Jahresrückblick 2012: Energiewende
13. März 2013An der Entscheidung für die Energiewende wird nicht gerüttelt. Selten wurde ein und dieselbe Botschaft in Deutschland so oft vom politischen Führungspersonal wiederholt wie diese. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ließ 2012 keine Gelegenheit aus, den ein Jahr zuvor unter dem Eindruck der Nuklearkatastrophe von Fukushima beschlossenen Ausstieg aus der Kernenergie zu verteidigen. Zwar stehe mit der Energiewende eine Herkulesaufgabe bevor, sagte die Kanzlerin im Mai bei einem Energiegipfel im Kanzleramt, aber sie sei machbar. "Es bleibt natürlich bei dem Ausstieg aus der Kernenergie bis zum Jahr 2022 - so wie festgelegt."
Ausbau der erneuerbaren Energien in Rekordtempo
Die entstehende Stromlücke schließen und sogar überkompensieren soll der massive Ausbau der erneuerbaren Energien. Bis 2020 - so steht es im Energiekonzept der Bundesregierung - sollen mindestens 35 Prozent des Strombedarfs in Deutschland durch Windräder, Solaranlagen oder Biomasse-Kraftwerke gedeckt werden, bis 2050 sogar 80 Prozent. Weil auch 2012 beim Ausbau der Ökostromkraftwerke wieder alle Rekorde gebrochen wurden, erwarten Experten Ende des Jahres 25 Prozent Ökostrom im Netz, womit die Bundesregierung ihre ambitionierten Ziele wohl übererfüllen kann.
Ein Ökostrom-Boom, der den neuen Umweltminister Peter Altmaier schon kurz nach seinem Amtsantritt im Mai vor zu viel Euphorie warnen ließ. "Eine solche Energiewende ist mehr, als dass man jedes Jahr die Zahl der Windräder und die Zahl der Solardächer zusammenzählt und sagt, wir haben noch mal drei Prozent mehr ausgebaut." Von den politischen Oppositionsparteien wurde der Umweltminister für solche Aussagen als Bremser beim Ausbau von Wind, Sonne und Co. gegeißelt. Der Minister dagegen sieht sich im Recht. Die Energiewende könne nur dann gelingen, wenn der Ausbau der Windräder und Solaranlagen Hand in Hand gehe mit dem Ausbau der Infrastruktur. "Je besser der Netzausbau gelingt, desto eher wird es möglich sein, eine stabile Energieversorgung darzustellen und desto eher wird es möglich sein, die Kosten in einem vertretbaren Rahmen zu halten", sagt der Minister.
Wie viel mehr Stromnetze braucht das Land?
Unklar blieb 2012 allerdings lange, wie viel neue Stromtrassen wirklich nötig sind, um die schwankenden Strommengen von Windparks im Norden zu den großen Stromverbrauchszentren im Süden zu transportieren. Im Mai legten die vier Betreiber der Höchstspannungsnetze einen ersten Ausbauplan vor. Im November wurden die Pläne von der Bundesnetzagentur in einem Netzentwicklungsplan konkretisiert. Gingen Experten ursprünglich von mindestens 4000 Kilometer neuen Stromautobahnen aus, reduzierte die Bundesnetzagentur zuletzt den Bedarf auf drei Hauptstromtrassen mit einer Gesamtlänge von 2800 Kilometern. Im Dezember konnten sich dann Bund und Länder sogar noch auf eine zentrale Koordinierung des länderübergreifenden Leitungsbaus unter der Federführung der Bundesnetzagentur einigen. In den Augen von Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) war das der Durchbruch beim bislang schleppend angelaufenen Netzausbau. "Ein Riesenschritt bei der Umsetzung der Energiewende", lobte Rösler damit auch das Management der Energiewende durch die christlich-liberale Regierungskoalition.
Oppositionsparteien, Gewerkschaften und Umweltschutzverbände halten Lob für die Umsetzung der Energiewende für blanken Hohn. Der Netzbau sei um mindestens fünf Jahre in Zeitverzug, die Gefahr von Blackouts in den Wintermonaten keineswegs gelöst, sagen Kritiker. Eine Umfrage der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie gibt just diesen Stimmen Rückenwind. Denn nur jeder vierte Bundesbürger ist demnach mit der bisherigen Umsetzung der Energiewende zufrieden. Gewerkschaftsvorsitzender Michael Vassiliadis appellierte an die Regierung, die Konzeption der Energiewende gründlich zu überprüfen. Peer Steinbrück, Kanzlerkandidat der oppositionellen Sozialdemokraten, wurde da noch deutlicher: "Jede Frittenbude in Deutschland wird besser gemanagt als die Energiewende in diesem Land".
Wer hat Schuld an der Strompreisexplosion?
Am 15. Oktober war dann klar, dass die Energiewende in Deutschland noch teurer wird als erwartet. Die Bundesnetzagentur verkündete, dass die Umlage zur Förderung der erneuerbaren Energien von 3,6 auf 5,3 Cent pro Kilowattstunde steigen wird. Das Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) regelt damit, dass die Mehrkosten der Energiewende nicht durch den Steuerzahler, sondern direkt vom privaten Stromkunden getragen werden müssen. Das führt dazu, dass zum Jahresende über 400 Stromversorger Preiserhöhungen von bis zu zwölf Prozent fürs nächste Jahr ankündigt haben. Für die Partei Die Grünen eine von der Regierungsbank verursachte Strompreisexplosion. Denn der Strom aus Solar- und Windkraftwerken habe den Strompreis eigentlich an der Börse gesenkt, sagt Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin.
Profitieren konnte davon bis heute niemand, kritisiert Trittin, weil der energieintensiven Industrie stattdessen milliardenschwere Rabatte bei der Zahlung der EEG-Umlage eingeräumt wurden. "Das allein kostet vier Milliarden Euro und das zahlen nicht nur die Verbraucher, sondern insbesondere die kleinen und mittleren Betriebe zahlen für die Stromgroßverbraucher und Verschwender", sagt Trittin. Die Regierung will an den großzügigen Ausnahmeregelungen für die Industrie festhalten, sagte lediglich eine Überprüfung einzelner Fälle zu. Das Rezept des Umweltministers gegen zu hohe Stromrechnungen lautet ohenhin anders: Er will durch eine groß angelegte Stromsparinitative die Stromkosten wieder drosseln. Denn jede eingesparte Kilowattstunde Strom, so Altmaier, müsse schließlich auch niemand bezahlen. Altmaier steht unter Druck, denn scheitert er, könnte vielleicht 2013 doch schon wieder an der Energiewende gerüttelt werden.