1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Weltjugendtag zwischen Wegweiser und Strohfeuer

Zusammengestellt von Rafael Heiling22. August 2005

Der Weltjugendtag ist vorbei - und alle waren gespannt, welchen Eindruck Benedikt XVI. machen würde. Die internationale Presse sieht den Papst-Auftritt unterschiedlich: von mutig bis umstritten.

https://p.dw.com/p/74rT

Frankreich

Die Zeitung "La Croix" beschreibt den Auftritt Benedikts XVI. als zurückhaltend und gleichzeitig erstaunlich offen: "So gab es in Köln weder einen Showman noch eine Morallektion, sondern den Bischof von Rom, der zu einer sinnsuchenden Weltjugend gekommen war. Er war nicht der Stern, den die jungen Generationen suchen, wohl aber der wegweisende Finger, der zeigte, wo dieser Stern zu finden ist."

Die "Libération" schreibt, Benedikt XVI. verteidige ein absolutistisches Verständnis seiner Kirche: "Die Vielfalt der Religionen, der er sich gegenübersieht, ist aber so offenbar, dass er nicht umhin konnte, ihr den Großteil seiner ersten großten Reise nach Köln am Rhein zu widmen. Es ist die Stunde der Toleranz, dafür standen die Treffen des Papstes mit den Juden, Moslems oder Protestanten. Was die angeht, deren religiöse Richtung sie nicht auf ausgetretene Pfade drängt: Unheil über diese Bastler."

Großbritannien

Die Londoner "Times" schreibt, Benedikt XVI. sei zurückhaltend und ohne erhobenen Zeigefinger aufgetreten: "Der Papst begreift sich nicht als Mann der Show. Es ist vielmehr seine Demut, mit der er bei seiner ersten wichtigen Reise die Herzen eroberte."

Spanien

Der Papst habe seine erste große Herausforderung gemeistert, schreibt "El Mundo": "Der Papst bestand seine erste Bewährungsprobe ausgezeichnet, obwohl er kein Freund des Massenkatholizismus in Fußballstadien ist, wie er ihn vom Vorgänger geerbt hat. Ihm fehlen das Charisma und das Bühnentalent von Johannes Paul II., dennoch zieht er die Massen an."

Italien

Der "Corriere della Sera" lobt, der Papst habe eigene Zeichen gesetzt - "eben nicht wie ein 'Showman', sondern wie ein Vater, der aus ganzem Herzen liebt, auch wenn die Scham es ihm nicht erlaubt, große Gesten zu zeigen."

Die Turiner Zeitung "La Stampa" schreibt: "Die Jugendlichen, die sich einen näheren Kontakt mit ihm erwartet hatten (...), wurden enttäuscht, aber sie zeigten dennoch viel Wärme für Papst Ratzinger. Dieser hat versucht, ihnen diese Wärme zurückzugeben, aber wies am Ende dieser ersten anstrengenden Reise Anzeichen von Müdigkeit auf. (...) Aber wahrscheinlich hat sich der Papst, der bisher immer eine gute Einteilung seiner Energien bewiesen hatte, von der Welle des Enthusiasmus des Weltjugendtag-Volkes mitreißen lassen und wegen dieser für ihn völlig neuen Erfahrung außerordentliche Kräfte freigelegt."

Polen

Für die "Rzeczpospolita" war Benedikt XVI. in einer Heimat zu Besuch, in der er sich nicht zu Hause fühlt: "In kaum einem anderen christlichen Land wurde Kardinal Ratzinger so kritisiert wie in Deutschland. Die Kritik war auch während des Papstbesuchs in Deutschland sichtbar."

Ungarn

Für die Tageszeitung "Nepszabadsag" ist nach der Begeisterung der Jugend nun die Kirche an der Reihe, sich aus der "doktrinären Starre" zu lösen: "Es ist anzunehmen, dass ein bedeutender Teil der Jugend glauben will und für sich neue Zuflucht und neue Gemeinschaften sucht; sie würde aber auch eine sich in ihren Anschauungen verjüngende (katholische) Kirche begrüßen."

Schweiz

Der "Tages-Anzeiger" aus Genf fragt kritisch, ob die Begeisterung für die Kirche von Dauer sein wird: "Man muss aber festhalten, wem der Jubel eigentlich gilt: einem Mann, der Abtreibung und Kondom ablehnt, vorehelichen Sex und Homo-Ehen bekämpft, die evangelischen Kirchen für keine Kirchen hält und die Glaubensnot in Europa viel häufiger zum Thema macht als den Hunger in der Dritten Welt. (...) Das sind kaum Inhalte, mit denen man die Jugend von heute begeistert. In der Postmoderne lässt sich aber offenbar auch ein vormoderner Glaube als Heilsbotschaft verkaufen. (...) Zuinnerst aber wird sich auch Papst Benedikt sorgen, ob das Glaubensfeuer bloß ein Strohfeuer ist."