Weiter Entwicklungshilfe für Kambodscha
16. Mai 2019Entwicklungshilfe ist häufig eine politische Gratwanderung, weil sie oft die Kooperation mit Regierungen beinhaltet, die wegen der Verletzung von Bürger- und Menschenrechten in der Kritik stehen. Ein aktueller Fall ist das südostasiatische Land Kambodscha, wo der seit Jahrzehnten amtierende Regierungschef Hen Sen (Artikelbild, bei der Stimmabgabe Juli 2018) seine andauernde Machtposition mittels Einschränkung der Meinungsfreiheit und Einsperrung politischer Gegner abgesichert hat.
Trotzdem gewährt Deutschland zusammen mit anderen Mittelgebern Kambodscha weiterhin Entwicklungshilfe, wie am Mittwoch zum Abschluss der jüngsten bilateralen Regierungsgespräche in Berlin mitgeteilt wurde. Die Schwerpunkte liegen auf dem Schutz sozialer Rechte, ländlicher Entwicklung und Dezentralisierung der Verwaltung. Insgesamt knapp 49 Millionen Euro stellt die Bundesregierung im Zeitraum 2019/2020 für Programme in den genannten Bereichen zur Verfügung.
Kooperation bei Verwaltungsreform sinnvoll?
Die Zusammenarbeit ist nicht unumstritten in Deutschland. So fordern Entwicklungspolitiker der Partei Bündnis90/Die Grünen, dass Deutschland aus der Mitarbeit beim Programm der Dezentralisierung, welches die Regierung Hun Sen verfolgt, aussteigt. "Wenn weder die Zentralregierung noch die Kommunalverwaltungen demokratisch legitimiert sind, gibt es keine Partner, mit denen eine solche Reform sinnvoll umgesetzt werden kann", heißt es in einer Erklärung aus der Grünen-Fraktion im Bundestag.
Das sehen manche Nichtregierungsorganisationen anders, auch im De-Facto-Einparteienstaat Kambodscha könnten Bürgerrechte auf lokaler Ebene mit Hilfe aus Deutschland gestärkt werden. Dies legten erst im vergangenen November Vertreter der kambodschanischen NGO "Advocacy and Policy Institute" (API) und Jan Noorlander, Programmdirektor der internationalen NGO CARE in Kambodscha, bei einer Veranstaltung in Bonn gegenüber der DW dar.
Armutsbekämpfung funktioniere eben auch dadurch, dass man die Bürger über ihre Rechte in Bezug auf staatliche Dienstleistungen aufkläre und ihnen Möglichkeit gebe, diese vor Ort einzufordern, sagt Noorlander. Zu diesem unter dem Oberbegriff "gesellschaftliche Verantwortung" ("social accountability") laufenden Programm steuert die Bundesregierung ebenfalls Mittel bei.
"Wir sprechen Missstände an"
Die jetzigen Regierungsgespräche wurden auf deutscher Seite vom Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesentwicklungsministerium (BMZ), Norbert Barthle, geleitet. Er hatte zuletzt im Februar Gespräche mit Regierungschef Hun Sen und anderen Regierungsmitgliedern in Phnom Penh geführt. "Wir sprechen die Missstände deutlich an. Es ist allemal besser, im Gespräch zu bleiben", sagt Barthle gegenüber der DW.
"Gleichzeitig unterstützen wir das Verfahren der Europäischen Union. Sie muss Druck auf die kambodschanische Regierung ausüben. Immerhin gehen fast 40 Prozent des Exports aus Kambodscha in die Europäische Union. China ist für sie zwar auch ein wichtiger Partner, aber Europa und USA sind die dominierenden Zielländer der Exporte."
Keine EU-Handelspräferenz ab 2021?
Barthle meint damit die Ankündigung der EU vom Februar 2019, die bislang gewährte Zoll- und Quotenfreiheit für Importe aus Kambodscha zu suspendieren. Das entsprechende Verfahren wurde bereits eingeleitet. Die Handelspräferenz der EU wird unter dem Namen "Alles außer Waffen" ("Everything but arms", kurz EBA) den am wenigsten entwickelten Ländern ("least developed countries", kurz LCD) gewährt.
Die EU begründete ihre Entscheidung mit der politischen Unterdrückung, der Verletzung von Arbeitsrechten und der umstrittenen Übertragung von Land an Investoren unter Missachtung der Rechte der ansässigen Bevölkerung. Die Handelspräferenzen würden frühestens im Februar 2021 beendet, falls Kambodscha bis 2020 keine substantiellen Verbesserungen einführt.
Vertreibungen im Interesse von Investoren
Kurz vor den Regierungsverhandlungen zwischen Kambodscha und Deutschland erklärten Vertreter von mehreren NGOs gegenüber der DW: "Wir unterstützen zwar die Ankündigung der EU, aber es wäre vor allem wichtig, wenn sie die Verletzung von Landrechten vor Ort untersuchen und dokumentieren würde und damit die Regierung in Phnom Penh konfrontierte", so Naly Pilorge, Direktorin der NGO LICADHO.
Vuthy Eang von der NGO Equitable Cambodia legt dar, wie solche Landrechte unter Mitwirkung des Staates verletzt werden. "In Phnom Penh setzen sich Investoren und Staatsvertreter zusammen und zeichnen eine Karte. Darin wird eine Fläche ausgewiesen, die jetzt dem Unternehmen gehört. Und damit haben sie dann eine Grundlage, um Leute zu vertreiben, die keine amtlichen Dokumente haben, obwohl sie schon seit Generationen dort leben."
Die Besitzansprüche würden nicht selten gewaltsam mit Hilfe der Sicherheitskräfte durchgesetzt, oftmals für Wohnprojekte chinesischer Investoren. Solche Vertreibungen seien in ganz Kambodscha ein großes Problem, im städtischen wie im ländlichen Raum, so Vuthy Eang weiter. Zeigen westliche Geber auf diesem Gebiet also zu wenig klare Kante gegenüber der Regierung Hin Sen? Diese Kritik klingt jedenfalls unterschwellig durch.
"Landrechte auf dem Schirm"
Dazu teilt eine Sprecherin des BMZ mit, dass die Bundesregierung Kambodscha bis 2016 bei der Stärkung der Landrechte unterstützt habe, mit besonderer Berücksichtigung der schwächeren gesellschaftlichen Gruppen. "Nachdem Kambodscha sich nicht bereit erklärt hatte, die freiwilligen Leitlinien zu Landnutzungsrechten umzusetzen, hat sich die Bundesregierung entschieden, die Zusammenarbeit (auf diesem Gebiet) zu beenden. Dies entsprach auch der Forderung deutscher und kambodschanischer Nichtregierungsorganisationen."
Das BMZ betont, dass Berlin das Thema Landkonflikte trotzdem auf dem Schirm habe. "Die deutsche Botschaft in Phnom Penh führt dazu regelmäßig Gespräche vor Ort." Auch eine EU-Delegation habe sich im vergangenen Jahr und im März 2019 mit von Umsiedlung betroffenen Gemeinden ausgetauscht.
Berlin setzt auf Einsicht in Phnom Penh
Unterdessen hat die Bundesregierung große Erwartungen an die positiven Wirkungen eines Kredits für die Entwicklung der ländlichen Infrastruktur, der gemeinsam mit der französischen Entwicklungsagentur "Agence française de développement" (AFD) und der EU vergeben wird. Das Projekt mit einem Volumen von 80 Millionen Euro sei eine "gemeinsame europäische Anstrengung" und werde bedeutend zur Verbesserung des Lebensunterhalts der Landbevölkerung beitragen.
Staatssekretär Norbert Barthle glaubt, Kambodscha könne den drohenden Verlust seiner Handelsprivilegien noch abwenden, "wenn es den politischen und zivilgesellschaftlichen Raum öffnet." Es müsse nationales Recht und nationale Praxis in Übereinstimmung mit internationalen Verpflichtungen bei Menschenrechten und Meinungs- und Versammlungsfreiheit bringen. "Ich bin überzeugt, dass das leicht gelingen kann." Für die Aktivisten aus Kambodscha dürfte das eine gewagte These sein.