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Wege aus der Demografiefalle gesucht

Kay-Alexander Scholz5. Oktober 2012

Die Bundesregierung hat mit dem ersten Demografiegipfel ein neues Kapitel ihrer Politik aufgeschlagen. Mit breit angelegten Diskussionen, dem Internet und den Bürgern soll Deutschland fit für die Zukunft gemacht werden.

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Demografiegipfel Angela Merkel (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Als hätten es die Teilnehmer des ersten Demografiegipfels des Bundesregierung in den Stunden zuvor nicht schon häufig genug gehört, wie ernst die Lage in der Zukunft werden könnte. Nach der Veranstaltung bot sich ihnen am Ausgang auch noch ein trauriges Anschauungsbeispiel. Ein alter, etwas verwahrlost wirkender Herr mit Zahnlücken und Blindenabzeichen stolperte, mühsam auf seinen Rollator gestützt, zwischen den dort geparkten Regierungslimousien herum, um seine Neugierde zu befriedigen.

"Der demografische Wandel ist wahrscheinlich neben der Globalisierung die größte Veränderung in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts", hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel den Gipfelteilnehmern gesagt. Das Thema ginge jeden an, der in Deutschland Verantwortung trage. Also auch die Verbände, Gewerkschaften, Kirchen, Vereine und Kommunen, die ihre Delegierten zum Demografiegipfel nach Berlin entsandt hatten. Die demografischen Veränderungen seien allerdings schwer fassbar und würden schleichend passieren. Deshalb müsse man aufmerksam bleiben und handeln, mahnte Merkel. "Nur wenn wir uns aktiv auf den demografischen Wandel einlassen, zeigen sich auch seine Chancen."

Dringender Handlungsbedarf

Vor allem in den neuen Bundesländern ist der demografische Wandel schon länger spürbar. Die Einwohnerzahlen sinken. Deshalb wurden in den vergangenen Jahren Schulen geschlossen, Wohnungen abgerissen, Landkreise zusammengelegt und neue Wege bei der ärztlichen und verkehrstechnischen Versorgung beschritten. Viele junge Menschen sind dennoch abgewandert, da sie keinen Arbeitsplatz finden konnten. Weil die Lebenserwartung stetig steigt, gibt es immer mehr alte und pflegebedürftige Menschen.

In den westlichen Bundesländern zeigen sich die demografischen Veränderungen mit zeitlicher Verzögerung. Im gesamten Land werden den Prognosen zufolge in 50 Jahren wohl ein Fünftel weniger Menschen leben. Wobei jeder Dritte dann 65 Jahre oder älter sein könnte. Für die Politik besteht also dringender Handlungsbedarf.

Startschuss für breite Diskussionen

In Merkels Regierungskabinett ist Bundesinnenminister Hans-Joachim Friedrich Hauptansprechpartner für demografische Fragen. Er war auch Gastgeber des Gipfels. Im Herbst 2011 hatte Friedrich einen ersten Demografiebericht vorgelegt. Im Frühjahr dieses Jahres wurden Handlungsfelder definiert. Diese sollen nun in einem breiten gesellschaftlichen Dialog diskutiert werden. In den folgenden Monaten wollen Spitzenvertreter aus Wirtschaft und Verwaltung mit Politikern des Bundes, der Länder und Kommunen in neun Arbeitsgruppen demografische Probleme erörtern. Bis zum Frühsommer sollen daraus erste konkrete Ideen erwachsen. Parallel können auf einer eigens eingerichteten Website auch die Bürger mitdiskutieren.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (Foto: dpa)
Bundesinnenminister Hans-Peter FriedrichBild: picture-alliance/dpa

Demografie sei eine Querschnittsaufgabe, sagte Merkel. Deshalb ist die Diskussion auch inhaltlich breit angelegt. Es gibt Arbeitsgruppen zum Thema "Bildungsbiografien fördern", "Familie als Gemeinschaft stärken" und "Allianz für Menschen mit Demenz". Andere befassen sich mit Fragen der Zukunft des Öffentlichen Dienstes, der psychischen Gesundheitsvorsorge oder der Anwerbung ausländischer Fachkräfte.

Neue Überschrift

Geleitet werden die Arbeitsgruppen meist von den zuständigen Bundesministern. In kurzen Podiumsdiskussionen skizzierten diese ihre Ziele. Dabei war erkennbar, dass es nicht darum gehen soll, eine völlig neue Richtung einzuschlagen. Stattdessen bekommen einzelne politische Maßnahmen eine gemeinsame Überschrift. "Wir werden in 15 Jahren sechs Millionen weniger Arbeitnehmer in Deutschland haben", sagte Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen. Damit werde sich der Fachkräftemangel verschärfen, den sie bereits zu ihrer Aufgabe gemacht hat. Nun werde sie ihre Aktivitäten auch auf neue Gruppen ausdehnen, nämlich auf Jugendliche zwischen 25 und 35 Jahren ohne Berufsabschluss und auf nicht berufstätige Frauen. Doch selbst das werde nicht genügen. Die Bundesregierung möchte deshalb 200.000 ausländische Fachkräfte nach Deutschland locken. Mit der Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen sei dafür schon ein wichtiger Schritt getan. Nun müssten auch die Auslandshandelskammern und die Goethe-Institute vor Ort ihre Rolle als Multiplikator nutzen und Fachkräfte anwerben.

Regierung nimmt alternde Gesellschaft ernst

Wichtig sei es, den alten Menschen möglichst lange ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, sagte Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr. Deshalb müsse es Familien möglich gemacht werden, zum Beispiel unter Demenz leidende Angehörige zu pflegen. Vor kurzem hat Bahr eine "Allianz für Menschen mit Demenz" ins Leben gerufen und eine Reform der Pflegeversicherung auf den Weg gebracht.

Auch an der bisherigen Bevölkerungspolitik soll im Grundsatz nicht gerüttelt werden. Viele Deutsche leben in Kleinstädten oder Dörfern, und das solle auch so bleiben, waren sich die Gipfelteilnehmer einig. "Deshalb werden weiterhin Autobahnen auch in strukturschwachen Regionen gebaut", sagte Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer. "Die Leute sollen auch in Zukunft auf dem Land arbeiten und leben können", forderte Ilse Aigner, zuständig für Landwirtschaft und Verbraucherschutz in Merkels Kabinett. Deshalb seien vor allem auch die Kommunen gefragt. "Die Kreativität liegt vor Ort", so Aigner.

Lüneburger Heide Foto: Emer (Fotolia)
Auch in idyllischer Landschaft sollen künftig alte Menschen leben könnenBild: Fotolia/emer

Nicht mehr Geld

"Wir wollen nicht einfach ein neues Füllhorn von Fördermaßnahmen ausschütten", warnte Bundesinnenminister Friedrich vor falschen Erwartungen. Denn durch die Schuldenbremse, die ab 2020 auch für die Bundesländer gilt, sei man gezwungen, mit den vorhandenen Mitteln effizient und sparsam umzugehen. Mehrwert aber könne durch "Vernetzung zu einem großen Ganzen" entstehen. Der Minister warb für die Potentiale des Internets.

Die Bundeskanzlerin setzt neben dem Internet auch auf das bürgerliche Engagement. Beim gerade zu Ende gegangenen Bürgerdialog habe sie erfahren, wie viele Bürger sich freiwillig ehrenamtlich engagieren. Dies müsse weiter gefördert und anerkannt werden. "Wir müssen Politik aus dem Blickwinkel des einzelnen Bürgers machen", so Merkel.

Mit dem Demografiegipfel hat sich die Bundesregierung spät, aber nun mit großem Einsatz diesem wichtigen Thema zugewandt. Gleichzeitig kann das Thema als Rahmen für politische Entscheidungen dienen, ähnlich der Schuldenbremse oder der Energiewende. Diese Meta-Themen werden so zu neuen Marken von Merkels Politik. Sie sind dabei so angelegt, dass der vom Wähler gewollten Forderung nach Bürgernähe entsprochen werden kann.