Wer ist schon Neymar?
19. August 2016Die Frage hatte er erwartet. Wie er denn vorhabe, Neymar auszuschalten, will ein brasilianischer Journalist von Horst Hrubesch wissen. Der Trainer der U21-Auswahl Deutschlands rümpft kurz die Nase und holt Luft. "Wir spielen gegen Brasilien, nicht gegen Neymar", stellt er klar. Dann verengen sich seine Augen zu Schlitzen. "Wenn Sie mir diese Frage stellen, dann frage ich Sie: Was tun Sie gegen meine Stürmer? Die haben bisher 21 Tore geschossen, darüber sollte man auch mal nachdenken." Ein Satz, der das neue Selbstbewusstsein des deutschen Nachwuchsteams auf den Punkt bringt. Wer ist schon Neymar?
Einer dieser jungen deutschen Stürmer ist Davie Selke. Er ist 21 Jahre alt, verdient sein Geld inzwischen bei Bundesliga-Aufsteiger RB Leipzig und träumt von seinem ersten großen Titel. "Das wird das Spiel unseres Lebens. Wir werden uns nicht verstecken", sagt Selke selbstbewusst. Die junge deutsche Auswahl hat keine Angst. Weder vor Neymar noch vor der erwartbar emotionalen Kulisse. Die dürfte im Finale der Männer besonders aufgeheizt sein. Keine Medaille ist für Brasilien so wichtig wie Gold für die Seleção Brasileira; und gegen Deutschland gilt es schließlich die Schmach des verlorenen WM-Halbfinals, das hierzulande nur "vexame" (die Schande) genannt wird, zumindest ein bisschen vergessen zu machen. "Ich glaube, dass das Land eine kleine Revanche für das 1:7 erwartet", weiß Selke, stellt aber fest: "Klar, die haben den Druck."
"Die Leute wollen Gold"
Das kann man so sagen. Die Erwartungshaltung im Gastgeberland der Spiele ist gewaltig. Viele Goldkandidaten wie die Beachvolleyballerinnen oder die Fußballerinnen haben nicht geliefert. "Die Leute wollen Gold", sagt Gabriel Jesus. "Wir werden im Finale in der gleichen Form spielen, um den Gold-Traum für uns Brasilianer zu erfüllen." Diesem Traum der nominell sicher überlegenen brasilianischen Auswahl stellen sich ein paar junge und kaum erfahrene Spieler aus Deutschland entgegen. Und dennoch haben sie eine durchaus realistische Chance, den ersten Olympiasieg für den DFB überhaupt zu holen.
Mit einem beeindruckenden Offensivstil, vielen Toren und einem fast schon überraschenden Selbstbewusstsein spielte sich die Mannschaft von Trainer Horst Hrubesch ins Finale von Rio - und das, obwohl im Vorfeld viele gute Spieler absagten und dem Team keine Zeit zur Vorbereitung blieb. Neben den jungen Wilden wie Selke, Serge Gnabry, Max Meyer oder Julian Brandt setzt Hrubesch auch auf zwei erfahrenen Arbeiter in der Defensive: die Brüder Lars und Sven Bender. "Spieler, die in der Bundesliga bisher immer zu schlecht weggekommen sind, wie die Benders, haben hier mit dem Team eine Top-Arbeit gemacht. Sie haben die Jungen mitgenommen, ihnen geholfen", lobt Hrubesch. Auch weil niemand seiner Elf hier viel zugetraut habe, kann die völlig befreit aufspielen, glaubt der Coach: "Am Ende des Tages können wir nur noch gewinnen. Wir haben gezeigt, was wir können. Der Druck liegt bei Brasilien. Allein dass wir hier sind, ist ein Erfolg."
Hrubesch nimmt Abschied
Zwei Weltmeister von 2014 kehren an diesem Samstag ins Maracanã zurück: Abwehrspieler Matthias Ginter, der bei der WM allerdings nur Ersatzspieler war und Hansi Flick, damals Co-Trainer von Joachim Löw. Ihre Erfahrungen hier in Brasilien sei eine Hilfe für die junge Mannschaft, die die Olympia-Atmosphäre förmlich aufgesauge, so Hrubesch.
Für ihn selbst wird es ebenfalls ein besonderer Abend: Im Maracanã endet seine Laufbahn als U21-Trainer - am liebsten natürlich mit der olympischen Goldmedaille. Hrubesch, der 1982 selbst ein Länderspiel im Maracana bestritt und sich erinnert, "dass es verdammt warm war und ich kaum Luft bekommen habe", kann hier sein Lebenswerk krönen. Er hat der Idee, den deutschen Fußball nach Bronze 1988 wieder zu einer Olympiamedaille zu führen, neues Leben eingehaucht. Die Wahrheit ist nämlich: Neben ihm hat kaum jemand daran geglaubt. Zum Abschluss der Trainerkarriere ein Finale im Maracanã - Horst Hrubesch fasst das in seiner unnachahmlich trocken-westfälischen Art zusammen: "Dass es soweit kommt, ist auch in Ordnung".