Erstmals auf DVD: "Nacht und Nebel"
6. Dezember 201560 Jahre später erscheinen die Bilder den Menschen fast schon vertraut: das Konzentrationslager Auschwitz, die Lagerbauten, die ausgemergelten Gesichter der Überlebenden, die Leichenberge. Hunderte von Dokumentar- und Spielfilme, im digitalen Zeitalter dazu jederzeit abrufbar, haben uns Zuschauer mit den Verbrechen der Nationalsozialisten vertraut gemacht. In der Bilderflut des 21. Jahrhunderts erscheinen diese Aufnahmen fast schon als gewöhnlich.
Darin liegt auch eine Gefahr. Indem man sich an die Aufnahmen scheinbar gewöhnt, bekommen manche Menschen den Eindruck, gerade der inflationäre Gebrauch dieser Bilder schade dem eigentlich angestrebten Ziel. Und das sollte doch sein: Entsetzen hervorrufen, Trauer, Ansporn, so etwas nicht noch einmal zuzulassen.
Zehn Jahre nach Kriegsende wirkte "Nacht und Nebel" wie ein Schock
Vor 60 Jahren war das natürlich anders. Damals ging es darum, den Menschen das Geschehene erst einmal ins Bewusstsein zu rufen. Nur 32 Minuten Film, länger war "Nacht und Nebel" von Alain Resnais nicht - und doch löste der Film 1955/56 einen Skandal aus - und vor allem: ungläubiges Staunen. "Nacht und Nebel", dieses so einmalige wie wichtige Dokument, einer der zentralen Filme über den Holocaust, ist seither vielfach gezeigt worden, auf Festivals und Gedenkveranstaltungen, in Schulen und Seminaren.
Und doch hat es so viele Jahre gedauert, bis der Film auf DVD vorliegt. In 32 Minuten zeigt uns Resnais all das, was spätere Dokumente, Spielfilme, filmische Essays und all die anderen Zeugnisse auf Zelluloid mit oft wesentlich längerer Laufzeit auch zeigen: das Grauen der Konzentrationslager, sehr komprimiert und verdichtet. In "Nacht und Nebel" ist alles schon enthalten, was man wissen sollte über den Holocaust.
Dokument und Reflexion
Der Film zeigt - im Wechsel zwischen original Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus den Jahren vor 1945 und Farbaufnahmen, die zehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs entstanden - die Vernichtung der Juden. Wie sie in den 1940er Jahren abgeholt, in Zügen zusammengepfercht und in die Konzentrationslager gebracht wurden. Auf den sogenannten "Nacht und Nebel-Erlass" vom 7. Dezember 1941 bezieht sich der Filmtitel.
Wie sie dort zunächst untergebracht und dann vergast werden. Der Film zeigt die ins Leere starrenden Blicke der Häftlinge, die Leichenberge und die von den Nazis sorgsam zusammengetragenen Überreste der Getöteten, die Haare und Brillen, anderes mehr. Er erzählt von den unfassbaren Produktionswerkstätten der KZ, von den medizinischen Versuchen an den Häftlingen. "Nacht und Nebel" zeigt auch Bilder von der Befreiung: Die Überlebenden blicken auf die Leichenberge derjenigen, die es nicht geschafft haben.
Zusammenspiel der Künste: "Nacht und Nebel"
Dann der Zeitsprung. Resnais und sein Kamermann Sasha Vierny fahren 10 Jahre später die Gleise ab, die für die Juden zu Spuren des Todes nach Auschwitz wurden. Gras ist über die Landschaft gewachsen, eine gespenstische Ruhe hat sich über die Orte des Grauens gelegt. Der Dichter und KZ-Überlebende Jean Cayrol hat damals einen Text zum Film geschrieben (die deutsche Übersetzung stammt von Paul Celan), der die Bilder fast nüchtern und emotionslos begleitet und auch Fragen stellt. Hanns Eisler, der langjährige Komponist Bertold Brechts, lieferte die Musik dazu.
"Nacht und Nebel" zeigt ungeschminkt, was war, dokumentiert das Unfassbare, reflektiert gleichzeitig aber auch, hinterfragt Bilder und Texte, fragt nach Konsequenzen.
Jean Cayrol und Volker Schlöndorff: Texte zum Film
In dem Begleitheft der nun vorliegenden DVD sind neben dem Originalfilmmanuskript von Jean Cayrol zwei Texte von Volker Schlöndorff aus den Jahren 2005 und 2008 abgedruckt. Schlöndorff schildert eindrucksvoll, wie das damals war, als "Nacht und Nebel" gezeigt wurde. Der Deutsche, der seine filmische Ausbildung in den 50er Jahren in Frankreich genoss, erinnert sich: "Natürlich hatte ich von den Lagern gehört. An eine konkrete Beschreibung, an Bilder oder Zahlen über den Holocaust kann ich mich aus dem Geschichtsunterricht in Wiesbaden nicht erinnern. Dieses Thema war im Adenauer-Deutschland tabu, an den Schulen, wie in der Gesellschaft."
Fragen ohne Antworten...
"Wie war das möglich?" fragt der spätere Oscar-Preisträger ("Die Blechtrommel") und erzählt, wie stark ihn Resnais' Werk beeinflusst hat: "…fast alle meine Filme, vom Erstling 'Törless' bis zum 'Neunten Tag', suchen immer noch die Antwort auf die Frage, die dieser Kinobesuch auslöste." Schlöndorff erinnert sich an den Schock, den der Film bei vielen Menschen damals auslöste: "Viele brachen traumatisiert zusammen."
Um die Premiere brach 1956 ein gewaltiger Wirbel aus, die vorgesehene Festivalvorführung in Cannes wurde von deutscher Seite heftig bekämpft. Botschafter und Bundesregierung schalteten sich ein, es hagelte Proteste und Gegenproteste. Deutschland empfand die Aufführung des Films in Cannes als nicht passend, da das Festival doch "der Freundschaft zwischen den Völkern" dienen sollte. "Nacht und Nebel" wurde schließlich doch in Cannes gezeigt, allerdings nur in einer Nebenreihe.
Regisseur Alain Resnais schrieb später über den Holocaust: "Es mag schwerfallen, daran zu glauben, dass das Unglaubliche wahr gewesen sein könnte, dass es über Jahre hinaus Wirklichkeit war. Aber die Weigerung, es anzuerkennen, allein vermag nicht nachträglich den unbeschreiblichen Schrecken zu zerstören oder aus der Welt zu schaffen."
Alain Resnais: Nacht und Nebel, Frankreich 1955, 32 Minuten, DVD inklusive Booklet, erschienen beim Anbieter "Absolut Medien". Weitere DVD-Tipps bei unserem Partner, der Filmzeitschrift "Film-Dienst".