könne der Mann nicht nur für sich, sondern auch für seine Kinder Sozialleistungen wie das Kindergeld beziehen - das sei doch unlogisch. Viele solcher Fälle gebe es allerdings nicht, räumt Lindström ein: "Noch ist es wahrscheinlich keine nennenswerte Zahl, aber es könnte zum Problem werden: Die Türen öffnen sich gerade. Und das ist ja genau das, was wir fürchten."
Die Musterschüler Europas
Mit Parolen wie diesen sind die "Wahren Finnen" erfolgreich geworden. Das färbt auch auf die anderen etablierten Parteien ab, sagt Jan Sundberg, Parteienforscher an der Universität Helsinki. So seien die Sozialdemokraten nach der massiven Abwanderung ihrer Wähler zu den Perussuomalaiset auf einen eurokritischen Kurs umgeschwenkt. Auch bei der liberalen Zentrumspartei oder der Jugendorganisation der konservativen Sammlungspartei finden sich inzwischen viele Ansichten, die ursprünglich von den "Wahren Finnen" kamen, so Sundberg.
Die Kopierstrategie der Etablierten ist eine Reaktion auf den Erfolg der "Wahren Finnen", sorgt in der Bevölkerung aber zugleich für eine weiter sinkende Akzeptanz der EU. Dabei ist Finnland eigentlich ein sehr aktives Mitglied der Union, viele Finnen betrachten sich selbst gar als die Musterschüler Europas: "Wir hier in Finnland befolgen die Regeln der EU sehr genau, geradezu Wort für Wort", sagt Politikwissenschaftler Sundberg. Diese Haltung, in Brüssel oft als Vorbild gepriesen, sorgt in Finnland selbst immer mehr für Verdruss: Was bringt es schon, sich an alle Vorgaben, Richtlinien und Grenzwerte zu halten, wenn die anderen Mitglieder nicht mitmachen?
Umfragen sehen die Partei bei 20 Prozent
Dazu kommt der überall in Europa verbreitete Eindruck, die EU mische sich zu stark in die inneren Angelegenheiten der Mitgliedstaaten ein. Fraktionschef Lindström formuliert es so: "Meiner Meinung nach ist die EU als Idee ausgeufert. Es geht zu weit, dass man versucht, alles zu harmonisieren und zu homogenisieren." Daher kämpfen die "Wahren Finnen" für mehr Europa, aber weniger EU: Statt der gefühlten Brüsseler Überregulierung sollen die Regierungen Probleme eher untereinander verhandeln. Neue Gesetze würden dann auch nur für die Staaten gelten, die auch wirklich betroffen sind.
Trotz aller Kritik sei in Finnland aber nur eine kleine Minderheit für einen Austritt aus der EU, so Politikwissenschaftler Sundberg. Auch die "Wahren Finnen" würden nicht so weit gehen. Deren euroskeptische Haltung aber kommt bei den Wählern weiterhin gut an: In Umfragen zur Europawahl liegen sie weiterhin stabil bei circa 20 Prozent. Statt wie bisher für einen Abgeordneten, so schätzt Politikwissenschaftler Sundberg, könnte ein solches Ergebnis nun für zwei oder drei Sitze im Straßburger Parlament reichen.
Um die EU in ihren Grundfesten zu erschüttern, wird das nicht reichen - Mitstreiter müssen her. Welcher Fraktion im Europaparlament werden sich die "Wahren Finnen" also anschließen? Jari Lindström oben auf dem Podest windet sich und weicht einer klaren Antwort aus. Das wolle man erst nach der Wahl entscheiden, sagt er, aber euroskeptisch werde die Fraktion wohl sein. Dann schiebt er nach: "Aber auf keinen Fall rassistisch!"