Algorithmen treiben Energiewende voran
9. Januar 2022Auf dem Energiemarkt bestimmen nicht nur Angebot und Nachfrage den Preis, sondern im Kontext der Energiewende auch die aktuelle Verfügbarkeit. Zwar stammte 2020 bereits mehr als die Hälfte des Stroms in Deutschland aus erneuerbaren Quellen, doch Windkraft und Solarstrom hängen von der Wetterlage ab, lassen sich nicht kontinuierlich konstant erzeugen. Bei der Stromversorgung etwa von großen Industrieunternehmen ist somit Flexibilität gefragt.
Diese Flexibilitätsvermarktung will Esforin (Energy Services For Industry) mit einem automatisierten und voll digitalisierten Handel mit Strom und Stromverbrauch bieten. Intelligente Algorithmen ermöglichen in Bruchteilen von Sekunden auf Entwicklungen an den Strombörsen zu reagieren. Mit diesem Geschäftsmodell bringt es das Startup aus Essen im Jahr 2021 auf einen Umsatz von rund 280 Millionen Euro.
Intelligente Nachfrage stabilisiert die Netze
In der Regel kostet eine Megawattstunde Strom an der Börse zwischen 50 und 70 Euro. In einer "Dunkelflaute" (wenn in der Nacht also kein Wind weht) bei der Erzeugung von Sonnen- und Windenergie kann der Preis aber auch auf bis zu 3000 Euro und mehr in die Höhe schnellen. Scheine die Sonne und wehe der Wind, so Esforin-Gründer Christian Hövelhaus, "dann gehenan der Börse die Preise sofort wieder runter."
Auf solche Entwicklungen reagieren die von Esforin entwickelten Algorithmen, die jeweils auf die Energiebedürfnisse der einzelnen Kunden zugeschnitten sind. "Und damit," so Christian Hövelhaus, "lohnt sich eine Optimierung, wie wir sie anbieten. Denn wir sind an den Einsparungen und damit an der Erhöhung der Gewinne unserer Kunden beteiligt."
Flexibilität ist nach Überzeugung des Gründers "eigentlich der Schlüssel für die Energiewende, da dadurch die Nachfrage intelligent gesteuert wird." Außerdem resultiere daraus noch ein weiterer Vorteil, und zwar die Stabilisierung der Netze.
"Beim Kauf gibt es noch Geld obendrauf"
Betriebswirt Hövelhaus weiß aus Erfahrung, nach welchen Regeln der Energiemarkt funktioniert. Nach Stationen beim Stinnes Energiehandel und zwölf Jahren beim Energiekonzern RWE gehörte er von 2008 bis 2014 dem Vorstand von NatGas in Potsdam an, bevor er das eigene Startup mit der Idee gründete, "Stromhandel als Service komplett anzubieten."
In Millisekunden auf Strompreisschwankungen reagieren zu können, kann Kunden beträchtliche Summen sparen. Für normale Haushaltskunden sei es zwar schwer nachvollziehbar, aber wenn viel Energie aus Sonne und Wind verfügbar ist, dann können die Preise, so Christian Hövelhaus, auch in den Negativbereich gehen. Sprich: beim Kauf gibt es noch Geld obendrauf. "Dann kriegen Sie Strom mit Geld. Und so kaufen wir dann Strom mit Geld zum Beispiel bei negativen Preisen für Kunden zu, die sagen, wir können auch mehr verbrauchen."
Stromkauf als Termingeschäft
Zugleich können Kunden von Esforin, die im Voraus auf Termin Strom gekauft haben und den nicht in vollem Umfang für die Produktion benötigen, diesen auf dem Markt bei steigenden Preisen auch wieder durch das Essener Startup verkaufen. Und zwar, so Hövelhaus, nicht nur zum eigenen finanziellen Vorteil der Kunden. Denn: "Wir ermöglichen durch die Flexibilität, die wir haben, mehr erneuerbaren Energieeinsatz mit weniger CO2. Dadurch profitiert also auch die Umwelt."
Auf dem Feld der kurzfristigen Optimierung für Industrien gilt das Essener Unternehmen, das mit rund drei Dutzend Mitarbeitern einen dreistelligen Millionenbetrag umsetzt, inzwischen als Marktführer. Bei größeren Unternehmen, die zu den Kunden gehören, bewegen sich die jährlichen Einsparungen bei den Energiekosten im sechs- bis siebenstelligen Euro-Bereich.
"Software fährt auch Maschinen hoch oder runter"
Esforin optimiert aber nicht nur den Strombezug beim Einkauf. Wenn Unternehmen es wünschen, können die Essener Energiemanager auch Einfluss auf den Betrieb der Anlagen nehmen. Christian Hövelhaus nennt ein Beispiel: „Die Mahlmaschinen einer Papierfabrik verbrauchen so viel Strom wie ein paar Tausend Haushalte. Wir können die Produktion dieses Kunden steuern, indem wir Maschinen gezielt einschalten oder hochfahren, wenn wir Strom zu besonders günstigen Tarifen kaufen können."
Inzwischen gehören nicht nur Industrieunternehmen zum Kundenkreis. So vermarktet Esforin nach den Worten von Vorstand Hövelhaus neben Chemieparks auch Europas größte Biomasseanlage und kooperiert mit Stadtwerken. Zum Beispiel in Neubrandenburg und Wernigerode.
Hövelhaus hält es für durchaus möglich, dass in ein paar Jahren auch private Haushalte ihren Stromverbrauch optimieren können. Haushalte mit Solar-Modulen auf dem Dach und einem Elektroauto in der Garage könne man zu einem virtuellen Kraftwerk vernetzen.
"Wenn Sie da 10.000 Kunden haben, ist das ja wie ein großer Speicher. Da ziehen Sie nachts Strom raus, der tagsüber, wenn die Sonne schien, aufgelaufen ist." Dem Verbraucher dürfte es egal sein, ob sein Elektroauto um Mitternacht oder um fünf Uhr morgens geladen wird. Was unter dem Strich zähle, sei das eingesparte Geld. Bis dahin wird es allerdings wohl noch etwas dauern.