Wie ein Vulkan Islands Reisebranche rettet
9. Juli 2021Seit zwei Kilometern nichts als Nebel, so dicht, dass kaum die als Wegmarkierungen in das Geröllfeld gerammten Holzpflöcke zu sehen sind. Dann, an einem Abhang, heben sich die Konturen von ein paar Wanderern ab, die nach unten schauen. Doch auch von hier oben ist der Ausbruch am Fagradalsfjall nicht zu sehen - Islands noch namenloser jüngster Vulkan, der sich im März auf der Reykjanes-Halbinsel im Südwesten des Landes aufgetan hat.
Und dann reißt der Nebel auf und gibt den Blick frei auf eine Mondlandschaft, zerklüftet in grau und schwarz, an manchen Stellen flockt Schwefel blassgelb aus, hier und da steigt Rauch auf. Das Feld wird durchzogen von feurig-orangenen Lavabächen, die mal rasant, mal gemütlich und zäh vor sich hinfließen. Einmal ist aus der Ferne ein tiefes, bedrohliches Grollen zu hören, doch an diesem nebligen Sommertag zeigt sich der Vulkan nicht.
Vulkan bringt Tourismus wieder in Schwung
Die rohen Naturgewalten eines Vulkans sind so faszinierend wie bedrohlich - man erinnere sich an den Ausbruch des Eyjafjallajökull, der 2010 den Luftverkehr auf der halben Nordhalbkugel ausbremste -, und auch in Island dürfte die südliche Küstenstraße schon bald der Lava zum Opfer fallen. Doch für den isländischen Tourismus kam der Ausbruch genau zur richtigen Zeit: Nach einem Jahrzehnt des atemberaubenden Wachstums hat die Corona-Krise hier eine tiefe Lücke gerissen. Am internationalen Flughafen Keflavík landeten 2019 noch fast zwei Millionen Reisende; im Corona-Jahr 2020 waren es dann nur noch 478.000.
Mitte März startete Island dann die allmähliche Öffnung für vollständig Geimpfte. Im Mai reisten schon wieder fast 13 Mal so viele Menschen nach Island, verglichen mit den zugegebenermaßen sehr niedrigen Zahlen von Mai 2020. Für die kommenden Monate geht die isländische Tourismusbehörde (ITB) von stabilem Wachstum aus, sodass ab Herbst wieder vor-pandemische Werte erreicht werden: "Für dieses Jahr rechnen wir insgesamt mit etwa 900.000 Gästen, das sind fast halb so viele wie 2019", sagt Snorri Valsson von der ITB im DW-Interview. "2022 könnten es dann schon wieder fast zwei Millionen werden. Wir rechnen also mit einer sehr schnellen Erholung." Als Problem könnte sich dabei noch erweisen, dass viele ausländische Arbeitskräfte, die sich nach dem Corona-bedingten Jobverlust in der Tourismusbranche die teure Lebenshaltung nicht mehr leisten konnten, Island verlassen haben.
Kein PCR-Test mehr erforderlich
Corona selbst hat das 360.000-Einwohner-Land verhältnismäßig wenig getroffen: Insgesamt wurden laut der Datenbank "Our World In Data" 6.555 Infektions- und 29 Todesfälle registriert, seit Mai hat sich niemand mehr angesteckt.
Island ist darauf bedacht, dass das auch so bleibt. Bürger des Europäischen Wirtschaftsraums können mit einem negativen PCR-Test der nicht älter als 72 Stunden ist einreisen. Genesene und Geimpfte müssen einen gültigen Nachweis erbringen, z.B. den von der EU lancierten COVID-19 Impfpass. Das klingt angesichts der um sich greifenden Delta-Variante gewagt - ist aber laut Valsson wie jede Pandemie-Entscheidung in Island wissenschaftlich fundiert: "Die Gesellschaft ist mehr oder weniger vollständig geschützt. Selbst wenn in Einzelfällen die Delta-Variante eingeschleppt würde, würde das keine große Welle in Island auslösen." Bis zum ersten Juliwochenende hatten 77 Prozent der Gesamtbevölkerung mindestens eine Impfdosis erhalten, gut 65 Prozent waren bereits vollständig geimpft.
In Island ist die Pandemie vorbei
Das führt zu einem post-pandemischen Lebensgefühl, wie man es als Tourist womöglich derzeit nur an wenigen Orten der Welt genießen kann: Masken muss man nur noch zu sehr wenigen Anlässen tragen, zum Beispiel bei einer Aufführung im beeindruckenden Konzerthaus "Harpa" am Hafen der Hauptstadt Reykjavík. In Island kann man sich ohne mulmiges Gefühl an den letzten freien Tisch in einem ansonsten vollen Restaurant setzen. Nur noch Desinfektionsmittelspender und an wenigen Orten die Bitte, Kontaktdaten in einem Online-Formular zu hinterlegen, erinnern noch entfernt an Corona.
Wer nach Island reist, kommt jedoch in der Regel vor allem wegen der Natur. Für die Landschaft selbst war jedoch der sagenhafte Zuwachs des Tourismus seit dem Beinahe-Staatsbankrott in der Finanzkrise um 2009 gefährlich geworden. Die Währung war drastisch eingebrochen und plötzlich konnten sich viele den sonst teuren Islandurlaub leisten. Vielerorts waren Wanderwege, Zufahrten und Parkplätze dem plötzlichen Ansturm kaum mehr gewachsen.
Das zog Umweltschäden nach sich. Besonders betroffen waren die drei Attraktionen des "Golden Circle", eine beliebte touristische Route für einen Tagesausflug von Reykjavík, auf der man den Thingvellir-Nationalpark, das Geothermalgebiet Haukadalur mit mehreren Geysiren sowie den spektakulären Gullfoss-Wasserfall besichtigen kann. Die englischsprachige Zeitung "Iceland Monitor" titelte 2015 in einer Wortwahl, die hier nicht wiederholt werden muss, über die Exkremente von Touristen am Gullfoss.
Seitdem habe sich vieles gebessert, sagt Snorri Valsson, auch dank eines Fonds, aus dem jährlich rund vier bis fünf Millionen Euro für touristische Infrastruktur bereitgestellt werden. "Das und andere Maßnahmen haben die Situation verbessert, sodass wir heute nirgendwo mehr ernste Probleme haben. Aber wir müssen natürlich dranbleiben."
Vulkanausbruch könnte als Attraktion lange erhalten bleiben
Island stellt sich auf einen längeren Vulkanausbruch ein - und damit auf Touristen: Ausbrüche von Schildvulkanen können, das haben Geologen an anderer Stelle in Island belegt, jahrzehntelang andauern.
Vorausschauend sind um den neuen Vulkan schon gut 900.000 Euro in Infrastruktur wie Wege, Parkplätze, Toiletten und Handymasten bereitgestellt worden. Aus Valssons Sicht ist das alternativlos - ohne geeignete Wege würden sich Menschen verirren oder verunglücken und sich verletzen. Ende Juni musste für einen amerikanischen Touristen, der sich verlaufen hatte, eine größere Suchaktion gestartet werden. Das Terrain verändert sich ständig, und damit auch die Zugänge.
Eine Woche nach der Wanderung im Nebel bietet sich uns dann doch noch die Gelegenheit, einen Blick auf den Vulkan am Fagradalsfjall zu werfen. Beim Aufstieg ist schon von weitem der Rauch zu sehen, den der Berg während einer eruptiven Phase ausstößt. Erst jetzt ist sichtbar, wie viel Lava das Geldingadalir-Tal geflutet hat. Und dann ist der Blick frei auf den etwa 500 Meter entfernten Schlot, der mit jedem Ausbruch etwas größer wird.
Es ist Abend, und um uns herum sitzen hauptsächlich Isländer, manche haben Essen und Trinken mitgebracht. Nach ein paar Minuten beginnt das Schauspiel und Lava fließt aus dem Kraterrand, erst als dünnes Rinnsal, dann als breite Flutwelle, die den gesamten Abhang feuerrot zum Leuchten bringt. Dann versiegt der Strom. Einige Minuten später geht es wieder von vorne los.