Wenn Sport krank macht
9. Oktober 2014"Wenn er akut depressiv war, war es schon eine schwere Zeit, weil die Schwere darin bestand, das Ganze nicht in die Öffentlichkeit zu tragen, aus Angst, seinen Sport, unser Privatleben und alles zu verlieren", berichtete die verzweifelte Teresa Enke nach dem Selbstmord ihres Mannes Robert Enke. Ausgerechnet ein Leistungssportler, der sogar im Nationalkader stand, also einer besten war, nahm sich wegen Depressionen das Leben. Wie kann das sein? Sport hat doch im Allgemeinen den Ruf, sich positiv auf Körper und Psyche auszuwirken. Kann Sport etwa auch gefährlich sein und krank machen?
Durchaus. Vor allem im Hochleistungsbereich, wenn man das Gefühl hat, dass man den Anforderungen nicht mehr gewachsen ist, sagt Sportpsychologe Professor Jens Kleinert. "Wenn man keine Bewältigungskompetenzen mehr für sich wahrnimmt, können Ängste entstehen. Wenn das über eine sehr lange Zeit sehr stark ist, dann können es Ängste sein, die so starken Störungscharakter haben, dass sie behandelt werden müssen." Mediziner Kleinert, der das Psychologische Institut der Deutschen Sporthochschule Köln leitet, betont jedoch, dass diese Störungen nicht aus dem Sport kommen müssen. "Sehr häufig ist es so, dass sich diese Störungen sich unabhängig vom Sport entwickeln und dann auch im Sport auftreten." Im Fall Robert Enke seien es ebenfalls Depressionen gewesen, die nicht aus dem Leistungsbereich gewachsen sind, aber durch den Sport auch nicht besser wurden.
Aktivsein kann menschliche Grundbedürfnisse befriedigen
Doch hat der Sport nicht die Macht, die Stimmung aufzuhellen? Wann kann er einen positiven Einfluss auf Depressionen haben? "Wenn es kein Hochleistungssport ist, ist Sport generell für die Stimmung und das Befinden eines Menschen positiv", erklärt Sportwissenschaftler Kleinert, das hätten viele Studien bewiesen. Sport in einer moderaten Form tut dem Menschen gut, weil er soziale Kontakte findet und sich die Bewegung positiv auf die Grundstimmung auswirkt. "Es werden Hormone und die Muskulatur aktiviert, der Körper erwärmt sich. Es gibt durchaus Vertreter, die sagen, dass allein die Erwärmung des Körpers schon zu einem positiven Gefühl führt. Man nennt das Thermoregulationshypothese."
Letztendlich könne man durch diese physiologischen Konsequenzen des Sports jedoch nicht abschließend klären, wann sich jemand gut oder schlecht fühlt. Die Selbstbewertung spielt da eine zentralere Rolle: Zufriedenheit beim Sporttreiben, Erfüllung von Bedürfnissen, zum Beispiel nach sozialen Kontakten. "Das ist ganz bedeutsam im Gesundheitssport. Wichtig ist auch, dass man etwas gut beherrscht, dass man seine Kompetenz beweist. Dieses Kontrollgefühl ist unheimlich wichtig für das Befinden und den Selbstwert." Ein dritter Aspekt sei der Spaß an dem Sport, den man für sich selbst gewählt hat: "Man ist selbstbestimmt. Man kann das tun, was man möchte, nicht, was andere einem aufdrängen. Das ist ein Grundbedürfnis der Menschen und tut gut."
"Der Mensch hat das Gefühl für den Körper verloren"
Im Hochleistungssport können diese vielen positiven Eigenschaften allerdings unter dem massiven Erfolgsdruck verloren gehen, der mittlerweile auch immer mehr auf den Freizeitbereich übertragen wird. Psychologe Kleinert behauptet sogar, dass viele das Gefühl für den eigenen Körper verloren haben. "Wir bekommen in unserer Gesellschaft ganz viele Signale über die Medien, von den Eltern und Ärzten, warum wir Sport treiben müssen, was daran gut ist, dass wir länger leben oder gesünder sind oder weniger krank werden. Das heißt, Sport wird mit einem bestimmten Zweck betrieben." Viele Menschen gehen joggen oder machen etwas anderes, damit sie abnehmen oder eine andere Figur bekommen. "Das Gefühl dabei wird vernachlässigt. Das ist etwas, was ich sehr schade finde und was häufig zu einem krankmachenden Sport führt. Man ist dann vielleicht zehn Kilo leichter, fühlt sich dabei aber nicht wohl. Das ist eher ein ungesundes Sporttreiben, selbst wenn es aus körperlicher Sicht vielleicht gesund wäre."
Sport als negative Sucht
Noch problematischer wird es allerdings, wenn man ein falsches Körperbild hat und sich den Sport aussucht, um seine Störung besonders gut ausleben zu können. "Beispielsweise die Körperbildstörung. Es ist ganz typisch, dass essgestörte Menschen dazu tendieren, extremen Ausdauersport zu machen, weil sie dort ihrer Essstörung am besten funktional nachkommen können: Sie können viele Kalorien verbrennen", erläutert Kleinert. "Dann entwickelt sich möglicherweise eine Sportsucht, die natürlich negativ ist. Aber auch das sind Dinge, die nicht aus dem Sport selbst kommen, sondern die sich parallel entwickeln oder sich davor entwickelt haben."
Hilfreich sei dabei die Selbstreflexion. Es gibt Checklisten, in denen man schnell herausfindet, welche Einstellung man zum Sport hat und wie es einem dabei geht: Ist man fit? Ist man vor der Laufrunde durch den Wald motiviert? Freut man sich darauf, die Beine zu spüren oder muss man sich quälen und macht es nur, um es zu machen? "Wenn dann die äußeren Gründe dafür Anlass geben, dann sollte man vielleicht einfach die Sportart wechseln oder lieber etwas anderes tun - ins Kino gehen, ein Buch lesen. Man sollte keine Dinge tun, die man eigentlich im tiefsten Inneren überhaupt nicht möchte." Das erklärt, warum der "innere Schweinhund" nichts mit einem gesunden Körpergefühl zu tun hat, denn die Lust auf Sport sollte nicht als etwas dargestellt werden, zu dem man sich überwinden muss.