Was kommt nach Afghanistan?
19. September 2013"Waffenexporte verbieten! Auslandseinsätze beenden!" steht in großen schwarzen Lettern auf dem Wahlplakat der Linken. Als einzige der im Bundestag vertretenen Parteien will die Linke alle deutschen Soldaten aus den Auslandseinsätzen abziehen, auch aus Afghanistan. Mit dieser Forderung macht die Partei, die für einen demokratischen Sozialismus eintritt, ganz offensiv Wahlkampf. "Das ist ein Herzensthema für die Linke", sagt der Bundestagsabgeordnete Jan van Aken im Gespräch mit der DW. "Meine Wahlkampfstrategen sagen mir zwar, mit Außenpolitik gewinnt man keine Stimmen. Aber das glaube ich nicht ganz."
Zur Zeit ist die Bundeswehr mit etwa 4100 Soldaten im Norden Afghanistans präsent. Anders als die Linke halten die anderen Parteien diesen Einsatz nicht für gescheitert. Sie verweisen auf Erfolge beim Wiederaufbau und auf die Zusage der Afghanen, ab 2014 selbst für ihre Sicherheit zu sorgen. Dennoch gilt die schwierige Mission als Einschnitt, der die Bewertung von Auslandseinsätzen in den letzten vier Jahren verändert hat.
Schmerzhafter Lernprozess
Dass Regierung und Parlament die Herausforderungen des Einsatzes lange unterschätzt haben, ist Konsens quer durch alle politischen Lager. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir noch einmal mit 50 truppenstellenden Nationen und mehr als 80 Nationen im zivilen Wiederaufbau versuchen, ein ganzes Land zu stabilisieren und eine Nation neu zu formen", bilanziert der Sozialdemokrat Hans-Peter Bartels. Der Anspruch, "Nation Building" - Staatsbildung - von außen zu betreiben, sei ein sehr hoher gewesen. "Möglicherweise verhindert auch die Vielfalt äußerer Hilfe das Herausbilden einer inneren Identität eines Landes", mutmaßt der SPD-Bundestagsabgeordnete im Gespräch mit der DW.
Während die Ansprüche zu hoch waren, erwies sich die militärische Ausstattung anfangs als zu dürftig. Deutschland schickte zu Beginn der Mission im Jahr 2002 einige Hundert Soldaten, die im zerstörten Kabul zu Fuß auf Patrouille gingen. Der Einsatz galt damals als zeitlich begrenzte Stabilisierungsmission in der afghanischen Hauptstadt. Doch dieses Kalkül der internationalen Gemeinschaft erwies sich als Trugschluss: Die Taliban terrorisierten die Bevölkerung weiter, die neue Zentralregierung war schwach, Armee und Polizei waren in einem erbärmlichen Zustand. Nun gab die Bundesregierung die Parole aus, Deutschlands Sicherheit werde am Hindukusch verteidigt.
Immer mehr Soldaten aus fast 50 Ländern rückten in die ISAF-Truppe nach, im Jahr 2010 waren es 130.000 statt der anfänglichen 5000. Doch das Land konnten sie nur ansatzweise befrieden. Es war der ehemalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), der als erstes Kabinettsmitglied vom "Krieg" in Afghanistan sprach - da lief der Einsatz schon mehr als acht Jahre. Die Operation wirkte immer mehr wie ein Tunnel ohne Ausgang. Hinzu kamen innenpolitische Erschütterungen: Der im September 2009 von einem deutschen Offizier befehligte Luftangriff von Kundus, bei dem Dutzende Zivilisten starben, führte später zum Rücktritt von Arbeitsminister Franz Josef Jung (CDU), der zum Zeitpunkt des Angriffs Verteidigungsminister war.
Ziele definieren, Mittel bereitstellen
"Wenn wir künftig Einsätze angehen, brauchen wir ein formuliertes politisches Ziel, das erreicht werden soll", schlussfolgert Roderich Kiesewetter, Bundestagsabgeordneter der regierenden Christdemokraten. "Und wir brauchen ausreichende Mittel. Die Bundeswehr war über Jahre ohne die notwendige Kampfunterstützung in Afghanistan", fügt Kiesewetter hinzu, der selbst lange bei der Bundeswehr war. "Erst als viele Soldaten ihr Leben verloren haben, hat man überlegt, sich anders zu positionieren."
Mindestens 35 deutsche Soldaten sind bisher in Afghanistan gefallen (Stand vom 27.08.2013), ein hoher Preis. Inzwischen hat der Abzug der Kampftruppen begonnen, er soll Ende 2014 abgeschlossen sein. Bei künftigen Einsätzen müsse man von Anfang an eine Abzugs-Strategie mitdenken, fordert die FDP, der kleine Koalitionspartner der CDU. Die Grünen haben in ihr Wahlprogramm geschrieben, dass afghanische Mitarbeiter der Bundeswehr hierzulande Aufnahme finden sollten, wenn die Truppen abziehen. Dass Ortskräfte um ihr Leben fürchten müssen, ist ein weiterer Beleg für die immer noch schwierige Lage in Afghanistan.
Was sind die Einsätze der Zukunft?
Seit Jahren wird die Bundeswehr kontinuierlich zu einer Einsatzarmee umgebaut, aber eine Gesamtbewertung der bisherigen Missionen gibt es nicht. Was die Kriterien für künftige Auslandseinsätze der Bundeswehr angeht, bleiben die Parteien auch nach dem Afghanistan-Schock eher vage. "Ein richtiger Ansatz ist, sich nicht in jedem Fall selbst zuständig zu fühlen für die Konfliktlösung", sagt der Sozialdemokrat Hans-Peter Bartels. "Regionale Bündnisse wären die ersten, die man fragen muss, ob sie etwas tun können." Als Beispiel nennt er die ECOWAS, die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft, im Fall Mali und die Afrikanische Union im Fall Sudan. "Und wir können unterstützen", so Bartels gegenüber der DW.
Für die Christdemokraten sind Piratenangriffe auf Handelsschiffe ein Grund, die Bundeswehr zu mobilisieren - hier werden im Wahlprogramm zumindest indirekt wirtschaftliche Interessen als Einsatzkriterium genannt. SPD und Grüne plädieren dafür, der zivilen Krisenprävention und Konfliktbearbeitung einen höheren Stellenwert einzuräumen. Die Linke geht noch einen Schritt weiter: Das Geld, das durch die Beendigung aller Auslandseinsätze eingespart werden könnte, solle in die Ausbildung von Friedensfachkräften fließen.
Unvereinbare Positionen
Zwar sind sicherheitspolitische Fragen nicht entscheidend für den Ausgang der Bundestagswahl. Aber sie können eine wichtige Rolle spielen bei der Bildung von Regierungsbündnissen. Die Linke will sich ausdrücklich nicht an einer Regierung beteiligen, die Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt. Das ist einer der Gründe, warum eine Koalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Linken, die rechnerisch eine Mehrheit haben könnte, nach der Wahl am 22. September sehr unwahrscheinlich ist.