Corona-Impfung: Ärzte und Pfleger zögern
9. Januar 2021Das Krankenhaus Bethel Berlin im beschaulichen Süden der Hauptstadt ist eine eher kleine Einrichtung, weit entfernt von der Hektik großer Kliniken. Aber natürlich ist die Corona-Pandemie auch hier voll angekommen. Eine leerstehende Station wurde zu einer Impfstraße umgebaut. Was fehlt, ist bislang der Impfstoff, wie an vielen anderen Orten in Deutschland. Etwas frustrierend sei das, sagt Oberarzt und Pandemiebeauftragter Hans Weigeldt. Der Impfstoff sei doch nach langen Monaten harter Arbeit ein Hoffnungsschimmer, nötig, um auch die Psyche der Mitarbeiter im Gesundheitswesen wieder aufzurichten.
Auch der Intensivpfleger Sebastian Schmidt will sich, sobald es geht, gegen das Coronavirus impfen lassen. "Ich sehe täglich auf der Arbeit dem Corona-Tod in die Augen und sehe, wie Patienten leiden, wie schwerkrank die Patienten sind aufgrund dieses Virus und möchte mich auf jeden Fall dagegen impfen lassen", sagt er der DW. "Auch nicht nur um mich zu schützen, sondern auch meine Angehörigen. Ich bin pflegender Angehöriger. Dann muss ich auf jeden Fall besonders aufpassen und finde, ich habe auch der Bevölkerung gegenüber eine Fürsorgepflicht."
"Ich stell mich nicht ganz nach vorn in der Schlange!"
Das - so sollte man meinen - ist die allgemeine Haltung von Ärzten und Pflegern zur lang ersehnten Corona-Impfung. Tatsächlich ist das Bild weitaus differenzierter. Exemplarisch dafür steht die Ansicht von Vivien Kochmann, Krankenpflegerin im Krankenhaus Bethel Berlin. Sie achtet seit Monaten penibel auf die Abstandsgebote, trägt Masken, wäscht sich die Hände. Gerade als Mutter eines kleinen Kindes hat sie ihre Kontakte drastisch reduziert.
Aber beim Impfen, so drückt sie sich aus, stelle sie sich nicht gleich ganz vorne in der Schlange an, sie warte lieber ab: "Ich gehe da noch sehr vorsichtig ran und mit ganz viel Respekt, weil ich irgendwo immer noch ein bisschen Angst davor habe, weil der Impfstoff jetzt noch nicht so lange da ist, dass man sagen kann: okay, ich bin jetzt zu einhundert Prozent davon überzeugt. Ich habe ehrlich gesagt ein bisschen Sorge. Das ist so mein persönliches Empfinden."
Eine Impfgegnerin ist Vivien Kochmann aber bei Weitem nicht. Generell, so sagt sie, sei sie gegen viele Krankheiten geimpft. Aber sie arbeitet zu lange im Krankenhaus, um nicht zu wissen, wie viel Zeit normalerweise verstreicht, bis ein Impfstoff wirklich ausgreift sei. Vielleicht, so hofft sie, werden die Impfstoffe im Laufe des Jahres ja noch besser. Und vor allem die Aufklärung über mögliche Risiken.
Umfrage: 50 Prozent der Pflegekräfte warten erst einmal ab
Eine Skepsis, die nach Expertenangaben keine Seltenheit ist unter dem medizinischen Personal in Deutschland. Eine Umfrage, die von der "Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin" (DGIIN) und der "Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin" (Divi) bereits im Dezember vergangenen Jahres durchgeführt wurde, hat ergeben, dass sich in Deutschland nur 73 Prozent der Ärzte und sogar nur knapp 50 Prozent der Pflegekräfte impfen lassen wollen. Obwohl eine deutliche Mehrheit der Befragten aussagt, der Impfstoff sei wichtig, um die Pandemie einzudämmen.
Eine Sprecherin der Divi erklärte aber unlängst, die Dezember-Zahlen seien bereits überholt und seit dem Impfstart habe sich einiges getan.
Der "Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste" (bpa) zeichnet allerdings ein eher unübersichtliches Bild. Der Präsident der Organisation, Bernd Meurer, sagte: "Wir haben Einrichtungen, wo sich fast einhundert Prozent der Mitarbeiter impfen lassen. Und das reicht bis hin, dass sich zwei Drittel nicht impfen lassen." Ähnlich klang Mitte dieser Woche auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Er berichtete, es gebe etwa Pflegeheime, in denen bereits geimpft wird, die unter dem Personal eine Impfquote von 80 Prozent auswiesen. In anderen Häusern seien das aber nur 20 Prozent.
Lauterbach vermutet: Ärzte und Pfleger vertrauen der Schutzkleidung
Über die Gründe für diese Impfskepsis wird in Deutschland gerade heftig debattiert. Der Gesundheitsexperte der SPD im Bundestag, Karl Lauterbach, selbst Epidemiologe, vermutet dahinter die Einschätzung vieler Mediziner und Pflegekräfte, nicht zur Hochrisikogruppe zu gehören und durch Spezialkleidung gut geschützt zu sein.
Dagegen hat die Studie vom Dezember eher die Furcht vor Spätfolgen und Nebenwirkungen als Grund für eine Zurückhaltung beim Impfen ausgewiesen. Tatsächlich berichteten Mitarbeiter anderer Kliniken in Berlin der DW von der Besorgnis einiger Frauen, bei einer späteren Schwangerschaft durch die Impfung Risiken einzugehen. Bpa-Präsident Meurer bringt noch ein anderes Argument ins Spiel: Auch nach einer Impfung müssten etwa die Pfleger weiter eine Maske tragen, die Impfung bringe also aktuell keine Erleichterung. Und nach wie vor sei unklar, ob man trotz einer Impfung nicht doch andere anstecken könne.
Viele Ärzte und Pfleger waren bereits infiziert
Auf den letzten Punkt verweist auch Sven Nelken, Pfleger in einem Krankenhaus in Brandenburg, der anonym bleiben möchte. Sein Name wurde deshalb geändert. Nelken, der selbst schon mit der ersten Dosis geimpft ist, sagt der DW über den bislang eingesetzten Impfstoff der deutschen Firma Biontech: "Dieser verhindert keine Infektion mit dem Coronavirus. Er verhindert lediglich das Ausbrechen der Krankheit Covid-19. Ich kann mir vorstellen, dass andere lieber auf weitere Impfstoffe warten."
In seinem Arbeitsumfeld aber, so Nelken, würden sich alle Kolleginnen und Kollegen impfen lassen. Denn: "Wir haben die letzten Monate zu oft gesehen, was das Virus anrichten kann." Und noch etwas gibt Nelken zu bedenken: Viele Ärzte und Pfleger haben sich im Verlauf der Monate nach Ausbruch der Pandemie bereits infiziert, sind genesen und haben Antikörper gebildet. Und brauchen die Impfung deshalb erst einmal nicht.