Keith Jarrett ist 70
8. Mai 2015Als der US-amerikanische Jazzpianist Keith Jarrett am 24. Januar 1975 nach Köln kam, um ein Solo-Konzert zu spielen, hatte er gerade weltweit die Musikszene zum Staunen gebracht. Das Besondere: Seine Konzerte waren komplett improvisiert - das war damals eine absolute Neuheit. Zudem öffnete er sich auch anderen Genres der Musik. Mit rund dreieinhalb Millionen verkauften Einheiten ist das Album mit dem Konzertmitschnitt aus Köln die bis heute meistverkaufte Solo-Platte im Jazz. Mehr Exemplare wurden nur von Miles Davis' Band-Album "Kind of Blue" aus dem Jahr 1959 verkauft. Kritiker unterstellen, dass der große Erfolg von "The Köln Concert" nur möglich war, weil Jarrett eher ein Popkonzert als ein Jazzkonzert gespielt hätte. Bis heute gilt dieses Konzert als genial.
DW: Frau Brandes, vor 40 Jahren waren sie Schülerin in Köln und haben nebenbei Konzerte organisiert, auch das legendäre Köln Concert von Keith Jarrett am 24. Januar 1975. Wie kamen Sie denn damals an diesen Job?
Vera Brandes: Das hatte zum Teil einen familiären Hintergrund. Meine Großmutter hatte eine Freundin, deren Nichte mit dem Mann liiert war, der für den Kölner Jazz-Promotor Gigi Campi die Programmhefte schrieb. Als die Berliner Jazztage den US-amerikanischen Gitarristen Ralph Towner präsentierten, das war im November 1973, war ich so begeistert, dass ich den unbedingt nach Köln holen wollte. Ich habe den ehemaligen Partner von Gigi Campi gefragt, ob er nicht das Konzert mit Ralph Towners Band Oregon organisieren wollte. Und er hat zugesagt. Sechs Wochen vor dem Konzert hatte er aber noch keinen Saal gefunden. Ich habe mir gedacht, dass ich das jetzt selber schneller schaffe. Und es hat geklappt. Das waren gut zehn Monate vor dem Konzert mit Keith Jarrett, das erste der Reihe "New Jazz" in Köln - es war auf Anhieb ausverkauft und die Konzerte dazwischen waren es auch.
Das Köln Concert von Keith Jarrett fand in der Oper Köln statt. War es schwierig ein Jazz-Konzert in der Kölner Oper zu veranstalten?
Das war es Gott sei dank nicht, weil drei Jahre vorher Gigi Campi Oscar Peterson zu einem Mitternachtskonzert in die Kölner Oper eingeladen hatte. Das heißt, es gab dafür quasi schon ein bewehrtes Schnittmuster. Ich musste die Oper nicht lange überreden, mir den Saal zu vermieten, das haben die gerne getan, auch wenn die natürlich gar nicht wussten, wer Keith Jarrett ist.
Keith Jarretts improvisierte Solo-Konzerte waren in den 1970er Jahren eine absolute Neuheit. Waren Sie im Vorfeld sicher, dass Sie mit Keith Jarrett das Opernhaus vollbekommen?
Natürlich nicht. Es war mir nur klar, dass ein Piano-Solo-Konzert, in dem improvisiert wird, einen Rahmen braucht, indem das Publikum absolut alles mitkriegt, alles hören und sehen kann. Das war eine der wenigen Voraussetzungen für den Erfolg des Konzertes. Ich war mir sicher, dass die Grundbedingungen für ein solches Konzert in der Kölner Oper einfach ideal waren.
Keith Jarrett soll am 24. Januar 1975 total übermüdet in Köln angekommen sein und einen mehr oder weniger kaputten Flügel auf der Bühne der Oper vorgefunden haben. Darüber hinaus soll er auch noch ein lausiges Abendessen gehabt haben. Ist das alles Legende?
Nein, das ist alles genauso gewesen. Er hatte ursprünglich gesagt, dass er bei dieser Tournee nur jeden zweiten Tag auftreten wollte, aber für ein Konzert in der Kölner Oper war nur der Freitagabend vom Spielplan her möglich, den die Kölner Oper im Januar des Jahres 1975 hatte. Ich konnte Keith dann überreden, an diesem Tag nach Köln zu kommen. Ich sagte, dass ich zusätzlich zu seiner Gage ein Flugticket zahle. Dieses Flugticket habe ich ihm auch geschickt, aber er hat das irgendwo in Bargeld umgetauscht. Er ist dann mit Manfred Eicher, das war sein Produzent und zugleich der Chef des Labels ECM Records, in einem alten, klapprigen Renault von der Schweiz nach Köln gekommen - er war wirklich völlig übermüdet.
Wie war das mit dem Flügel?
Die Sache mit dem Flügel war eine wirkliche Katastrophe, denn ich hatte mit der Kölner Oper vereinbart, dass der Bösendorfer Imperial auf die Vorderbühne gestellt werden sollte - am Nachmittag für den Soundcheck und natürlich auch für das Konzert, und dass der Stimmer vor der Probe und zwischen Probe und Konzert auch nochmal kommt. Das war alles minutiös abgestimmt, allerdings war dieser Flügel, wie mir nachher erklärt wurde, in einem speziellen Bereich, nämlich in einem unterirdischen Gang zwischen der Kölner Oper und dem Schauspielhaus hinter Brandschutztüren untergebracht. Dort waren die klimatischen Verhältnisse für das Instrument ideal.
Als an dem Freitagnachmittag der Klaviertransport kam, hatten diese Leute nicht die Information, wo sich dieses Instrument befindet. Die sind also durch jeden Raum der Kölner Oper und haben ein Klavier gesucht, wo Bösendorfer draufsteht. Sie haben auch eines gefunden, im aller letzten Einsingzimmer des Kölner Opernchors. Als Jarrett, Eicher und ich dann ankamen, war keiner der Bühnenarbeiter da, weil die Opernaufführung ja erst am Abend anfing. Am Freitagnachmittag war die gesamte Verwaltung der Kölner Oper schon im Wochenende. Jarrett ist dreimal um dieses Instrument herumgegangen. Ich glaube, der konnte es nicht fassen, was er da sah. Er sagte aber kein Sterbenswort. Eicher spielte ein paar Noten, ging um das Klavier und sagte auch kein Sterbenswort.
Und nach einer langen, langen Pause sagte Eicher, auf dem Instrument könne Keith mit Sicherheit heute kein Konzert spielen, und wenn hier nicht ein spielfähiger Flügel steht, dann müsse das Konzert abgesagt werden.
Sie bekamen dann ein besseres Instrument von der benachbarten Volkshochschule gestellt. Und der Klavierstimmer hatte noch die Zeit, die Mechanik des Flügels zu optimieren und ihn zu stimmen. Wann wussten Sie damals, dass dieses Konzert mit Keith Jarrett etwas ganz besonderes ist?
Nach den ersten paar Tönen, die er gespielt hat. Da war mir und vielen anderen das klar. Da waren eine solche Magie und eine solche Dichte in diesem Raum.
Das Gespräch führte Conny Paul
Vera Brandes war viele Jahre als Konzert- und Festivalveranstalterin tätig. Zudem führte sie zwei Musiklabels und gab vielen Musikern die seltene Chance, sich einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen. Seit 2004 leitet Vera Brandes ein Forschungsprojekt der Paracelsus Medizinische Privatuniversität in Salzburg. Dabei geht es um die Erforschung der medizinischen Wirkung von Musik bei der Behandlung vorwiegend psychosomatischer Erkrankungen.