Warum Hip-Hop gut zur Wirtschaft passt
1. November 2021DW: In Ihrem neuen Buch "Erfolgsformel Hip-Hop" heißt es, dass sich laut Marktforschungsstudien fast die Hälfte der jungen Generation Z mit dieser Kultur identifiziert. Auch die Zusammenarbeit von Wirtschaftsunternehmen und Konzernen außerhalb der Musikbranche mit Künstlern aus dem Hip-Hop Bereich erreicht immer neue Dimensionen. Welche Beispiele fallen Ihnen spontan ein?
Tobias Kargoll: Es gab und gibt natürlich in 50 Jahren Hip-Hop eine Menge aufsehenerregende Themen: Beispielsweise wurde Kanye West mit seinem Sneaker-Brand Yeezy zum Milliardär. Das Schuh-Modell, das von Adidas produziert und vertrieben wird, erzielte alleine 2019 einen Umsatz von 1,3 Milliarden US-Dollar. Der Rapper Jay-Z gründete 1999 das Streetwear-Label Rocawear und stieß es 2007 für 200 Millionen US-Dollar wieder ab. Er besitzt mittlerweile namhafte Anteile an vielen internationalen Unternehmen. Die Hälfte seiner Champagnerfirma Armand de Brignac hat er 2021 an den Luxusmarken-Konzern LVMH verkauft.
Am erfolgreichsten als Geschäftsmann ist wohl der Rapper Dr. Dre, dessen Kopfhörer-Hersteller Beats Electronics 2014 für 3,2 Milliarden US-Dollar von Apple übernommen wurde. Da sind die fünf Millionen in Deutschland innerhalb eines Jahres verkauften Tiefkühlpizzen von Capital Bra fast schon Kleinkram. Sogar der Sportwagenhersteller Porsche hat im Frühjahr einen Reise- und Kulturführer über Hip-Hop in Europa vorgestellt. Das zeigt nochmal die ganze Bandbreite der Unternehmen, die am Hype um diese spezielle Kulturströmung teilhaben wollen.
Warum bringt ausgerechnet diese Subkultur so viele erfolgreiche Unternehmer hervor und warum setzen viele Branchen auf Hip-Hop-Elemente?
Das Potenzial liegt darin, dass Hip-Hop eine sehr markenaffine Kultur ist. Man kommuniziert auch über Marken und Produkte. Hip-Hop ist das Kind einer kapitalistischen Gesellschaft, geboren in den 1970er Jahren in armen New Yorker Stadtteilen wie der Bronx oder Queens. Wer dort lebte - häufig Puerto Ricaner oder Afroamerikaner - hatte den Reichtum von Manhattan ständig vor Augen und war doch davon ausgeschlossen.
Hip-Hop hat viel mit dem Glauben an Selbstwirksamkeit zu tun. Man möchte sichtbar werden, sich selbst ausdrücken und all das erreichen, was einem die Gesellschaft vorenthalten will. Dazu gehört auch sozialer Aufstieg. Wer es allen Hindernissen zum Trotz vom Tellerwäscher zum Millionär schafft, der nutzt Statussymbole als Trophäe für das Erreichte. Genau so stolz ist man darauf, wo man herkommt. Produkte können beides symbolisieren, den Anfang und das Ziel der Reise.
Hip-Hop ist mehr als Rap. Welche Elemente stehen im Vordergrund?
Hip-Hop beinhaltet auch Tanz, Streetart und Graffiti, Sneaker-Kultur und Streetfashion. Aus diesem Bereich kommt beispielsweise der Designer Virgil Abloh, der seit einigen Jahren künstlerischer Leiter der Herrenmode-Kollektion von Louis Vuitton ist, aber auch weiter sein Modelabel Off-White betreibt. Eine historisch herausragende Rolle spielt Dapper Dan. Seine Lebensgeschichte soll demnächst verfilmt werden. Sie ist eine Metapher für das Verhältnis zwischen der Subkultur Hip-Hop und der Mehrheitsgesellschaft: In den Achtzigern nutzte er die Logos europäischer Luxusmarken für Streetwear und machte diese Marken damit zum Teil der Hip-Hop-Kultur. Damals hat man ihn mit juristischen Mitteln gestoppt, heute arbeitet Gucci mit ihm zusammen. 2020 wurde Dapper Dan von einem großen Magazin zu den einflussreichsten Menschen des Jahres gezählt.
In Ihrem Buch beschreiben Sie das konkrete Mindset, also die bestimmten Denkweisen der Hip-Hop-Künstler, die zum geschäftlichen Erfolg führen. Wie sehen diese Techniken aus?
Der Wille zum Erfolg ist ganz tief in der Hip-Hop-Kultur verankert: Der Underdog-Mindset, es aus ärmlichen, begrenzten Verhältnissen gegen alle Widerstände nach ganz oben schaffen zu wollen. Hip-Hop begann mit Graffiti. Auch Graffiti war eine Reaktion auf Marginalisierung durch Klassismus und Rassismus. Da gab es Leute, die das Gefühl hatten, nicht gesehen zu werden, keine Bedeutung zu haben. Die wollten sichtbar werden und haben angefangen, ihren Namen auf Wände zu malen. Und sie entdeckten irgendwann die Möglichkeit, ihren Namen auf Züge zu malen. Die Züge rollen durch die ganze Stadt. Und plötzlich hatten sie die größte Galerie der Welt.
Das heißt, man macht sich Dinge um einen herum zunutze und hat eine gewisse Hacker-Mentalität. Als Kulturtechnik ist auch das Sampling extrem wichtig: Vorhandene Elemente aus der Umgebung nehmen und sie in einen neuen Kontext setzen. So sind auch Rapmusik und Streetwear entstanden. Außerdem ist der Wettbewerbsgedanke ein prägendes Element. Denken Sie an die Rap- oder Dance-Battles, bei denen sich die Konkurrenten gegenseitig übertrumpfen. Außerdem spielt Kollaboration im Hip-Hop eine wichtige Rolle. Solokünstler versammeln ihre eigene Crew hinter sich, arbeiten auch projektbezogen mit anderen Künstlern zusammen, quasi um Synergieeffekte zu erzeugen, wie man im Management-Jargon sagen würde.
Sie meinen, die Hip-Hop-Szene ist eine Art Spiegel der kapitalistischen Welt - nur unter anderen Vorzeichen? Wenn man kein Geld hat, muss man improvisieren und neue Wege finden, um zu erreichen, was man haben will?
Das ist richtig. Genau das ist es, was wir als Hacker-Mentalität umschreiben. Das findet man schon genauso bei den ersten Hip-Hop-Partys, wo sich Leute ihre Boxen aus Ölfässern gebaut haben und sich an den Autowracks, die in New York in den Straßen standen, bedient haben, um sich ihre Technik zusammenzubasteln und vielleicht den Strom von der Straßenlaterne genommen haben. Specter, einer der Gründer des Hip-Hop Labels Aggro Berlin, hat mal gesagt, Hip-Hop ist die erste Jugendkultur, die sich die Techniken des Kapitalismus zunutze gemacht hat.
Hip-Hop ist eine Reaktion auf Marginalisierung durch Armut und durch rassistische Strukturen. Man findet selbst Wege, um im System zu existieren. Das ist ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg von Hip-Hop Kultur. Der eigene Erfolg ist ein kleiner Sieg über das System und daran lässt man sein direktes Umfeld teilhaben. Das ist die Haltung, die in Verbindung mit einer Menge Kreativität oft zu unerwarteten Erfolgen von Underdogs führt, denen am Anfang die Mittel gefehlt haben.
Hip-Hop gibt es seit rund einem halben Jahrhundert - wie lange geben Sie ihm noch?
Ich arbeite seit 15 Jahren in der Hip-Hop-Kultur. Immer wieder hieß es, in zwei, drei Jahren ist der Hype vorbei. Und jetzt sind es in Deutschland schon viele und weltweit sogar schon 50 Jahre. Das Spannende an Hip-Hop-Kultur ist, dass sie sich durch Sampling, also die Technik, andere Dinge in sich aufzunehmen, immer wieder neu erfinden kann. Der Kern bleibt der gleiche, aber es gibt unglaublich viele Inkarnationen, Weiterentwicklungen und Varianten von Hip-Hop.
Der Hip-Hop in 15 Jahren wird vielleicht auf den ersten Blick nichts mehr damit zu tun haben, was wir heute unter Rapmusik, Streetart oder Streetwear verstehen. Aber - und das ist auch etwas, was wir in unserem Buch festgestellt haben - die DNA bleibt überall die gleiche. Diese grundlegende Erfolgsformel findet sich vom Street-Designer, der Karriere bei Louis Vuitton macht, beim Graffiti- und Street-Artist Banksy, der aktuell der bekannteste Künstler der Welt ist, oder auch bei deutschen Rappern, die oben in den Charts stehen. Und genauso wird man diese DNA in 15 Jahren noch finden können.
Tobias Kargoll ist Herausgeber des Magazins Hiphop.de, Youtube-Moderator und Mitbegründer der Unternehmensberatung THE AMBITION. Zusammen mit Philipp Böndel hat er kürzlich das Buch "Erfolgsformel Hip-Hop" veröffentlicht.
Das Gespräch führte Klaus Ulrich.