USA parken afghanische Ortskräfte im Ausland
28. August 2021Mehr als 100.000 Menschen haben die USA und ihre Alliierten seit der Machtübernahme der militant-islamistischen Taliban am 14. August aus Kabul geholt. Die meisten davon hat das US-Militär ausgeflogen und zunächst auf verschiedene Militärbasen im Nahen Osten und in Europa verteilt.
Allein im deutschen Ramstein, dem größten US-Luftwaffenstützpunkt außerhalb Amerikas, kamen nach Angaben des US-Militärs bis zum Donnerstagabend 14.500 Menschen aus Afghanistan an. 3500 von ihnen seien bereits in die USA weitergereist, hieß es. Afghanen waren nicht darunter. Die afghanischen Ortskräfte - also Einheimische, die für das Militär, diplomatische Einrichtungen oder andere Organisationen aus den USA gearbeitet haben - werden mit ihren Familien zunächst in der Militäranlage nahe Kaiserlautern einquartiert.
USA parken afghanische Ortskräfte in Drittländern
Von den zehntausenden evakuierten Ortskräften der USA sind bisher nur etwa 1200 in den USA angekommen. Deutschland ist nach Darstellung der US-Regierung nur ein Transitland. Doch wohin die in Ramstein wartenden Flüchtlinge nun gebracht werden, ist noch nicht klar.
Denn Ziel der US-Regierung ist es offenbar, so viele Ortskräfte wie möglich auf Drittländer in der ganzen Welt zu verteilen, bis ihre Visa-Anträge geprüft und bewilligt sind. Ende vergangener Woche verkündete US-Außenminister Anthony Blinken, gut ein Dutzend Partnerländer hätten bereits zugesagt, US-Ortskräfte aufzunehmen: Albanien, Kanada, Costa Rica, Chile, Kosovo, Nordmazedonien, Mexiko, Polen, Katar, Ruanda, Ukraine sowie Uganda und Kolumbien.
In Uganda sind bereits die ersten afghanischen Familien eingetroffen. Insgesamt will das afrikanische Land 2000 Menschen aufnehmen. Kolumbien hat zugesagt, 4000 Afghanen während ihrer Visa-Verfahren zu beherbergen. Dort, so hat es US-Präsident Joe Biden angekündigt, sollen sie erst einmal sorgfältig überprüft werden - medizinisch, aber vor allem hinsichtlich ihres Anrechts auf ein Visum.
Spezielles Visa-Programm für afghanische Ortskräfte
Dabei gibt es in den USA bereits seit 2009 ein "Special Immigrant Visa"-Programm für afghanische Ortskräfte, das ihnen erleichtern soll, einen permanenten Aufenthaltstitel für die USA zu erhalten. Bisher haben rund 76.000 afghanische Landsleute ein solches SIV erhalten. Ende Juni dann hat die US-Regierung die Aufnahmekriterien für das Programm noch einmal aufgeweicht, um auch Menschen einzuschließen, die erst kurz für US-Organisationen gearbeitet haben.
Internationalen Forderungen, auch Menschenrechtsaktivisten, Journalisten und anderen besonders gefährdeten Personengruppen ein vereinfachtes Aufnahmeverfahren zu eröffnen, ist Washington bisher jedoch nicht nachgekommen. Dennoch könnten bis zu 100.000 weitere Afghanen einen Anspruch auf ein SIV haben, sagte J.C. Hendrickson von der Nichtregierungsorganisation "International Rescue Committee" dem US-Politmagazin "Foreign Policy".
Bürokratische Hürden türmen sich auf
Alex Nowrasteh, Migrationsexperte des libertären Think-Tanks Cato Institute, geht von einer weit größeren Zahl von Menschen aus, die über die vergangen 20 Jahre zumindest einen theoretischen Anspruch auf ein SIV erworben haben. Doch nur ein Bruchteil von ihnen werde den wohl auch geltend machen können, erklärte er Mitte August im Cato Daily Podcast: "Es ist so schwierig und teuer, und man muss nachweisen, dass man eine bestimmte Zeit lang für das US-Militär gearbeitet hat. Und erschreckenderweise hat das US-Militär darüber keine guten Aufzeichnungen geführt."
In vielen Fällen seien keinerlei Lohnnachweise oder Verträge dokumentiert worden oder sie seien inzwischen vernichtet. Er wolle keine Absicht unterstellen, sagte Nowrasteh, es falle ihm allerdings schwer, eine andere Erklärung dafür zu finden: "So, wie die Behörden das Verfahren handhaben, wirkt es, als wollte man diese Menschen nicht haben."
Wahlkampf in der Afghanistan-Krise
Nun fragen sich viele, warum gerade Joe Biden, der eigentlich für eine offenere Einwanderungspolitik steht, den Afghanen nicht den Weg ebnet. Die CNN-Journalistin Maeve Reston weist in einer Analyse darauf hin, dass die Einwanderungspolitik für Bidens Regierung bisher ein heikles Thema sei. Sein Kontrahent Donald Trump treibe schon wieder Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl 2024 und könnte Biden vorwerfen, mit der Aufnahme einer großen Zahl afghanischer Flüchtlinge nicht im Interesse der USA zu handeln.
Auch Cato-Analyst Nowrasteh glaubt, dass die Biden-Regierung Angst davor hat, dass sich in den USA die teils migrationsfeindliche Stimmung weiter ausbreiten könnte, wie er der DW auf Anfrage schrieb. Offenbar sehe Biden hier Parallelen zur Flüchtlingskrise 2015/2016 in Europa. Doch das sei lächerlich.
Dass die USA deshalb Flüchtlinge zunächst in andere Länder bringt, habe mehrere Gründe: Zum einen wolle Biden den Eindruck erwecken, dass die Last international aufgeteilt werde. Hinzu kämen praktische Erwägungen: "Es ist einfacher, abgelehnte Antragsteller nach Afghanistan abzuschieben, wenn sie nicht in den USA sind. Hier haben sie gewisse Rechte. In Uganda nicht ganz so viele."
Forderungen nach Bürokratieabbau von vielen Seiten
Nowrasteh plädiert dafür, die Visa-Verfahren für afghanische Flüchtlinge zu vereinfachen: "Es gibt keinen guten Grund dafür, afghanische Flüchtlinge abzublocken", lautet ein kürzlich erschienener Aufsatz von ihm.
Der republikanische Abgeordnete Adam Kinzinger sieht das ähnlich: "Flüchtlinge haben in diesem Land immer extremen Unternehmergeist gezeigt. Wir alle wissen, dass sie hart arbeiten und kämpfen für ihren Erfolg", sagte er in einem CNN-Interview. Ähnlich argumentiert der Journalist Arthur Herman in seinem Kommentar "Helft afghanischen Flüchtlingen und sie werden Amerika helfen" im Wall Street Journal. Kinzinger hat einen Fonds ins Leben gerufen, mit dem afghanische Familien in den USA beim Aufbau einer neuen Existenz unterstützt werden sollen.
Für Biden, sagt Republikaner Kinzinger seien die bürokratischen Hürden ein geerbtes Problem. Die schleppende Bearbeitung der SIV-Anträge habe unter Barack Obama begonnen, habe aber vor allem unter Donald Trump größere Ausmaße angenommen. Nun sei es an Biden, das zu ändern. Die Angstmache vor Flüchtlingen in Politik und Medien bezeichnete Kinzinger als "nicht amerikanisch".