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Wezeman: "Die Ukraine hat genug Waffen"

Bernd Riegert 10. Februar 2015

Die USA und Europa streiten über mögliche Waffenlieferungen an die Ukraine. Viel Lärm um nichts? Die Ukraine braucht keine Waffen, sondern eine bessere Strategie, sagt Militärexperte Siemon Wezeman im DW-Interview.

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Siemon Wezeman (Foto: SIPRI)
Bild: SIPRI

Die Regierung der Ukraine bittet die USA und die europäischen Staaten seit Monaten um Waffenlieferungen im Kampf gegen angeblich hochmodern ausgestattete prorussische Rebellen. Die Agentur "Armament Research Services" (ARES) in Australien und auch das schwedische Forschungsinstitut SIPRI bezweifeln jedoch die Notwendigkeit von Waffenlieferungen.

Deutsche Welle: Herr Wezeman, sie erforschen am Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI unter anderem die Bewaffnung der ukrainischen Streitkräfte. Welche Seite ist in der Ukraine heute besser ausgerüstet, die prorussischen Rebellen oder die reguläre Armee der Ukraine? Wer verfügt über was?

Siemon Wezeman: Die ukrainische Armee ist besser ausgerüstet. Eine reguläre Armee hat immer mehr Ausrüstung als die Rebellen. Die Armee hat eine Luftwaffe, über die die Rebellen nicht verfügen. Die Armee hat viel mehr schwere Waffen, die die Rebellen nicht haben. Sie hat eine viel größere Organisation. Es gibt zwar eine große Anzahl von Rebellen, aber sie sind nicht so stark wie die ukrainische Armee.

Aber es wird doch behauptet, dass die Rebellen hochmoderne russische Waffen bekämen, die besser seien als das, was die ukrainische Armee zur Verfügung hat. Stimmt dieser Eindruck denn nicht?

Nein, das ist nicht das, was ich sehe. Die Rebellen benutzen eine Menge Ausrüstung, die sie erbeutet haben. Ein Teil der Ausrüstung kommt von außerhalb der Ukraine, aber das ist kein sehr fortschrittliches Arsenal. Es ist modern, aber nicht supermodern. Und es ist nichts, was die ukrainische Seite nicht auch hätte.

Die Ukraine war ein großer Hersteller und Exporteur von Waffen. Es gibt eine große Rüstungsindustrie, die Russland und früher die Sowjetunion beliefert hat. Warum ist die ukrainische Armee dann nicht noch besser ausgestattet? Ist das eine Frage der Modernsierung oder woran liegt das?

Es gibt zwei Probleme. Das eine ist das Geld. Der Verteidigungshaushalt der Ukraine ist nicht besonders groß, wenn man sich die Größe der Streitkräfte und des Landes anschaut. Die Modernisierung ging also sehr, sehr langsam voran. Es gab fast kein Geld für Anschaffungen. Das zweite Problem: Das wenige vorhandende Geld wurde hauptsächlich dafür aufgewendet, alte Systeme zu überholen oder zu modernisieren, die man von der ehemaligen Sowjetunion geerbt hatte.

Die ukrainische Seite soll nach Panzerabwehrwaffen gefragt haben. Braucht die Ukraine solche Systeme aus ihrer Sicht wirklich?

Nein, das würde mich überraschen. Die Rebellen benutzen nicht so viele Panzer. Die Panzer, die sie haben, sind vom gleichen Typ, den auch die ukrainische Armee benutzt. Die Ukraine hat jede Menge Panzer, die andere Panzer bekämpfen können. Es gibt eine Menge Panzerabwehrwaffen, die hauptsächlich aus sowjetischen Zeiten oder auch aus neuerer ukrainischer Produktion stammen. Ich glaube, die Ukraine ist eher interessiert an Nachsichtgeräten, Aufklärung, Drohnen und unbemannten Fluggeräten.

Die USA und einige europäische Staaten erwägen Waffenlieferungen an die Ukraine. Würde das wirklich helfen? Könnte die Armee diese völlig anderen Systeme überhaupt bedienen?

Das kommt darauf an, was genau geliefert werden soll. Panzerabwehrwaffen sind relativ einfach zu bedienen. Das kann man lernen, weil sie den vorhandenen Systemen wahrscheinlich sehr ähnlich sind. Wenn es um komplexere Systeme wie einen Panzer oder ein Flugzeug geht, dann braucht das Zeit, vor allem wenn diese Systeme völlig anders sind als das, was man bisher hatte. Auch wenn es um Computersysteme geht, wird es einige Zeit dauern, bis man die beherrscht. Sie könnten aber einen großen Effekt haben. Deshalb will man sie vielleicht anschaffen.

Warum ist die ukrainische Armee eigentlich nicht in der Lage, mit diesen Rebellen fertig zu werden, sie zurückzuschlagen? Die Armee ist ja größer als die Rebellentruppe. Was ist das Problem?

Ich bin nicht ganz sicher. Es ist oft so, dass man eine große Armee hat und eine relativ kleine Rebellengruppe, die in ihrem Heimatgebiet kämpft und teilweise von der Bevölkerung unterstützt wird. In diesem Fall liegt das Kampfgebiet auch noch an einer Grenze (zu Russland), hinter die sich die Rebellen - falls nötig - zurückziehen können, die aber die ukrainische Armee nicht überschreiten kann. Die Frage ist immer, wie bekämpft man Rebellen, die nicht besonders stark organisiert sind. Es gibt manchmal keine klare Front. Der Gegner kämpft einen Guerilla-Krieg. Dagegen braucht man viel mehr Personal als gegen eine reguläre Armee. Es gibt eine ganze Reihe von Problemen, es ist aber nicht eine Frage der Größe, Stärke oder Ausrüstung. Die ukrainische Armee ist groß genug und stark genug, um jede konventionelle Armee in der Stärke der Rebellen in kurzer Zeit zu schlagen. Aber Rebellen zu besiegen erfordert eben mehr als Größe.

Es geht also nicht um die Waffen, sondern um Strategie und Taktik. Wie kann man Rebellen bekämpfen, die sich in einer Stadt, in einer zivilen Umgebung verstecken?

Im Grunde geht es genau darum: Wie kann man eine Rebellentruppe bekämpfen, die sich jederzeit auflösen, neu formieren und wieder abtauchen kann? Was macht man, wenn sie sich in einer Stadt verstecken? Kann man sie angreifen? Sie können jederzeit ihre Waffen fallen lassen, zivile Kleidung anziehen und niemand kann erkennen, ob es sich hier nun um Militär, Kämpfer oder wen auch immer handelt. Drei Tage später tauchen die gleichen Leute wieder als Kämpfer in Uniform auf. Das ist eben Guerilla-Taktik, mit der man nur schwer umgehen kann.

Wie viele Soldaten hat die Ukraine eigentlich unter Waffen? Die Armee ist in den letzten Jahren reduziert worden.

Das kommt darauf an, wie man zählt. Es gibt aktive Soldaten und Reservisten. Es gibt welche in der Mobilmachung. Die Ukraine kann, wenn das nötig ist, leicht mehrere Millionen Soldaten mobilisieren. Ob die alle adäquat bewaffnet werden könnten, ist eine andere Frage. Im aktiven Dienst kann die Ukraine ohne Probleme mehrere Hundertausend Mann aufbieten.

Siemon Wezeman (geb. 1963) arbeitet am Stockholmer internationalen Friedenforschungsinstitut (SIPRI). Der niederländische Historiker ist Fachmann für konventionelle Bewaffnung und Aufrüstung. SIPRI erforscht Militär, Waffenexporte und Militärausgaben weltweit. Das Institut wird vom schwedischen Parlament finanziert.