IS-Terror gegen Christen
26. Februar 2015Noch ist nicht klar, was die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) mit den rund 220 Christen tun wird, die sie in den vergangenen Tagen in mehreren Dörfern im Norden Syriens entführt hat. Läuft es gut, könnte sie versuchen, sie gegen inhaftierte Dschihadisten in syrischen Gefängnissen auszutauschen. Läuft es schlecht, könnte sie sie zu Opfern ihrer Symbolpolitik machen, einmal mehr demonstrieren, dass sie den Christen und dem Christentum weltweit den Krieg erklärt hat. Was das heißt, mussten zuletzt die 21 Kopten erfahren, die die Dschihadisten in Libyen entführt und einige Zeit später vor laufenden Kameras enthauptet hatten.
Nimmt man die Dschihadisten beim Wort, sind die Enthauptungen nur das Vorspiel zu einem weit größeren Kampf. Der wird derzeit noch an der südlichen Seite des Mittelmeers geführt, droht irgendwann aber auch an der nördlichen auszubrechen. Geplant ist das jedenfalls seit langem. "Wir werden Rom erobern", sagte einer der vermummten Henker am libyschen Strand. Mit dem Messer in der Hand wies er in Richtung Europa.
Theologische Begründungen
Die Aussage entsprang keiner Laune. Im Spätsommer 2014 veröffentlichte der IS die vierte Ausgabe seines Magazins "Dabiq". Der Name bezieht sich auf eine Stadt im Norden Syriens, die in den islamischen Hadithen erwähnt wird. Kurz vor dem Ende der Welt, so will es die Überlieferung, werde dort die entscheidende Schlacht zwischen Muslimen und Christen geschlagen.
Ein entsprechend markantes Titelblatt haben die Redakteure der Zeitschrift für ihre vierte Ausgabe gewählt: Es zeigt den Petersplatz in Rom, über dem die schwarze Fahne der Dschihadisten weht. Im Dezember erklärte IS-Führer Abu-Bakr al-Baghdadi, seine Organisation wolle "mit Allahs Segen" Rom erobern.
Die religiöse Begründung für den anti-christlichen Kurs lieferte eine der Vorläuferorganisationen des IS, der "Islamische Staat Irak" (ISI), bereits 2007. Damals veröffentlichte ISI sein Gründungsdokument. Es hatte den Titel "Benachrichtigung der Gläubigen über die Geburt des Islamischen Staats". Unter Berufung auf einen überlieferten Spruch des islamischen Religionsstifters Mohammed erklären die Autoren, Muslime müssten von Muslimen regiert werden. Lebten drei Muslime an einem Ort, müssten sie einen Befehlshaber ernennen.
Zudem sei es für das Heil der Muslime unumgänglich, in einem Gebiet zu leben, in dem die Scharia gelte. Da die kanonischen Texte keine Angaben zur Größe des Gebiets machen, auf dem die Sunniten leben, ist dieses auch durch keine Vorgaben begrenzt. Führt man sich zugleich die weltweite muslimische Präsenz vor Augen, liegt es nahe, dass der IS Anspruch auf ein weltweites sunnitisches Herrschaftsgebiet hegt. Wie in frühislamischer Zeit das Herrschaftsgebiet der neuen Religion immer weiter gewachsen sei, werde sich nun auch das des IS konstant ausdehnen, heißt es in der Gründungsschrift. Dieses Gebiet gelte dann automatisch als Territorium des Kalifats.
Die Expansion erfolge auf Grundlage dreier taktischer Prinzipien: "nikayah" (Terror und Zerstörung), "tawwahush" (gnadenlose Brutalität) und schließlich "tamkin" (Etablierung des Kalifats). Daran, dass er es ernst meint, lässt der IS keinen Zweifel.
Die Ziele des Terrors
Mit den gezielten Angriffen auf Christen, schreibt der iranisch-amerikanische Historiker und Kulturphilosoph Hamid Dabashi auf der Internetseite von Al-Jazeera, verfolge der IS vier Ziele.
Erstens gehörten die Christen zu den ältesten Bevölkerungsgruppen des Nahen Ostens. Insofern seien sie eines der augenfälligsten Symbole für die multikulturelle und multikonfessionelle Vielfalt der Region. Diese wolle der IS auslöschen.
Zweitens zielten die Angriffe auf religiöse Minderheiten wie Christen, Schiiten und Jesiden darauf, die religiösen Gruppen gegeneinander aufzuhetzen und auf diese Weise die Stabilität innerhalb der einzelnen Staaten zu untergraben.
Drittens sollten die Angriffe die westlichen Mächte - die EU und die USA - zu Interventionen provozieren. Dadurch würden sie dazu beitragen, der vom IS erhobenen Behauptung, der Islam befinde sich im Krieg mit der restlichen Welt, scheinbare Plausibilität zu verleihen. Umgekehrt neige der Westen dazu, die Angriffe gegen Christen als Angriff gegen sich selbst zu deuten. Dabei, so Dabashi, werde aber übersehen, dass die meisten Opfer der Terrororganisation arabische Christen seien.
Viertens seien die Angriffe gegen die religiösen Minderheiten ein Versuch, den durch die Niederlage in Kobane stark angekratzten Nimbus der Unbesiegbarkeit wiederherzustellen. Das trage auch dazu bei, den IS in den westlichen Medien präsent zu halten.
Im Westen, könnte man als fünften Punkt hinzufügen, besteht außerdem die Gefahr, dass der Terror gegen Christen eine diffuse Islamophobie zusätzlich anheizt. Durch sie wiederum könnten manche Muslime dazu tendieren, sich zu radikalisieren und sich dschihadistischem Gedankengut zu öffnen. Damit wäre ein fataler Kreislauf in Gang gesetzt, der aus dem Wechselspiel von Aktion und Reaktion immer neue Kraft erhält. Jedenfalls so lange, wie man das Kalkül des IS nicht durchschaut.