Wer steckt hinter den Veggie-Marken?
1. Oktober 2020Eine gute Nachricht zum Weltvegetariertag: Immer mehr Menschen ernähren sich vegetarisch, oder geben zumindest Fleischersatzprodukten eine Chance und probieren sie aus - schließlich finden nicht ohne Grund immer mehr Seitan-Gyros, Soja-Döner, Erbsen-Frikadellen und Tofu-Würstchen den Weg in die Kühlregale.
Die Produktpalette ließe sich leicht fortführen, die Unternehmen zeigen sich kreativ und haben den Trend längst erkannt.
Mehr Veggie
Laut einem kürzlich erschienenen Marktbericht von Meticulous Research könnte allein der Markt für pflanzliche Lebensmittel bis 2027 einen Wert von 74,2 Milliarden Dollar erreichen, was einer jährlichen Wachstumsrate von bis zu 11,9 Prozent entspräche.
Bedeutende Wachstumsfaktoren seien die immer häufiger auftretenden Intoleranzen gegenüber tierischen Proteinen, die ernährungsphysiologischen Vorteile pflanzlicher Lebensmittel, die weltweit weiter ansteigende Anzahl an Veganern und die deutliche Zunahme an Risikoinvestitionen in pflanzliche Unternehmen.
Ein weiterer Marktbericht splittet die Prognose für den pflanzlichen Fleischmarkt noch etwas weiter auf. Demnach wird erwartet, dass Asien sich zum lukrativsten Markt für Schweinefleisch auf pflanzlicher Basis entwickelt (mehr als 15 Prozent des Gesamtmarktes) und Nordamerika hingegen auf pflanzliches Hühnerfleisch und Fisch setzt.
Soja gilt bislang als häufigste verwendete Proteinquelle für Fleischersatzprodukte, könnte dem Bericht zufolge aber von Erbsen abgelöst werden. Erbsenprotein hält derzeit den zweitgrößten Anteil am Markt.
Der Blick ins Kühlregal
... kann schon mal überfordern. Schließlich gibt es hierzulande mittlerweile über 60 Marken, die Fleisch- bzw. Wurstalternativen anbieten. Angefangen von kleinen Startups bis hin zu den Big Playern der Branche ist alles dabei.
Beyond Meat dürfte wohl seit einer Weile der internationale Shooting Star unter den "plant-based" - also rein pflanzenbasierten - Produkten sein. Auch im Marktbericht von Meticulous Research wird das Unternehmen weiter als major player gelistet.
2009 in Kalifornien gegründet, startete die Produktion in Europa im Juni 2020. Wasser, Erbsenproteinisolat, Rapsöl und Co. stehen auf der Zutatenliste. Alles vegan - zweifellos. Einen tierischen Beigeschmack gibt es trotzdem irgendwie.
Denn Beyond Meat gehört in Deutschland zur PHW-Gruppe, also zum größten deutschen Geflügelzüchter und -verarbeiter, zu dem auch die Marke Wiesenhof zählt. Die Geflügelmarke hat mittlerweile ebenfalls zahlreiche vegetarische und vegane Produkte im Sortiment. Kein Wunder: Der Markt wächst, die Nachfrage steigt. Das bekommt auch die Fleischindustrie zu spüren. Und handelt entsprechend.
"Der Bruzzler Veggie zum Beispiel liegt gegenüber dem Vorjahr mit über 44 Prozent Absatzzuwachs deutlich im Plus", so eine Sprecherin von Wiesenhof.
Auf der Veggie-Welle
Gleiches gilt für den Wurstwarenhersteller Rügenwalder Mühle, der den Veggie-Trend ebenfalls früh erkannt hat. Kürzlich gab das Unternehmen bekannt, in den vergangenen Monaten teils Umsatzzuwächse von bis zu 100 Prozent bei seinen fleischlosen Alternativ-Produkten zu verzeichnen. Selbst das Traditionsprodukt, die Rügenwalder Teewurst, gibt's mittlerweile in vegan.
Den Eindruck, dass die Nachfrage nach pflanzlichen Lebensmitteln während der Corona-Krise angezogen hat, teilt auch der Schweizer Nestlé-Konzern. "Das Interesse an pflanzlichen Alternativen hat aus verschiedenen Gründen zugenommen", sagte Konzernchef Mark Schneider zur Nachrichtenagentur Reuters und verwies auf Probleme in der nordamerikanischen Fleischlieferkette.
So waren im Frühjahr in den USA rund 20 Fleischfabriken nach Tausenden von Coronavirus-Fällen geschlossen. Ähnliche Fälle gab es in Deutschland, etwa in einem Schlachtbetrieb von Wiesenhof oder Tönnies.
Dazu hätten die Menschen "auch ein verstärktes Interesse an persönlicher Gesundheit und am Abnehmen, da COVID vor allem Menschen mit bereits bestehenden Gesundheitsproblemen betrifft", so Schneider.
Der Umsatz von Nestlé mit pflanzenbasierten Produkten stieg im ersten Halbjahr 2020 um 40 Prozent, die Marke Garden Gourmet gehört zum Beispiel zu dem Schweizer Lebensmittelkonzern. Gerade hat Nestlé in seinem Heimatmarkt eine vegane Alternative zu Thunfisch auf den Markt gebracht. Der Vuna, auf der Basis von Erbsen- und Weizenprotein, soll bald auch in Deutschland verkauft werden.
Zielgruppe seien die sogenannten Flexitatrier, wie Stefan Palzer, Nestlés Chief Technology Officer sagt. Das sind Leute, die aus Gesundheits-, Klima- oder Tierschutzgründen weniger Fisch und Fleisch essen, aber auf den Geschmack solcher Produkte nicht verzichten wollen oder können.
Alles nur Strategie? Eine weitere - zumindest tierfreundlichere - Goldgrube für die große Konzerne? Vielleicht. Am Ende bestimmt aber immer noch die Nachfrage das Angebot. Und hier ist die Tendenz klar:
"Rund 60 Prozent der deutschen Verbraucher möchten aus Gründen der Umwelt und Gesundheit ihren Fleischkonsum reduzieren, obwohl sie die Konsistenz und das Geschmackserlebnis von Fleisch schätzen. Pflanzliche Fleischalternativen bieten eine Lösung ohne Verzicht auf das Fleischerlebnis und erleichtern den Umstieg auf Veggie", so Heike Miéville-Müller, Business Unit Managerin Marketing bei Nestlés Garden Gourmet in einer Mitteilung des Unternehmens.
Vegetarier durch und durch
Es finden aber nicht nur trendige Großkonzerne Platz im Kühlregal, es gibt auch kleinere Unternehmen, die durch und durch vegetarisch bzw. vegan sind und keine Verbindung zur Fleischindustrie haben.
Dazu gehört zum Beispiel Taifun-Tofu, der im Marktbericht von Meticulous Research ebenfalls als wichtiger künftiger Akteur gelistet wird. Taifun-Tofu wurde in den 1980er Jahren in Freiburg im Breisgau gegründet, auch die Marke Tukan gehört zum Unternehmen. Andere Beispiele für ausschließlich vegetarische/vegane Marken bzw. Unternehmen sind Wheaty oder Quorn.
Es ist also für alle Werte und Ernährungsphilosophien etwas im Angebot - man muss nur genau hinschauen und sich mit der Thematik auseinandersetzen.
Doch dass die Verbraucher dazu bereit sind und ohnehin immer bewusster einkaufen, legt auch der neueste Ernährungsreport des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft nahe. Demnach achten sie heute insbesondere auf artgerechte Tierhaltung, faire Löhne und qualitativ hochwertige Produkte und sind bereit, dafür entsprechend zu zahlen.