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Wenn Pferde nicht saufen wollen

Rolf Wenkel7. November 2013

Die EZB hat die Leitzinsen halbiert, um die Wirtschaft in der Eurozone anzukurbeln und mögliche Deflationsgefahren zu bannen. Doch die Deflationsgefahr ist unbegründet, meint Rolf Wenkel.

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Die Europäische Zentralbank hat den Leitzins für die Eurozone auf ein neues historisches Tief gesenkt. Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) beschloss am Donnerstag (07.11.2013), den Leitzins für die 17 Staaten der Währungsgemeinschaft auf 0,25 Prozent herabzusetzen, wie die EZB in Frankfurt am Main mitteilte. Anfang Mai hatte die EZB im Kampf gegen die Folgen der Staatsschuldenkrise beschlossen, den Leitzins auf sein bisheriges Allzeittief von 0,5 Prozent gesenkt.

Rolf Wenkel Foto: DW
Bild: DW

Der Schritt der Frankfurter Währungshüter kam nicht ganz unerwartet. Im Oktober war die Teuerungsrate in den 17 Euro-Ländern von 1,1 auf 0,7 Prozent gesunken, was für viel Aufsehen und Unruhe gesorgt hat. Viele Beobachter sehen den Euroraum bereits auf dem Weg in die Deflation und damit japanische Verhältnisse aufziehen. Man erinnere sich: Japan hat ein gutes Jahrzehnt gebraucht, um sich aus dem Würgegriff der Deflation zu befreien und zu einem nennenswerten Wirtschaftswachstum zurückzukehren.

Deflation besagt zunächst einmal, dass Unternehmen - meistens wegen geringer oder fehlender Nachfrage - zu Preiszugeständnissen gezwungen werden. Waren und Dienstleistungen werden tendenziell billiger und nicht teurer. Doch was sich erst einmal als erfreulich für die Verbraucher anhört, hat einen unangenehmen Nebeneffekt. Erwarten nämlich alle Wirtschaftssubjekte in der Zukunft fallende Preise, stellen sie ihre Kaufentscheidungen zurück - später kann man ja billiger kaufen.

Dieses Abwarten, Wirtschaftswissenschaftler sprechen vom Attentismus, hat aber verheerende Folgen. Denn es brechen nicht nur der private Konsum und die Binnennachfrage ein, zudem stellen die Unternehmen ihre Investitionen zurück - sie verkaufen ja nichts mehr. Dadurch wird eine Spirale aus sinkenden Preisen, sinkender Produktion und dem Verlust von Arbeitsplätzen ausgelöst, die sich kaum noch aufhalten lässt.

Vermutlich deshalb hat die Europäische Zentralbank zu einem klassischen geldpolitischen Instrument gegriffen und den ohnehin schon niedrigen Leitzins noch einmal halbiert. Ob sie damit tatsächlich dem Euroraum einen konjunkturellen Impuls geben kann, steht auf einem ganz anderen Blatt. Man kann Pferde nur zur Tränke bringen, saufen müssen sie alleine. Anders ausgedrückt: Unternehmer investieren nicht, weil das Geld zufällig billig zu haben ist, sie investieren, wenn sie mit einer steigenden Nachfrage rechnen. Und dieses Wachstum kommt leider, das hat auch die jüngste Konjunkturprognose der EU-Kommission gezeigt, nur sehr langsam in Gang.

Doch warum liegt die Inflationsrate momentan so niedrig, obgleich viele Beobachter die ultralockere Geldpolitik der Zentralbanken als größte Gefahrenquelle für Inflation und Preisblasen sehen? Tatsächlich schließen Nullzinsen und offene Geldschleusen nicht aus, dass sich die Inflation in sehr moderaten Grenzen hält - kurzfristig. Dahinter aber, auf lange Sicht, können sich gewaltige Preisblasen aufbauen. Nach dem 11. September hatte die US-Notenbank den Geldhahn geöffnet, um eine Rezession zu verhindern. Und dann hat es rund acht Jahre gedauert, bis die Immobilienblase platzte. Die Folgen sind bekannt, die Weltwirtschaft hat sich bis heute nicht wirklich davon erholt.

Es hilft nichts: Auf Dauer muss die EZB weg von der Politik des billigen Geldes, sie sollte nicht bedingungslos der Politik der US-Notenbank folgen. Denn langfristig werden wir in Euroland nicht mit Deflation zu kämpfen haben, sondern möglicherweise mit neuen Preisblasen und mit neuen Krisen.