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PolitikAsien

Was tun nach Ende der Luftbrücke aus Kabul?

27. August 2021

Nach dem Ende der Luftbrücke will Berlin die "nächste Phase der Hilfe" bei der Ausreise aus Afghanistan starten. Ob mit Erfolg ist mehr als ungewiss.

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Usbekistan | Konflikt in Afghanistan - Taschkent
Einer der letzten Evakuierungsflüge der Bundeswehr ist am Donnerstag in Taschkent gelandet Bild: Marc Tessensohn/Bundeswehr/dpa/picture alliance

Wie diese Phase verlaufe, hänge entscheidend von den Gesprächen mit den Taliban ab, sagt Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, im DW-Interview. Klar sei, dass man dabei auf zivilen Verkehr setzen müsse, denn eine militärische Absicherung werde nicht mehr stattfinden können. "Idealerweise würde der Kabuler Flughafen wieder für den zivilen Luftverkehr geöffnet, so dass schrittweise Charterflieger und später auch wieder Linienflüge die Afghanen und auch verbleibende ausländische Staatsangehörige in Absprache mit den Taliban herausfliegen könnten. Das wäre deshalb besonders notwendig, weil wir dann auch in weitaus größeren Zahlen Personen herausbekämen. Aber das hängt jetzt von den Gesprächen mit den Taliban ab."

Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion
Grünen-Politiker Nouripour: "Unser Einfluss ist extrem klein"Bild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Macht Berlin falsche Hoffnungen?

Zu welchen Bedingungen die Taliban ihre bedrohten Landsleute gehen lassen könnten, sei offen, sagt Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag, im DW-Gespräch. "Aber die Taliban werden für jeden einzelnen, den sie rauslassen, einen hohen Preis verlangen, weil wir uns durch das Unterlassen von frühzeitigen Evakuierungen erpressbar gemacht haben." Erklärungen, man wolle die Menschen später aus dem Land holen, seien fahrlässig. "Bei der jetzigen Lage fürchte ich, dass man den Menschen grausam falsche Hoffnung macht."

Eine Reihe von Personen, etwa Frauenrechtlerinnen oder Journalisten, seien mit dem Tod bedroht, sagt Omid Nouripour. Es sei richtig, alles dafür zu tun, um sie zu schützen und rauszuholen. "Aber dass man es nicht rechtzeitig unternommen hat, führt jetzt dazu, dass man jetzt große Schwierigkeiten haben wird, zu einer Lösung zu kommen, die auch tatsächlich realisierbar ist."

Nils Schmid
SPD-Politiker Schmid: "Wir arbeiten mit Hochdruck an einer Lösung" Bild: DW/M. Soric

Dennoch sei eine Rettung grundsätzlich nicht ausgeschlossen, sagt Nils Schmid. "Ich halte es für realistisch, aber offen. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, auch über die Gespräche in Doha, dass die Taliban auch afghanische Staatsangehörige, die Verbindungen zu westlichen Stellen haben und die raus wollen, weil sie bedroht sind, gehen lassen." Diese Aufgabe sei aber nur politisch und diplomatisch zu lösen. Militärisch sei sie nicht leistbar. "Wir haben zwar Tausende herausgeholt, aber wir wissen ganz genau, dass ein Großteil noch im Land zurückbleibt. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, auch sie herauszuholen."

Einflussmöglichkeiten unterschiedlich eingeschätzt

Deutschland habe Möglichkeiten, auf die Taliban einzuwirken, so Johann Wadephul, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für den Bereich Auswärtiges und Verteidigung, gegenüber der DW. Wenn derzeit auch noch offen sei, welcher Flügel sich in der heterogen Gruppierung durchsetzen werde. Von dem Ergebnis werde auch der Grad abhängen, zu dem die Taliban die Menschenrechte achteten. "Gleichwohl dürfen wir uns keiner falschen Illusion hingeben: Die Taliban verfolgen eine klare ideologische Agenda, die auf einer archaischen Auslegung der Scharia fußt."

Taliban-Vorstoß erhöht die politische wirtschaftliche Unsicherheit in Afghanistan
Taliban-Führung sieht sich mit Preissteigerungen und Nahrungsmittelknappheit konfrontiertBild: Haroon Sabawoon/AA/picture alliance

Allerdings wüssten die Taliban, dass sie von ausländischer Hilfe und fortgesetzter wirtschaftlicher Betätigung abhängig seien. "Der rasante Währungsverfall und die steigenden Preise wenige Tage nach der Machtübernahme zeigen diese Verwundbarkeit. Daher wird der Westen gerade über den Weg finanziellen Engagements einen gewissen, wenngleich begrenzten Hebel in der Hand halten." Diesen gelte es in den kommenden Wochen eng koordiniert mit internationalen Partnern einzusetzen. "Allerdings muss für uns ein Mindestmaß an menschenrechtlichen Standards, vor allem mit Blick auf Frauen- und Mädchenrechte, eine rote Linie sein."

Omid Nouripour hingegen hält die Einflussmöglichkeiten der westlichen Staaten für begrenzt. Druckmittel gebe es kaum: "Wir sind raus. Unser Einfluss ist extrem klein." Deshalb warne er davor, zu hohe Erwartungen an Verhandlungen mit den Taliban zu wecken. "Die Gruppe hat sehr viel versprochen und nichts davon gehalten. Das Kernversprechen an die Trump- und Biden-Administration war die Beendigung der Zusammenarbeit mit Al Kaida. Das ist bis heute nicht passiert." Auch der Status der Taliban mache Verhandlungen grundsätzlich schwierig: "Wir reden über eine Miliz, die eine legitime Regierung überrannt hat. Das ist nicht einfach eine Regierung, mit der man über Kooperationsfelder redet. Es muss für diese Verhandlungen klare rote Linien geben."

Afghanistan | Nach dem Anschlag in Kabul
Taliban-Kämpfer nach dem vom IS verübten Anschlag am Kabuler Flughafen Bild: Wakil Kohsar/AFP/Getty Images

Auch die Warnung Deutschlands, man werde unter Umständen die Entwicklungshilfe  einstellen, sei nur begrenzt wirksam. "Das setzt voraus, dass die Taliban an der Entwicklung des Landes interessiert sind, und nicht daran, dass das Land zurück in die Steinzeit kehrt. Wer annimmt, die Taliban seien an Entwicklung interessiert, der kennt sie einfach nicht."

Anders sieht es Nils Schmid. Die wirtschaftliche Lage des Landes dürfte auch auf die Taliban nicht ohne Einfluss bleiben, nimmt er an. "Es geht um die Frage humanitärer Nothilfe. Das Land ist von Dürren und Hungersnot bedroht. Es gibt viele Binnenflüchtlinge, die wirtschaftliche Lage ist dramatisch." Zudem gehe es auch darum, wie weit sich die Taliban mit der internationalen Gemeinschaft auf Gespräche und auf Absprachen einließen. Zumindest Teile der Taliban strebten an, von der internationalen Gemeinschaft anerkannt zu werden und nicht wie während ihrer ersten Regierungszeit vor rund 20 Jahren als Pariahs zu gelten. "Die Frage der Evakuierung von Afghanen aus dem Land heraus ist ein erster Test für die Bereitschaft der Taliban, sich auf solche Absprachen mit der internationalen Gemeinschaft einzulassen."

Zusammenarbeit mit China und Russland?

Russland hält seine Botschaft in Afghanistan weiterhin geöffnet, so auch China, das sich seit einiger Zeit in Gesprächen mit den Taliban befindet. Könnten die westlichen Staaten auch gemeinsam mit diesen beiden Staaten auf die Taliban einwirken, ungeachtet der menschenrechtlichen Differenzen?

Johann Wadephul, MdB, stellvertretender Fraktionsvorsitzender CDU/CSU-Bundestagsfraktion
CDU-Politiker Wadephul sieht begrenzte Möglichkeiten zur Einwirkung auf TalibanBild: DW/A. Shuka

Für ihn stehe die Koordination zwischen den Mitgliedstaaten der der EU und der NATO an erster Stelle, sagt Johann Wadephul. "Gemeinsame und deutliche Signale aus diesem Staatenkreis sind immer noch am wirkungsvollsten." Derzeit führten diese Staaten Gespräche mit Vertretern der Taliban. Über eine weitere und institutionelle Zusammenarbeit werde man sich noch abstimmen müssen. "Ich sehe nicht, dass wir Schnittmengen mit Russland oder China haben, was die Durchsetzung von Menschenrechten in Afghanistan anbetrifft." Allerdings gebe es gemeinsame Interessensschnittmengen. "Zum einen haben Russen und Chinesen wie auch wir ein Interesse an langfristiger innerer Stabilität Afghanistans. Dies kann nur über eine Machtbalance zwischen den unterschiedlichen ethnischen Gruppierungen Afghanistans und ein Mindestmaß an menschenrechtlichem Schutz erreicht werden. Zudem teilen wir das Interesse, dass von Afghanistan nicht erneut internationaler Terrorismus verbreitet wird. Hierzu werden wir auch mit Russen und Chinesen den Dialog suchen."

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika