Weltweit wächst der Druck auf Ankara
12. Oktober 2019Die Arabische Liga verurteilte in einer Dringlichkeitssitzung den türkischen Einmarsch in das von den Kurden kontrollierte Gebiet als "Aggression" und rief die Türkei zum "sofortigen und bedingungslosen Abzug" auf. Als mögliche Reaktion warnte das Bündnis vor diplomatischen und wirtschaftlichen Maßnahmen sowie einer "militärischen Kooperation".
Auch in Europa regt sich Kritik an der Militäroffensive. Die Bundesregierung kündigte an, keine neuen Rüstungsexporte an die Türkei zu genehmigen. Zuvor hatten bereits mehrere europäische Staaten, darunter die Niederlande und Norwegen, angekündigt, ihre Waffenexporte in die Türkei auszusetzen. Auch Frankreich will den Ausfuhr von Waffen für die Türkei einschränken.
Auch EU-Sanktionen stehen im Raum. Beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag steht das Thema auf der Agenda. Die Türkei bewege sich mit ihrem Handeln nicht auf dem Boden des Völkerrechts, sagte der scheidende EU-Kommissar Günther Oettinger im Deutschlandfunk. Das Vorgehen der Türkei sei völlig falsch und durch nichts zu rechtfertigen. Dennoch halte die Europäische Union an dem Flüchtlingsabkommen mit der Türkei fest. Man sei vertragstreu und erwarte das auch von Erdogan.
Die USA drohen unterdessen dem Nato-Partner Türkei mit Strafmaßnahmen und haben die Türkei zur Deeskalation aufgefordert. Für zusätzliche Spannungen zwischen Washington und Ankara sorgte ein Zwischenfall nahe der syrischen Grenzstadt Kobane. Die USA warfen der Türkei vor, dort am Freitagabend US-Soldaten unter Beschuss genommen zu haben. Das Pentagon forderte die Türkei auf, alles zu vermeiden, was zu "sofortigen Verteidigungsaktionen" führen könne. Ankara wies die Anschuldigungen zurück.
Lautstark gegen die Offensive
Zeitgleich gingen am Samstag in zahlreichen europäischen Städten tausende Menschen auf die Straße. In Deutschland gab es unter anderem in Frankfurt, Köln, Hamburg und Berlin Kundgebungen gegen die türkische Militäroffensive. In Paris nahmen nach Angaben der Veranstalter mehr als 20.000 Menschen an einer Demonstration teil. Auch in Schweden, Belgien und Zypern fanden Protestaktionen statt.
Unter dem Motto "Nein zum Krieg in Nord- und Ostsyrien!" zog am Samstagnachmittag ein Protestzug durch Zürich in der Schweiz, wie die Nachrichtenagentur sda berichtet. Die Protestierenden machten demnach mit einem Pfeifkonzert sowie kurdischer Musik auf sich aufmerksam und forderten "Stopp den Terror". In Wien haben nach Angaben der Veranstalter rund 3000 Menschen am Donnerstag und Freitag gegen die türkische Militäroffensive demonstriert, am Samstag sollen es noch mehr gewesen sein. "Die Kurden haben uns im Kampf gegen den 'Islamischen Staat' geholfen und wurden als Helden gefeiert, und jetzt werden sie im Stich gelassen. Das ist extrem kurzsichtig", sagte der Ex-Europaabgeordnete Michel Reimon (Grüne) laut der österreichischen Nachrichtenagentur APA bei einer Abschlusskundgebung.
Die Türkei hatte am Mittwoch nach einem Rückzug von US-Soldaten aus dem syrischen Grenzgebiet ihre lange angedrohte Militäroffensive gegen die Kurdenmiliz YPG begonnen. Die USA und andere westliche Staaten hatten den türkischen Militäreinsatz von Beginn an heftig kritisiert, da sie in der YPG den wichtigsten Partner im Kampf gegen die Dschihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) sehen. Sie fürchten ein Wiedererstarken der IS-Miliz.
Widersprüchliche Angaben
Die türkischen Truppen und ihre syrischen Verbündeten waren laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Samstagmorgen aus drei Richtungen auf die nordsyrische Grenzstadt Ras al-Ain vorgerückt. Der Kampf um die Stadt dauere an, betonte ein Vertreter der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF). Er widersprach damit Angaben Ankaras, wonach die strategisch wichtige Grenzstadt "unter Kontrolle" der türkischen Armee sei.
Seit dem Beginn der Offensive wurden nach Angaben der Beobachtungsstelle mehr als 70 kurdische Kämpfer sowie rund 40 Zivilisten getötet. Die Angaben der in London ansässigen Beobachtungsstelle sind von unabhängiger Seite kaum zu überprüfen. Auf türkischer Seite wurden nach Angaben Ankaras 18 Zivilisten getötet. Bei den Kämpfen in Nordsyrien seien außerdem vier Soldaten getötet worden. Nach UN-Angaben flohen bereits mehr als 100.000 Menschen vor den Kämpfen.
lh/kle (afp, dpa)