Flucht aus dem Jemen
11. Februar 2015Bevor Haykal Bafana sein Haus verlässt, steckt er seine 9-Millimeter-Pistole ein und hängt sich dann sein Sturmgewehr über die Schulter, einen ungarischen Kalaschnikow-Nachbau. Mit der Bewaffnung fällt der Unternehmensberater in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa nicht weiter auf. "Selbst in Supermärkten haben doch alle Pistolen oder Gewehre bei sich", sagt Bafana. Er vergleicht es mit dem Tragen eines Janbiya-Dolches, ohne den man in den Stammesgebieten nicht als Mann betrachtet wird. "Es ist eine Warnung an alle, die vielleicht vorhaben, deine Familie zu entführen oder ein anderes Verbrechen zu begehen", sagt er.
Im Jemen ist das eine sehr reale Gefahr. In der Liste gescheiterter und schwacher Staaten lag der Jemen im vergangenen Jahr direkt hinter Afghanistan auf Platz acht. Die internationale Beratungs- und Sicherheitsfirma Control Risks bewertet die Gefahrenlage im Jemen eine Stufe über "hoch" mit "extrem".
"Erhebliche Risiken"
Nach Einschätzung westlicher Staaten hat sich diese Lage nach der Machtübernahme der schiitischen Huthi-Miliz weiter verschärft. Die Bundesregierung forderte alle deutschen Staatsbürger auf, den Jemen zu verlassen. "Es bestehen im ganzen Land, auch in der Hauptstadt Sanaa, erhebliche Risiken durch innere Konflikte, Stammesauseinandersetzungen, Massendemonstrationen und terroristische Anschläge", heißt es in der Reisewarnung des Auswärtigen Amtes (AA). "Von diesen können auch Unbeteiligte betroffen sein."
Die USA und Großbritannien schlossen ihre Botschaften und zogen das Personal ab; Frankreich kündigte entsprechende Schritte für Freitag an. Deutschland hat bislang keine solche Entscheidung getroffen. "Wir beobachten die Situation im Jemen sehr aufmerksam", erklärt ein Sprecher des AA. "Die Sicherheitslage ist schon längere Zeit angespannt." Die hohen Sicherheitsmaßnahmen würden laufend angepasst.
"Tod Amerika"
Ende Januar hatten die Huthi den Präsidentschaftspalast eingenommen und seitdem ihre Kontrolle über das Land ausgeweitet. Am Freitag verkündeten sie die Auflösung des Parlaments und die Bildung eines "Präsidentschaftsrates", der für zwei Jahre eine Regierung bilden soll, ein "Nationalrat" soll das Parlament ersetzen. Die Miliz wird Berichten zufolge vom Iran unterstützt; ihre Anhänger rufen bei Versammlungen gerne "Tod Amerika".
Der Unternehmensberater Bafana vermutet politische Gründe hinter den Botschaftsschließungen – denn in seiner Wahrnehmung hat sich die Sicherheitslage in Sanaa eher verbessert. "Obwohl ich kein großer Fan ihrer Machtergreifung bin, muss ich sagen, dass die Huthi-Miliz bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit sehr gute Arbeit geleistet hat", sagt Bafana. Die Miliz habe ihre Arbeit mit anderen Sicherheitskräften koordiniert und genieße – auch weil sie keine Schmiergelder verlange – große Unterstützung unter den Hauptstädtern.
Da die Huthi der schiitischen Minderheit angehören, fürchten Beobachter, dass der Jemen zunehmend von konfessionellen Auseinandersetzungen geprägt werden könnte. In den südlichen und östlichen Landesteilen, die bislang nicht von den Kämpfern erobert wurden, bewaffnen sich inzwischen sunnitische Stammesmitglieder und verbünden sich zum Teil mit der Terrorgruppe Al-Kaida. In dem zentral gelegenen Ort Tais demonstrierten Zehntausende gegen die Huthi. Die Spannungen haben die Angst vor einem Bürgerkrieg verstärkt.
Der Huthi-Anführer Abdelmalek al-Huthi bemüht sich unterdessen, die Furcht vor Gewalt oder einem Kollaps der öffentlichen Ordnung zu beschwichtigen. "Angst ist unbegründet, die Sicherheitslage ist stabil", sagte er in einer Fernsehansprache.