Wer ist Boris Johnson?
25. Mai 2019Er hat türkische Vorfahren, wurde als Kind englischer Eltern in New York geboren und hat als Sohn eines EU-Beamten einen prägenden Teil seiner Kindheit in Brüssel verbracht.
Und dennoch ist Boris Johnson, dieser kosmopolitischste unter den britischen Politikern, die konservative Gallionsfigur des britischen Chaos-Ausstiegs aus der Europäischen Union. Er ist der Mann, der Theresa May an der Regierungsspitze folgen könnte, wenn sie am 7. Juni zurücktritt.
Getauft auf den Namen Alexander Boris de Pfeffel Johnson kennt die Öffentlichkeit ihn schlicht als Boris und erkennt ihn an seinen Markenzeichen, dem widerspenstigen blonden Haarmopp und einem Sprachstil, der zu Ausrutschern neigt.
Kommentatoren schwärmten lange Zeit für seine exzentrische Art, inklusive seiner Leidenschaft fürs Radfahren, zerknitterte Anzüge und seinen legendären Mangel an Pünktlichkeit.
Wähler vergaben ihm seine politischen Stunt-Gags - wie das Hängen an einer Seilrutsche während der Olympischen Spiele 2012 in London - genauso wie seine Vorliebe für schöne, kluge Frauen. (Londons Boulevardpresse gab ihm den Spitznamen "Bonking Boris", "Bums-Boris", wegen seiner außerehelichen Affären.)
Aber es ist gefährlich, Boris Johnson als Clown abzutun - das musste auch Theresa May dieses Jahr lernen.
Nach der Schulzeit im Eliteinternat Eton, das reihenweise Premierminister produziert hat, studierte Johnson in Oxford Klassische Altertumswissenschaft. Er spricht Französisch und Italienisch.
Jahrzehnte lang wurde seine Kindheit als idyllisch beschrieben, bis sich vergangenes Jahr seine jüngere Schwester Rachel zu Wort meldete, eine bekannte Journalistin und derzeit Anti-Brexit-Kandidatin fürs Europaparlament. In der "Sunday Times" enthüllte sie, dass ihre Mutter, die Künstlerin Charlotte Johnson, unter Depressionen und "einer galoppierenden Zwangsstörung" litt, die sie lange Zeit in die Psychiatrie zwangen.
Den jungen Boris und seine drei Geschwister zog ein Kindermädchen auf, die ein kettenrauchender "Turm der Stärke" gewesen sein soll und sich um die Kinder kümmerte, als deren Vater Stanley einen Job als Beamter der EU-Kommission bekam.
Johnson arbeitete als Journalist, bevor er in die Politik ging, doch auch seine Medienkarriere war durch Kontroversen gekennzeichnet. Seine erste Anstellung hatte er bei der Londoner "Times". Sie endete dramatisch, als er einem Oxford-Geschichtsdozenten, der zudem sein Taufpate war, ein erfundenes Zitat in den Mund legte. Johnson wurde erwischt und gefeuert.
Ein paar Jahre später wurde er Brüssel-Korrespondent des "Daily Telegraph", wo er - inmitten von die EU befürwortenden Kollegen - die Gelegenheit ergriff, sich einen Namen als Euroskeptiker zu machen.
In einem vernichtenden Artikel im "New Statesman" schrieb der ehemalige "Times"-Auslandschef Martin Fletcher 2017, Johnsons Mission sei es, Euroskeptizismus zu entfachen und die EU "bei jeder Gelegenheit bloßzustellen" - womit er sowohl seinen Namen als Journalist festigte als auch "die neuere britische Geschichte ändern half".
Eine Abfuhr von Cameron
Johnsons gut belegter glühender Ehrgeiz während seiner Brüssel-Jahre beendete auch seine erste Ehe. Zwölf Tage nach seiner Scheidung heiratete er Marina Wheeler, mittlerweile Anwältin, die damals das erste ihrer vier gemeinsamen Kinder erwartete.
Nach seiner Rückkehr nach London stieg er schnell zum politischen Chefkommentator des "Telegraph" auf, war regelmäßig im Fernsehen zu sehen, wurde Herausgeber des konservativen Blattes "The Spectator" und im Unterhaus Abgeordneter der konservativen Tories für Henley in der Grafschaft Oxfordshire.
Eine Affäre mit einer Kollegin - die er vehement als "umgekehrte Pyramide des Blödsinns" dementierte - führte zu seinem Rausschmiss aus dem Schattenkabinett der Tories. Und zum ersten von mehreren Rauswürfen aus dem ehelichen Zuhause.
Als David Cameron - Tory, späterer Premierminister und Johnsons Mitschüler in Eton - 2005 Oppositionsführer wurde, berief er Johnson nicht mehr in seine Schattenregierung. Offenbar war er wütend, dass Johnson ihm bei einem Parteitag mit unüberlegten, auf Schlagzeilen schielenden Kommentaren die Schau gestohlen hatte.
Von Cameron isoliert und angesichts schwindender journalistischer Möglichkeiten warf Johnson 2008 seinen Hut bei der Wahl zum Bürgermeister von London in den Ring.
Unterstützung bekam er von Camerons umstrittenem australischen Wahlkampfmanager Lynton Crosby (der sich klugerweise bemühte, selber nicht aufzufallen). So schaffte es Johnson, dem Amtsinhaber der Labour-Partei das zunehmend links wählende London zu entreißen, die Hauptstadt durch die Olympischen Spiele 2012 zu führen und seine eigene Präsenz in der Öffentlichkeit zu zementieren.
Sein Ego und seine politischen Ambitionen wurden durch eine zweite Amtszeit als Bürgermeister angestachelt. Johnson bekam einen sicheren Parlamentssitz für die Tories und begann, seine Messer für den Weg nach oben zu wetzen.
Der Brexit als Karriereschritt
Er warf sein beachtliches politisches Gewicht und seine Popularität für den Brexit in die Waagschale. Bei seiner Tournee durchs Land mit einem roten Bus versicherte er den Wählern, sie hätten nur Vorteile von einem EU-Austritt, der nach dem schockierenden Ergebnis des Referendums 2016 zum politischen Wendepunkt wurde.
Der folgende Rücktritt von Premier Cameron ermöglichte ihm, sich an die zunehmend belagerte Theresa May heranzupirschen. Für zwei Jahre wurde er ihr wenig bekömmlicher Außenminister. Trotz der weit verbreiteten Kritik an seiner Rolle als Opportunist und Spalter, die er nach dem Brexit-Referendum in der britischen Politik spielte, bestätigen Kommentatoren aus allen Lagern seine exzentrische Anziehungskraft für Wähler.
Der Politstratege der Labour-Partei, John McTernan, stimmt mit seinem früheren Boss, Ex-Premier Tony Blair darin überein, dass Johnson jetzt "die richtige Antwort für die Tories" sei.
"Sie brauchen einen Kandidaten, der ihre Partei einigen kann", sagt McTernan gegenüber der Deutschen Welle. Er müsse Nigel Farage, den Kopf der Brexit-Partei Ukip, übertrumpfen und sich die Tatsache zunutze machen, dass viele traditionelle Labour-Wähler den Oppositionsführer Jeremy Corbyn unpatriotisch fänden. "Falls die Konservativen bei der EU-Wahl verlieren, werden viele Tory-Abgeordnete Boris als den Mann sehen, der ihre Parlamentssitze retten kann."
Der politische Kopf, der Großbritannien in den vergangenen 50 Jahren am meisten spaltete, war allerdings nicht Boris Johnson - das war Margaret Thatcher, argumentiert Professor Roger Eatwell, Koautor eines Buches über Populismus und die "Revolte gegen die liberale Demokratie". Thatcher "führte die konservative Partei nacheinander zu drei Wahlsiegen".
"Boris' Problem ist, dass Thatcher als Politikerin mit einer neuen Agenda wahrgenommen wurde - weniger staatliche Intervention, mehr freier Markt und so weiter. Boris dagegen wirkt eher wie ein Brexit-Nachzügler, gerissen und überambitioniert", so Eatwell zur DW.
Boris Johnson, sagte seine Kabinettskollegin Amber Rudd 2016, sei "Leben und Seele der Partei - aber nicht der Mann, von dem Du nach Hause gefahren werden möchtest". Ob der Rest der Tories ihrer Meinung ist, wird sich bald herausstellen.