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Wie ich Guido Westerwelle erlebte

Marcel Fürstenau18. März 2016

Marcel Fürstenau hat den verstorbenen FDP-Chef lange journalistisch begleitet. Erstmals begegnete er ihm vor gut 20 Jahren in Gera, später meistens in Berlin. Erinnerungen eines DW-Hauptstadtkorrespondenten.

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Guido Westerwelle (Foto: DPA)
Bild: picture-alliance/dpa/M. Becker

Es war mein erster Ausflug als junger DW-Korrespondent in die sogenannte große Politik. Der Chef des Berliner Hörfunk-Studios schickte mich im Dezember 1994 zum Sonderparteitag der Freien Demokraten nach Gera. Das war durchaus bemerkenswert, denn für Bundespolitik war natürlich unser Bonner Hauptstadtstudio zuständig. Schließlich hatten Regierung und Parlament ihren Sitz noch am Rhein, der Umzug an die Spree fand erst zur Jahrtausendwende statt. Aber unser weitsichtiger Studioleiter wollte Nachwuchskräfte wie mich schon mal an kommende Aufgaben heranführen.

Kommentarfoto Marcel Fürstenau Hauptstadtstudio
Bild: DW/S. Eichberg

In Gera traf ich dann die erfahrenen Kollegen aus Bonn, die sich in und mit der FDP bestens auskannten. Gerne überließ ich ihnen den Großteil der Berichterstattung über eine Partei, die seit gut einem Jahrzehnt an der Seite Helmut Kohls (CDU) regierte. So hatte ich die Möglichkeit, mir in aller Ruhe ein Bild von den Liberalen und ihrem Personal zu machen. FDP-Vorsitzender war 1994 Klaus Kinkel. Der damalige Außenminister schlug einen jungen Mann als Generalsekretär vor: Guido Westerwelle. Der knapp 33-Jährige wirkte im Kreis von FDP-Granden wie Kinkel oder Hans-Dietrich Genscher äußerlich wie ein Schüler zwischen Lehrern. Und an dem Bild war ja auch etwas dran aufgrund des Altersunterschieds.

Am Anfang war eine frische und provozierende Rede

In Erinnerung geblieben ist mir aber vor allem der Auftritt des Jünglings Westerwelle. Der riss die FDP-Delegierten mit einer fulminanten Rede aus ihrer Depression, in die sie nach einer Reihe von Niederlagen bei Landtagswahlen geraten waren. Auch ich war beeindruckt von der Wortgewalt dieses Mannes. Welch ein Kontrast zum behäbigen Parteivorsitzenden Kinkel! Westerwelles Leitgedanke von der Leistungsbereitschaft war zwar nichts grundlegend Neues für die FDP. Aber so, wie er das Thema variierte, hatte es etwas Frisches und Provozierendes.

Für mich stand fest: Für dieses außergewöhnliche politische Talent würde der Job des Generalsekretärs nur eine Zwischenstation auf dem weiteren Weg nach oben sein. So kam es dann auch. Allerdings beobachtete ich Westerwelles Aufstieg nach meiner FDP-Premiere in Gera fast ein Jahrzehnt nur noch aus der Ferne. Erst im Mai 2003 in Bremen besuchte ich wieder einen Bundesparteitag. Der Vorsitzende hieß inzwischen Westerwelle. Mit seinen 41 Jahren wirkte er auf mich noch immer jugendlich. Es war die Zeit, in der die FDP auf Bundesebene schon lange nicht mehr an der Macht war und ihr Chef als substanzloser Spaßpolitiker verschrien war.

Westerwelle (l.) und Kinkel auf dem FDP-Sonderparteitag 1994 in Gera (Foto: DPA)
Westerwelle (l.) und Kinkel auf dem FDP-Sonderparteitag 1994 in GeraBild: picture-alliance/dpa/ZB/W. Kluge

Mir gefielen sein Humor und seine Liebe zur Kunst

Ich nahm ihm aber seine selbstkritischen Worte ab. Da hat einer aus seinen Fehlern gelernt, war ich überzeugt. Das Gefühl, Westerwelle könne seinen Ehrgeiz nur schwer zügeln, blieb jedoch. Und dass er dabei auch mit einer gewissen Rücksichtslosigkeit gegenüber Konkurrenten vorgehen würde, stand für mich außer Frage. Wolfgang Gerhardt - sein Vorgänger als Partei- und Fraktionschef - kann ein Lied davon singen. Doch so funktioniert der Betrieb überall - nicht nur in der Politik.

Als Westerwelle im Mai 2006 den Vorsitz der FDP-Bundesfraktion übernahm, begann meine intensivste journalistische Zeit mit diesem außergewöhnlich begabten, aber auch umstrittenen Politiker. Die nun regelmäßigen Begegnungen in Hintergrundkreisen und bei anderen Gelegenheiten schärften meinen Blick auf den Menschen. Westerwelle war im Umgang ein ausgesprochen höflicher, kultivierter Mann. Manche fanden ihn eher steif und gestelzt. Mir gefiel sein persönliches Auftreten meistens. Ich mag witzige und schlagfertige Menschen.

Europäer aus Leidenschaft, nicht aus Kalkül

Ich erlebte aber auch oft den nachdenklichen Westerwelle. Einen, der auf Parteitagen und im persönlichen Gespräch zum Beispiel über seine Teenager-Erfahrungen in Frankreich erzählte. Dort erlebte er bei Älteren Ressentiments gegenüber dem deutschen Urlauber. Ressentiments, die ihren Ursprung in der Nazi-Vergangenheit seines Heimatlandes hatten. Dafür hatte Westerwelle großes Verständnis. Er erzählte diese Geschichte oft. Nicht aus Kalkül, sondern aus Leidenschaft für Europa. So habe ich es jedenfalls wahrgenommen.

Westerwelles größten Triumph erlebte ich im September 2009 als Live-Reporter bei der Bundestagswahl. Die FDP erzielte mit ihm als Spitzenkandidat 14,6 Prozent - das mit Abstand beste Ergebnis überhaupt. Damit war klar, dass die Liberalen nach elf Jahren Opposition auf die Regierungsbank zurückkehren würden. Auf der nahm Westerwelle als Außenminister und Vizekanzler Platz. Für mich endete damit die Zeit, in der ich ihm als Journalist relativ Nahe gekommen bin.

Kanzlerin Angela Merkel (l.) am 28. September 2009 nebem ihrem designierten Außenminister Guido Westerwelle (Foto: DPA)
Am Tag nach der Bundestagswahl 2009 empfängt Kanzlerin Merkel (l.) ihren künftigen Außenminister WesterwelleBild: picture-alliance/dpa

Meistens hat es Spaß gemacht

Da für Außenpolitik andere Kollegen zuständig sind, traf ich Westerwelle nur noch selten - auf Parteitagen oder beim Dreikönigstreffen in Stuttgart. Die letzten beruflichen Begegnungen mit ihm waren zugleich das Ende seiner steilen, aber auch kurvenreichen Karriere. Als die FDP im September 2013 erstmals aus dem Bundestag flog, war ich wieder als Reporter auf ihrer Wahlparty. Es war der traurigste Abend im politischen Leben Guido Westerwelles.

Ich musste an diesem historischen Tag an meine erste Begegnung mit ihm 1994 in Gera denken. Mit 51 geht so einer in die politische Rente? Irgendwie fand ich das schade. Ihn über viele Jahre mit der nötigen professionellen Distanz begleitet zu haben, hat mir meistens Spaß gemacht. Das kann ich längst nicht über jeden Politiker sagen.

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